Die diesjährige Konzeption von (8:tension), die im Rahmen des ImpulsTanz Festivals veranstaltet wird, zeigt sich sehr stringent. Denn alle bislang präsentierten Arbeiten von Nachwuchschoreografen und –choreografinnen haben so etwas wie ein übergeordnetes Thema, das man grob mit „Das Dunkle in mir“ beschreiben kann.
„Soil Girl“ von Berstad / Gelgebostad / Wigdel
Die Produktion „Soil Girl“ der drei Norwegerinnen Kristin Helgebostad, Ida Wigdel und Ingeleiv Berstad war – nicht nur was die Bühnenbeleuchtung betrifft – ein dunkles Stück. Das gleichnamige Gedicht „Soil Girl“ der zeitgenössischen, norwegischen Dramatikerin Maria Tryti Vennerod wurde zum Ausgangspunkt ihrer Befragungen nach den dunklen Stellen in sich selbst.
Zu sehen waren letztlich jedoch keine seelischen Introspektionen. Die drei jungen Frauen zeigten sich, ausstaffiert mit Mundwinkelspreizern, die normalerweise von Zahnärzten verwendet werden, als fratzenhafte Geistwesen. Styropor, das mit Ventilatoren in die Luft gewirbelt wurde, suggerierte mithilfe einer nur punktuellen Beleuchtung ein wildes Winterwetter, irgendwo im Norden Europas. Die erste Assoziation zum wilden Gebaren der Drei ist mit den Druden verknüpft. Jenen Frauen, die Menschen wohl gesonnen sein können, aber auch für Böses zuständig sind. Sie nehmen an der wilden Jagd teil, die meist Unheil verkündend am Himmel vorüberzieht. Die Tänzerinnen, die zugleich auch für die Choreografie verantwortlich sind, benahmen sich adäquat.
Eine sehr intelligente, sehr dunkle Bühne, von der aus das Publikum mit drei Handscheinwerfern immer wieder so geschickt geblendet wurde, dass die Agierenden vom Dunkel des Raumes förmlich absorbiert wurden und ein packender Sound mit eindringlichen Songs von Siri Schippers Skaar boten ein perfektes Surrounding.
Ihre Zähne andauernd gefletscht, war es ihnen ein großes Vergnügen im Schnee und Wind ihre Haare zu schütteln, sich gegenseitig zu bekämpfen oder mit gutturalen Lauten zu kommunizieren. Traumwandlerische Sequenzen, in welchen klar wurde, dass sie Gefangene ihres eigenen Zustandes waren, wechselten mit solchen ab, in denen höllisch gesprungen und getanzt wurde. Die Verdichtung des Geschehens zu einem Beinahe-Krimi am Ende der Produktion wurde in höchst humorvoller Weise aufgelöst. Meinte man, dass sich zwei der drei Frauen miteinander verbündet hätten, um die dritte aus dem Weg zu räumen, war es letztlich nichts anderes als die gegenseitige Verabredung, sich gleichzeitig vor dem Publikum zu verbeugen.
Die direkte Bezugnahme zu Sagen und Mythen von geisterhaften Frauen, die in „Soil Girl“ gezeigt wurde, steht diametral entgegengesetzt zu einer finnischen Produktion.
„Hmm“ von Sonja Jokiniemi
Die Finnin untersucht in ihren Arbeiten immer wieder unterschiedliche, sprachliche Phänomene. In dieser Inszenierung versieht sie unterschiedliche Objekte auf der Bühne – verschieden lange, zum Teil bunt gefärbte Vierkanthölzer – mit jeweils einem bestimmten Vokal oder einer bestimmten Lautbildung. Von ah über oh bis hin zu ding und doing reicht dabei die Palette und es braucht lange, bis man zu verstehen beginnt, was Jokiniemi mit diesen Zuschreibungen aussagen will. Erst als sie beginnt, mit einem Holz, einem „mrah“, das in ihre Körperlänge hat, sinnbildlich zu kopulieren, kommt etwas Licht ins Erklärungsdunkel.
Wie Kinder, die Objekten Seelen zusprechen und diesen ganz natürlich mit ihrer eigenen Stimme einen sprachlichen Ausdruck verleihen, geht die Künstlerin in ein Spiel, bei dem sich Ordnung in Unordnung verwandelt. Zumindest die sichtbare Ordnung. Denn je weiter die Vorstellung voranschreitet, umso mehr versteht man dass sie mit den Hölzern in Beziehungen steht. Freunde, Bekanntschaften, Liebschaften, Männer oder Frauen, das wird nicht bestimmt, könnten Jokiniemis hölzerne Bühnenpartner sein. Die einen wenig beachtet, die anderen ganz zart nur berührt, wieder andere brutal misshandelt. Ein einziger Stab ist es, der ihre wahre Zuneigung gehört, von dem sie richtig besessen ist. Dass dieser am Ende ihr aber die Gefolgschaft verweigert, ja ihre Aggressionen weckt, war dramaturgisch beinahe im Voraus abzusehen. Viel mehr als ihre kurze, sprachliche Attribution brauchen die Objekte nicht, denn die Choreografin illustriert weniger deren Charaktereigenschaften als vielmehr ihren Bezug zu ihnen. Einzig ihr „mrah“ äußert sich durch Jokiniemis tiefer verstellte Stimme in kurzen Sätzen.
Die Künstlerin agiert in hellbeigem Lederanzug als ordnende und erklärende Kraft. Andererseits schiebt sie absurde Szenen ein, wie jene, in der sie eine Schachtel als Gott bezeichnet, der dann gar nicht gewillt ist, das zu tun, was sie möchte. Zum Dritten zeigt sie sich als verletzbares Wesen, das nach nichts mehr Sehnsucht hat, als nach einer intakten Beziehung. Eine knisternde, irisierende Folie wird zum Monster, das Gott verschluckt, an späterer Stelle aber dann doch wieder ausspeit. Dieses ganz und gar nicht geometrische Gebilde ist der einzige Störfaktor im sonst so geordneten Geschehen, das dem 90 Grad-Winkel huldigte. Eine Rivalin im weitesten und engsten Sinn, die sie sich trotz körperlicher Annäherung nicht aneignen kann.
Natalia Dominguez Rangel schuf einen Sound, in dem hohe, beinahe schmerzende Töne den Beginn und den Schluss markierten. Dazwischen arbeitete sie mit Soundwolken aber auch Stille, die ganz den klappernden Hölzern, der knisternden Folie und der Sprache von Jokiniemi gewidmet waren.
„Situations are unpredictable“ – mit dieser Feststellung endet die Performance, die das Publikum geteilt zurückließ. Heftige Akklamation aber auch einige ratlose Gesichter waren zu hören und zu sehen.