Der Anfang vom Ende
16. Dezember 2023
Wer, wenn nicht Dramatikerinnen oder Dramatiker selbst, also Menschen, die für das Theater schreiben, wäre besser geeignet, ein Drama über das Theater selbst zu schreiben?
Michaela Preiner
Foto: (Lex Karelly)

Nach der Uraufführung des Stückes „Bühnenbeschimpfung“ am Maxim Gorki Theater in Berlin im Dezember vergangenen Jahres, erfuhr nun das Stück der israelischen Autorin Sivan Ben Yishai in Graz am Schauspielhaus seine Erstaufführung. Zur Freude, aber auch zum Ärger von Menschen aus dem Publikum.

Mit Thomas Kramer, Sarah Sophia Meyer, Luiza Monteiro, Anna Rausch und Anke Stedingk beginnt der Abend mit eingespieltem, tosendem Applaus in grellen Tüllkostümen vor dem Vorhang. Da wird auditiv geklatscht, was das Zeug hält und dementsprechend verneigt sich auch das Ensemble. Das Stück nimmt ein Ende vorweg, das es sich wünscht – schier nicht enden wollende Beifallsbekundungen. Die bunten Kostüme von Carolin Mittler, von der auch das Bühnenbild stammt, machen deutlich: Was hier zu sehen ist, ist pures Spiel. Egal, was auch immer gesagt wird, man sollte nicht vergessen, dass das Ensemble Theater spielt und nicht darauf vertrauen, dass das, was es sagt, auch seine Meinung ist.

Die Autorin verlangt nicht nur von den Schauspielerinnen und Schauspielern viel ab, schließlich sprechen diese auf lange Strecken über sich und über die anderen und nicht so, wie sie es gewohnt sind, in der direkten Rede. Auch die Regie ist in einem solchen Fall besonders gefordert. Schirin Khodadadian verleiht den Texten, die sich in drei unterschiedliche Gruppen einteilen lassen, mit ihrer Inszenierung Halt.

Geht es zuallererst um die Menschen auf der Bühne, die Schauspielerinnen und Schauspieler, schlüpft er danach die Rolle und Gedanken des Publikums, um schließlich mit einem dystopischen Szenario die Zukunft des Theaters zu beleuchten.

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Ensemble „Bühnenbeschimpfung“ (Foto: Lex Karelly)

Bei den eigenen Erfahrungen im Theaterbetrieb, die vom Ensemble erzählt werden, brilliert Anke Stedingk, der man auch später alles, was sie sagt, förmlich aus der Hand fressen möchte. Ihr komödiantisches Talent, ihre offene, konfrontative, zugleich aber selbstironische Art ist einfach umwerfend. Thomas Kramer hatte zuvor schon seinen großen Auftritt ganz in der Nachfolge des Film-enfant-terribles Klaus Kinski. Wie Letzterer beim Dreh zu Fitzcarraldo, redete sich Kramer so in Rage, dass seine Kolleginnen vor ihm zurückwichen, um ihm nicht in die Quere zu kommen. Lautstark ließ er seiner Wut auf die herrschenden Verhältnisse, letztlich aber auf sein eigenes Ja-Sager-Gen, freien Lauf.

Mit der Publikumssicht, seiner Erwartungshaltung, seinen Vorbereitungen und Gedanken während der Vorführung, aber auch seiner mehrfachen Frage, wie lange das Stück denn noch dauern würde, setzt Sivan Ben Yishai einen Gegenpart zu den Erfahrungen des Ensembles. Dass die einen nichts sind ohne die anderen und umgekehrt, wird dabei klar. Nicht aber, welchen Sinn es hat, ins Theater zu gehen. Und tatsächlich schuf die Regisseurin ein Szenario, in welchem sich drei Personen dazu durchringen, die Vorführung noch vor ihrem Ende zu verlassen. Es ist eine der wunderbarsten, da humorvollsten Szenen, die das Drama zu bieten hat. Wie Anke Stedingk ihre Kollegin Anna Rausch auf ihrem Rücken trägt und Sarah Sophia Meyer vor ihr gebückt die imaginierte Sitzreihe verlässt, führt zu einer allgemeinen Erheiterung.

Kurz zuvor mussten die Schauspielerinnen, umgezogen und somit nicht mehr gut erkennbar, verteilt im Saal von ihren Plätzen wieder zurück auf die Bühne. Dies veranlasste eine ältere Dame, die dafür etwas zur Seite rücken musste, zum rüden Kommentar, dass sie „mit so einem Schas“ nicht gerechnet hätte. Schließlich bezahlte sie auch noch „richtige“ Theaterkarten. Und tatsächlich beschäftigt sich der Text ein wenig später auch mit dem Phänomen der Erwartungshaltung der Besuchenden, die ja gerne eine Geschichte erzählt bekommen würden. Etwas von einem anderen über etwas anderes. Das postdramatische Theater, sosehr die Jugend damit auch schon aufgewachsen ist, hat für manch andere wiederum eine geringere Wertigkeit. Mithilfe von Leon Jereb an der E-Gitarre und Kaya Meller an der Trompete sowie Luiza Monteiro, verwandelt sich die Szenerie auf und vor der Bühne in einen großen, professionellen Chor, der das kollektive Singen und Hören zu jenem Erlebnis gestaltet, das seine Wirkung beim Publikum niemals verfehlt. Die Gemeinsamkeit der musikalischen Darbietung, kräftig unterstützt vom Statisten-Pool des Schauspielhauses, fährt in die Gemüter und wird dementsprechend beklatscht.

Es ist die Mischung aus einer abwechslungsreichen Regie und einem ebensolchen Text, der gar nichts außen vor lässt, was das Theater selbst betrifft, welche Wirkung zeigt. Eine Wirkung, die mit einem Langzeitgen ausgestattet ist. Vieles, was man an diesem Abend hört und sieht, hallt nach. Vor allem immer wieder die Frage nach dem Warum und die Feststellung, dass Theater heutzutage nichts mehr bewirken könne. Zugleich aber blitzt immer wieder jene Lust am Spiel durch, welche dieses Medium über die Jahrtausende am Leben hielt. Im Epilog, in welchem die Autorin das Theater selbst zu Wort kommen lässt, erzählt dieses aus einer Zukunftsperspektive, in welcher die Menschen um ihr Überleben auf dem Planeten kämpfen. Lange schon ist darin das theatrale Gebäude nutzlos geworden und verfällt aufgrund der unwirtlichen Witterungen letztlich komplett. Die Natur hat sich seiner angenommen und verleibt es sich kompromisslos ein. Hier zeigt die Bühnenbildnerin, wie schon ihre Kollegen und Kolleginnen bei den Aufführungen der Saison zuvor, was auf und mit der Bühne des Schauspielhauses alles möglich ist. Die hochkant aufgestellten ersten Sitzreihen verlieren sich im Bühnendunkel, aus dem dichter Rauch emporsteigt. Heimelig fühlt sich anders an und tatsächlich erfährt man, dass von diesem Theater einst nur mehr Rudimente vorhanden sein werden. Der Zustand, in welchem sich das Theater derzeit befindet, darf zusammengefasst als Anfang vom Ende beschrieben werden. Gäbe es nicht doch einen Hoffnungsschimmer.

Trost spendet letztlich ein Text über den immer wieder kehrenden Aufbau eines Shinto-Schreines, welcher als Metapher für das Überleben und Weiterleben des Theaters gelesen werden darf. Dass sich auch die Bühnenarbeiter und -arbeiterinnen einen Applaus abholen dürfen, ist nicht nur sinnvoll, sondern auch mehr als gerechtfertigt. Ein Abend zum Nach-, aber auch Vorausdenken, nicht nur über die Zukunft des Theaters.

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