Von empathisch bis brutal

Von empathisch bis brutal

Aurelia Gruber

Foto: ( )

28.

September 2016

Ein fulminanter Tanzabend mit Choreografien von Sasha Waltz eröffnete die Saison im Festspielhaus in St. Pölten.

Claude Debussy, Hector Berlioz und Igor Strawinski standen am Eröffnungsprogramm der Saison 2016/16 des Festspielhauses in St. Pölten. Die deutsche Choreografin Sasha Waltz schuf für „L`Après-midi d`un faune“, einer „Scène d`amour“ aus „Roméo et Juliette“ und „Le Sacre du Printemps“ drei Choreografien mit völlig unterschiedlichem Duktus. Im Orchestergraben agierte das Tonkünstlerorchester Niederösterreich unter dem Dirigat von Titus Engel.

„L`Après-midi d´un faune“

Zu Beginn durften die Tänzer und Tänzerinnen des Ensembles von Sasha Waltz im „L`Après-midi d´un faune“ in eine sehr abstrakte Tanzsprache eintauchen. Der verengte Bühnenraum von Guillaume Bruère spiegelte sich in den ebenfalls von ihm geschaffenen Kostümen wieder. Rote, gelbe, grüne und schwarze, unregelmäßige Farbflächen erweckten den Eindruck einer künstlerischen Ästhetik der 20er bis 30-er Jahre, was einen Kontrast zur impressionistischen Musik von Debussy darstellte. Der Faun befindet sich bei Waltz unter seinesgleichen. Das Ensemble mimt mit seiner expressiven Körpersprache Mischwesen zwischen Tier und Mensch, genauer gesagt zwischen Insekt und Mensch. Und tut das, was Insekten und Tiere im Gegensatz zu Menschen ungeniert tun – sich dem Fortpflanzungstrieb hingeben. Engel dirigierte das Stück eher verhalten, beinahe schläfrig, passend zum langsamen Bewegungsmodus auf der Bühne.

„Syrinx“von Claude Debussy

Während der Umbauphase spielte Walter Schober an der Flöte, im Orchestergraben stehend, das Flötensolo „Syrinx“, ebenfalls von Claude Debussy. Nur von einem Kegelscheinwerfer beleuchtet, hielt er tapfer gegen so manches Umbaugeräusch hinter der Bühne an und zauberte feine, klangliche Farbtupfen in das Dunkel des Saales. Seine sanfte und zugleich unaufgeregte Interpretation spannte einen schönen Bogen vom schläfrigen Faun-Nachmittag zu einer innigen Liebesgeschichte.

Scène d´amour

Diese wurde in der Scène d´amour aus der dramatischen Sinfonie „Romeo und Juliette“ von Hector Berlioz abgeliefert. Dafür griff Waltz zu einer Choreografie, die sich einerseits stark am klassischen Ballett orientiert. Andererseits sind es immer wiederkehrende Bewegungselemente, welche die künstlerische Handschrift von Waltz gut erkennen lassen.

Scene d'Amour( c) Stylianos Tsatsos_London

Scene d’Amour( c) Stylianos Tsatsos_London

Lorena Justribó Manion und Ygal Tsur waren eine Idealbesetzung für das Stück. Die schlanke Tänzerin, bekleidet mit einem langen, weit ausgestellten Hauch von einem Kleid ist der Inbegriff einer Primaballerina. Zart, aber bestimmt, angezogen und abgestoßen von der Liebe, ist sie es, die das gesamte Stück über ihren Geliebten durch alle Höhen und Tiefen ihrer Beziehung führt. Waltz schuf mit dieser Choreografie eine Neuinterpretation eines romantischen Pas de deux. Schwülstigkeit und Kitsch kommen jedoch nicht vor. Schlanke Gesten, ein Fließen der Bewegungen schier ohne Ende, viele Hebe- und Kontaktfiguren kennzeichnen die Choreografie. Ein flüchtiger Moment voll Eleganz und Liebesknistern wurde hier auf der Bühne sehr zur Freude des Publikums präsentiert.

„Sacre du Printemps“

Dass Waltz aber auch ganz anders kann, zeigte sie mit dem „Sacre du Printemps“ zu Igor Strawinskis Ballettmusik. Ursprünglich für die Ballets russes unter Sergej Djagilev geschrieben, gehört es heute für Choreografinnen und Choreografen fast wie zum guten Ton, es einmal in der eigenen Schaffensperiode bearbeitet zu haben. Die Liste jener, die sich daran versuchten, ist illuster. Begonnen von Nijinsky über Jérôme Bel bis hin zu Pina Bausch wurde über die Jahrzehnte im musikalischen Frühling gefeiert und gestorben. Interessant dabei, dass sich auch Sasha Waltz an die grundsätzlichen Vorgaben des Plots des Sacre hält.

Rivalisierende Clans huldigen dem Frühling und müssen der Sonne und dem aufstrebenden Leben ein Opfer bringen. Es ist eine junge Frau, die auserwählt wird und sich schließlich zu Tode tanzt. All diese Choreografien beschönigten die Grausamkeit mehr oder weniger, die hinter diesem Opfer steht. Viele ließen ihre Hauptprotagonistin tatsächlich bis zum Umfallen tanzen. Sasha Waltz fasst aber das Treiben von Urstämmen, die einer Naturreligion huldigen, völlig anders auf. Bei ihr ist es die brachiale Gewalt, die vor allem gegenüber den Frauen aufbricht. Es ist eine männliche Gewalt, eine, vor der sich die Frauen nicht schützen können. Als ihnen aber auch ihre Solidarität untereinander nichts nützt, stellen sie sich am Ende des Geschehens einhellig gegen eine einzige Auserwählte. Die dunkle Bühne (Pia Maier Schriever und Sasha Waltz), deren Mitte ein Steinhaufen markiert, bleibt bis zum Schluss ohne vegetabile Beschmückung. Der Frühling wird hier nicht einmal andeutend fühlbar. Vielmehr sind es Nebelschwaden, die am Beginn von der Bühne in den Orchestergraben wabern.

Der Tanz, bei dem die Menschen die Natur sanft stimmen möchten, wird bei Waltz zu einem Kampf der Geschlechter, bei dem sich das Unvermeidbare von Augenblick zu Augenblick unerbittlich zuspitzt. Brachiale Gewalt, Kopulationsszenen, ein rituelles Miteinander, Adorations- und Flagellationsbewegungen wechseln in einem furiosen Tempo ab. Zur Opferbestimmung lässt Waltz einen der Tänzer an den Bäuchen der Frauen hören. Eventuell aufkeimendes Leben ist auch in ihrer Sippenbildung offenbar schützenswert. Ein eindringliches Bild, das klar macht, dass diese Gesellschaft bestrebt ist, mit aller Gewalt – im wahrsten Sinne des Wortes – ihren Fortbestand zu schützen. Zwar tanzt das Opfer auch in dieser Choreografie bis zum körperlichen Zusammenbruch. Den finalen Todesstoß erhält es jedoch durch ein goldenes, überdimensionales Schwert, dass ich in den letzten Szenen langsam von der Decke herabsenkt, um am Schluss mit einem Ruck den Todesstoß zu markieren.

Das Publikum dankte mit langem Applaus und Bravo-Rufen.

Bereits am kommenden Wochenende gibt es ein zweites Highlight im Festpielhaus. Die franko-kanadische Truppe „Les 7 doigts de la main“, übersetzt mit „Die sieben Finger einer Hand“ zeigt aktuelle Zirkuskunst vom Feinsten. Selten zu sehen in Österreich! Deswegen hier unsere Empfehlung für die Produktion „Cuisine et confessions“.

Pin It on Pinterest