Der arme Schlucker ist tot

Der arme Schlucker ist tot! Es lebe das Genie Schubert!

Johanna Rehm, Sebastian Zeleny - Foto:(c) Schauspielhaus

Im kleinen Raum des Schauspielhaus´schen Nebenhauses liegen Partezettel auf. „Schubert ist tot“ ist dort schwarz umrahmt auf einer offenbar aktuellen Falter-Ausgabe zu lesen. Als sich die kleine Bühne öffnet, jene „Guckkastenbühne“, die für alle Schubertabende als Ausgangspunkt und Einstimmung für die folgende Stunde diente, werden die vielen kleinen, brennenden Kerzen sichtbar, die in Gedenken an Schuberts Tod aufgestellt sind. Gestern erst ist er gestorben, und wir werden Zeugen der Einladung zur Trauerfeier, die sein Vater uns vorliest. So machen wir uns zum letzten Mal auf die Reise, um Schuberts Leben – oder heute wohl Schuberts Tod – nah zu sein und landen nach 10minütigem Marsch in der Lichtentaler Kirche, jenem Ort, der Schubert eine musikalische Heimat war.

In der letzten Folge der 5teiligen Serie Schubert – eine Winterwanderung, konzentriert sich der Regisseur Paul-Georg Dittrich nicht ausschließlich auf Schuberts letzte, von Krankheit gezeichnete Jahre. Vielmehr legt er seinen Fokus auf die Beziehung Schuberts zu seiner großen, unerfüllten Liebe Therese Grob und seinem großen Vorbild Ludwig van Beethoven. Der von ihm und Thomas Arzt gemeinsam gestaltete Text hält sich dabei ganz und gar nicht an historische belegte Aussagen, sondern versucht Schubert als einen Menschen nachvollziehbar zu machen der innig lieben konnte, der seiner Kunst verfallen war und der das Unglück hatte zu einer Zeit gelebt zu haben, in der ein finanziell gesichertes Dasein als Komponist in Österreich nur sehr schwer möglich war.

Der Schauplatz der Handlung übte vor allem im zweiten Teil der Aufführung – auf der Orgelempore selbst – einen wundersamen Zauber aus. Hier dirigierte Schubert unter anderen seine allererste Messe. In bitterer Kälte, eingemummelt in bereitgelegte Decken, wirkte der Raum in ganz spezieller Art und Weise. Kein Konzertsaal kann diese Emotionen und Assoziationen wecken, keine noch so brillante Tonwiedergabe so tief berühren wie dieser authentische Ort. Lisa Rombachs klare und helle Stimme, begleitet von Fiona Pollak an der Orgel, ergänzte das Geschehen mit wohl ausgesuchten Liedern wie der Danksagung an die Kunst, die Schuberts imaginären Dialog mit Beethoven abschloss. Subtil wurde darin über die Rolle der Kunst im eigenen Leben nachgedacht und gipfelte in der Ansage: „Man will doch seine Vollendung. Wenn schon nicht im Leben, dann in der Kunst!“

Eines lag Paul-Georg Dittrich sicher fern: Eine Verkitschung des historischen Geschehens. Und tatsächlich erreichte er durch Überzeichnung sowohl in den Dialogen, als auch in der Auswahl der dementsprechenden Requisiten, dass sich streckenweise sogar Humor breitmachte. So darf Schubert (abermals durch Sebastian Zeleny zum Leben erweckt) zu Beginn der Vorstellung verwirrt aus seinem schwarzen Sarg steigen, um die Anwesenden bei seiner Trauerfeier zu zählen. Beethoven wiederum (Hannes Pendls Lockenpracht und die dunkelrote Halsschleife genügen, um optische Parallelen stringent herzustellen) zieht sich weiße Engelsflügelchen an, um zu verdeutlichen, dass er das Gespräch mit Schubert aus dem Jenseits führt. Gerade dieser unprätentiöse, ja beinahe schon despektierliche Umgang mit dem so oft gepflegten, verlogenen Geniekult ist es, welcher den Komponisten von seinem Mythos trennt, den Menschen in den Vordergrund stellt und ins Hier und Heute psychologisch nachvollziehbar transferiert.

Noch einmal zeigt der Autor Thomas Arzt, dass er in den Texten rund um Schubert mehr anbietet als eine reine historische Rückschau, verbrämt mit seiner ihm eigenen Sprachmelodie. Seine kurze Abhandlung über den von Foucault eingeführten Begriff der Heterotopie macht klar, dass es ihm auch darum geht, die Texte über Schubert als Ausgangspunkt für Gedankenspiele und Ideen zu nehmen, die nicht nur in unsere Gegenwart reichen, sondern darüber hinaus auch in die Zukunft verweisen. „Träume sind Heterotopien, sind die Nahrung auf dem Ziel und ein Vorrat auf Hoffnung.“ Viel schöner kann die Klammer zwischen Schuberts Zeit und unserer wohl kaum gesetzt werden.
Schubert – Eine Winterwanderung in 5 Folgen con da capo ist eine Theaterserie, die durchgehend versucht, einen unverkrampften Zugang zu dem Komponisten zu finden. Sie ist aber noch viel mehr. Wer will, lässt sich nur auf die angebotenen Emotionen ein. Wer möchte, genießt die immer gelungene Verschränkung von Text und Musik. Wer Lust hat, nimmt jene philosophischen Angebote mit nach Hause, die ein Denken über Schuberts Zeit hinaus anregen. Wollte man über alle fünf Abende eine Grundklammer setzen, dann müsste dies wohl Hippokrates Feststellung sein: Ars longa, vita brevis. Eine andere Versöhnung zwischen Schuberts Leistung und seiner Lebenstragik ist wohl kaum möglich. Die sich durch alle Vorstellungen ziehende Generalbass-Idee, für jeden Abend einen Ort zu wählen, der das Publikum emotional näher an Schubert trägt, geht überall auf. Auch dort, wo es sich nicht um „authentische“ Orte handelt.

Fazit: Nicht nur sehens- und hörens- sondern vor allem nachdenkenswert!

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