Wer sich in Zeiten der Pandemie auf eine sichere, ansteckungslose, prickelnd-erotische Hochschaubahn begeben möchte, muss dies in diesem Herbst nicht mit persönlichem Vollkörpereinsatz tun. Das Theater Spielraum setzte „Venus im Pelz“ von David Ives auf seinen Spielplan und beschert dem Publikum damit eine geballte Ladung Verbalerotik, gemischt mit einer schauspielerischen Glanzleistung.
Der amerikanische Bühnenautor hatte sich als Grundlage für sein Stück „Venus im Pelz“ von Leopold von Sacher-Masoch ausgesucht und in eine fulminante, höchst intelligente, dramatisierte Beziehungskomödie verwandelt. In dieser erlebt das Publikum permanente Deutungsvolten, die bis zum Schluss des Stückes anhalten. Die Fragen, die sich hier stellen sind: Wer prüft hier wen und warum genau? Ist das, was man vorgespielt bekommt, ein vorher besprochener Plot oder agieren Frau und Mann auf der Bühne aus der jeweiligen Situation heraus, ohne den Ausgang ihres Tuns schon vorher zu kennen? „Suchen wir im Theater nicht die Leidenschaften, die uns fehlen?“ – dieses Originalzitat kondensiert das, was in diesem Fall die Lust am Zusehen ausmacht, auf perfekte Art und Weise und überdeckt streckenweise das intellektlastige, dargebotene Wortgefecht.
Der Theatermacher Thomas (Christian Kohlhofer) beklagt sich in der ersten Szene telefonisch bei seiner Frau, dass die Audition des Tages nicht von Erfolg gekrönt war. Ganz im Gegenteil. Um zu veranschaulichen, wie er beim Vorsprechen der Schauspielerinnen gelitten hat, lässt er eine Suada vom Stapel, bei der man meinen möchte, das weibliche Geschlecht sei samt und sonders mit Minderbegabungen aller Art ausgestattet.
Da erscheint die Schauspielerin Wanda (Selina Ströbele) – die angibt, sich leider verspätet zu haben, aber nun die Gelegenheit am Schopf packen möchte, um eine Probe ihres Könnens abzuliefern. David Ives gelingt es ab nun höchst kunstvoll, Wanda in unterschiedlichen – ja gegensätzlichen – Charakteren zu präsentieren. Einmal ist es die naive, aber wild entschlossene Schauspielerin, die nicht mit ihren Reizen geizt, dann wieder eine eloquente Frau, die durch ihre clevere, rhetorische Vorgehensweise Thomas Stück für Stück in die Enge drängt. Selina Ströbele brilliert in dieser Rolle vom Anfang bis zum Schluss, und lässt dabei ihren „Theaterdirektor“ ziemlich blass aussehen. Ives lässt den Hauptplot von Sacher-Masoch bestehen – die Geschichte zwischen einem Mann, der sich erotisch von einer Frau beherrschen lassen möchte – verfrachtet die Handlung aber durch ein Rahmengeschehen gekonnt in unsere Zeit.
Es macht unglaublich Spaß, dem ungezählten Charakterswitch von Ströbele zu folgen. Innerhalb von Zehntelsekunden verwandelt sie sich vom männermordenden Vamp in ein Dämchen, das jedem einzelnen Klischee einer naiven Schauspielerin entspricht – und umgekehrt. Kaum hat man sich dabei in ihre einfältige Stimmführung eingehört, legt sie diese wieder ab, um mit Thomas professionell die gemeinsame szenische Lesung fortzusetzen, welche sich mit dem Sacher-Masoch-Text sehr gut verschränkt. Selina Ströbele spielt nicht nur fantastisch, sie sieht auch unglaublich gut aus – egal ob in ihrem verführerischen Domina-Outfit oder mit darüber geworfener, langer Robe. (Kostüm Anna Pollack)
Immer wieder kippt das Geschehen vom Spiel auf einer möglichen, noch imaginierten Bühne, in einen realen – oder doch nur vermeintlich realen Dialog (?) zwischen Mann und Frau. Wer hier wen beherrscht, bleibt in einem ständigen Schwebezustand und scheint letztlich doch eindeutig. Die Regie von Gerhard Werdeker lässt der schauspielerischen Spielfreude des Duos viel Raum und unterstützt sowohl auditiv als auch mit einem unerwarteten, aber höchst effektiven Bühneneingriff das Voranschreiten und auch Ende der Handlung. (Bühne: Dimiter Ovtcharov und Markus Filgut, Licht Tom Barcal) Ob die Leuchtstäbe, die sich auch als Kerkergitter entpuppen, ein Hinweis auf ein persönliches Gefängnis sind, aus dem ‚Mann‘ offenbar nicht entrinnen kann, darf das Publikum selbst interpretieren.
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