Schlachtgebrüll anstelle von philharmonischen Klängen
03. März 2024
Die junge Regisseurin Ira Süssenbach inszeniert im Rahmen des „wortwiege“-Festivals in den Kasematten in Wiener Neustadt Slawomir Mrożek absurdes Stück „Schlachthof – Wir essen nur Karfiol“.
Michaela Preiner
"Schlachthof" wortwiege (Foto: Victoria Nazarova)
Foto: (Victoria Nazarova)

In Polen ist er ein Säulenheiliger, im deutschsprachigen Raum ist er jedoch mittlerweile fast unbekannt. Slawomir Mrożek, jener Literat, der in den 70-er Jahren gerne mit kurzen Stücken an einem Abend gleichzeitig mit Einaktern von Vaclav Havel im Burgtheater vertreten war.

Anna Maria Krassnigg, künstlerische Leiterin des Festivals, ist dafür bekannt, in ihr Programm gerne vergessene dramatische Perlen einzubauen. So kommt beim diesjährigen Festival, welches das Motto „fragil / fragile“ trägt, Mrożeks Drama „Schlachthof – Wir essen nur Karfiol“ zur österreichischen Erstaufführung. Die Regie führte die in Russland geborene Ira Süssenbach, die 2012 ihr Heimatland aufgrund der politischen Entwicklung verlassen hat, in Wien ansässig wurde und hier die österreichische Staatsbürgerschaft erhielt.

"Schlachthof" wortwiege (Foto: Victoria Nazarova)

„Schlachthof“ wortwiege (Foto: Victoria Nazarova)

Mit einem Spitzen-Ensemble erzählt sie mit außergewöhnlichen Überraschungsmomenten die absurde Geschichte eines jungen Geigers, der unter der Fuchtel seiner Mutter steht, von der er sich trotz einer sich anbahnenden Liebe, nicht befreien kann. Nico Dorigatti, der schon im Vorjahr im Havel-Drama „Audienz“ das Publikum in den Kasematten von Wiener Neustadt rockte, wird seinem Ruf eines jungen Vollblutschauspielers ohne Angst vor akrobatischen Einsätzen, voll und ganz gerecht. Er mimt jenen jungen Mann, der – welch köstliche Idee – anstelle einer Geige eine singende Säge bedient, dessen musikalisches Talent jedoch begrenzt erscheint. Sein Frevel, einem Konterfei von Niccolò Paganini auf einem Notenbuch einen Schnurrbart aufzumalen, führt zu einer unerwarteten Wendung. Es soll nicht die einzige in diesem Stück bleiben.

Roberto Romeo überzeugt gleich in drei unterschiedlichen Rollen, als despotische Mutter, als Schlachter und als Paganini, der kraft seines neuen Schnurrbartes zum Leben erwacht ist. Mithilfe der Kostüme von Elena Kreuzberger verwandelt er sich in Windeseile in die gänzlich verschiedenen Charaktere. Diese Quick-Changes sind verblüffend und für das Publikum unglaublich unterhaltsam.

"Schlachthof" wortwiege (Foto: Victoria Nazarova)

„Schlachthof“ wortwiege (Foto: Victoria Nazarova)

Saskia Klar präsentiert gleich zu Beginn ihr musikalisches Talent mithilfe eines Kazoos, auf dem sie innigst und mehrstrophig Whitney Houstons „I will always love you“ intoniert. (Musik David Lipp) Unter der Maske von Henriette Zwölfer ist sie, welche in diesem Festival auch als Kreusa in „Medea – Alles Gegenwart“ auftritt, nicht wiederzuerkennen. Nachdem der junge Geiger mithilfe Paganinis Geist eine rasante Genie-Verwandlung hinter sich gebracht hat, erhält Mrożeks Farce einen neuen Dreh.

"Schlachthof" wortwiege (Foto: Victoria Nazarova)

„Schlachthof“ wortwiege (Foto: Victoria Nazarova)

Petra Staduan als Direktorin der ortsansässigen Philharmonie, welcher das Talent des Geigers zu Ohren gekommen ist, verpflichtet ihn zu einem Konzert anlässlich des städtischen Jubiläumsjahres in ihren „Gewölben“. Einer Ortsbezeichnung, die höchst passend zum aktuellen Aufführungsort im mittelalterlichen Wehrbau von Wiener Neustadt ist. Staduans Auftritte erinnern stark an jene von Varieté-Conférenciers, eindringlich, präsent und überzeugend mit einer bewussten, höchst outrierten Bühnen-Präsenz. Kaum hat sich der junge Künstler an seine neue Genie-Aura gewöhnt, holt ihn ein aus dem Nichts auftauchender Schlachter wieder auf den Boden der Realitäten zurück. Mit den Sätzen „Töten ist die Hauptsache! Der Schlachthof ist die Hauptsache!“, „Musik kann es geben, oder nicht!“, entzieht er dem seltsamen Genie im Handumdrehen seine Daseinsberechtigung.

So irritiert der Musiker – angesichts dieser unerwarteten Delegitimation seines Berufes – auch ist, so rasch findet sich die Konzertdirektorin in die neuen Gegebenheiten. Im Handumdrehen greift sie die Idee einer neuen, künstlerischen Darbietungsweise auf und begrüßt nun das Publikum mit der Titulierung „sehr verehrte Organismen, hochverehrte Eiweißsynthesen!“ Dass der Mensch unter solchen Gesichtspunkten nicht mehr moralisch agieren kann und keine Ehre und keinen Glauben mehr besitzt, ist für Mrożek logisch. Auch, dass die Kunst „ausgeheilt“ hat und man nur mehr an der Reinigung der Kultur teilnehmen kann.

In Süssenbachs letztem Bild (Bühne Andreas Lungenschmid) sitzt der Geiger mit entblößtem Oberkörper auf einem metallenen Pferd. Sein Erscheinungsbild erinnert nicht von ungefähr an jene Fotos, die den russischen Präsidenten im Jahr 2009 als kraftvollen Reiter in den Social-Media-Kanälen verewigten. Psychologisch schließt sich der Kreis, denn sowohl Geliebte als auch Mutter lassen sich nach vorherigen Rückholversuchen von seiner Macht und Herrschsucht nicht beeindrucken. Vielmehr erniedrigen sie ihn ein letztes Mal mit ihren Ansichten zu seinem Männlichkeitswahn und zu seiner Nicht-Begabung. Dorigattis finaler Abgang erschreckt mehr noch als die letzte Ansage der Konzertdirektorin an das Publikum, die danach fragt, wer denn in ihrem Realitäts-Spiel über Leben und Tod nun wohl der nächste wäre.

Es ist ratsam, sich auf die Absurdität von Mrożeks Text einzulassen, die auch durch unerwartete Bühnenbildwechsel unterstrichen wird und nicht darauf zu pochen, mit logischen Erklärungen der Geschichte Herr zu werden. Geschrieben unter dem Eindruck des kommunistischen Regimes, zeigt der Autor auf, wie rasch sich unterschiedliche Charaktere einer neuen Gesellschaftsordnung unterwerfen, die zwar menschenverachtend ist, aber in der man dennoch unter der Prämisse der Opportunität sein eigenes Fortkommen bewahren kann.

Erstaunlich ist, dass Passagen darin vorkommen, die zeitgeistiger nicht sein könnten und vom Publikum heute anders verstanden werden als noch vor 40 Jahren. Wenn die Direktorin der Philharmonie darüber spricht, dass die verspeisten Tiere aus den Bäuchen des Publikums hörbar werden, dann ist der Gedanke zur Fleisch-Industrie mit der massenhaften Tötung und zur Propagierung von Veganismus und vegetarischem Lebensstil ad hoc assoziiert.

Das Festival „wortwiege“ erfüllt mit dieser Inszenierung abermals sein Versprechen, auf die Arbeit von jungen Regisseurinnen aufmerksam zu machen, die nach ihrer Ausbildung meist nicht in Österreich verbleiben, sondern rasch ins Ausland verpflichtet werden. Allein das sollte Anlass genug sein, sich alljährlich aufzumachen an jenen Ort, in welchem in alten Gemäuern der frischeste Theaterwind weht, den man sich in Österreich nur vorstellen kann.

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