Auch Unterträgliches muss erzählt werden dürfen
Auch Unterträgliches muss erzählt werden dürfen
Michaela Preiner
Wer glaubt, dass die Videoeinspielungen auch zuhause am Bildschirm konsumiert werden könnten, irrt gewaltig. Denn die Räume mit ihren sensiblen Installationen sind wie atmende Wesen oder Zeitkapseln, welche bestimmte emotionale Stimmungen vermitteln, in die man augenblicklich eintaucht. Diese grandiose Ausstattung stammt von Max Kaufmann, Eva Grün und Mirjam Mercedes Salzer.

Dabei kommt man sich manches Mal vor wie in einem Hörsaal, dann wieder wie in einem Kino, in dem der virtuelle Sitznachbar unangenehm nah an einen rückt, um eindringlich von Ruth Klügers Kindheitstrauma während einer Filmvorführung zu erzählen. Man steigt aber auch in einen Luftschutzkeller hinab und findet sich dort plötzlich einem Zug im Dunkeln gegenüber, auf den man ins völlig Ungewisse zugeht.
Geräusche und Gerüche, der Wechsel von Licht und Dunkel, aber auch die ein- oder andere räumliche Überraschung fügen sich zu einem Gesamtkunstwerk, in dessen Mitte man sich befindet. Obwohl man sicher ist, „nur“ Videos gegenüberzustehen oder auch zu sitzen – je nachdem wie man es sich aussucht – glaubt man doch häufig, dass im nächsten Moment jemand aus dem Ensemble neben einem auftaucht, so geschickt haben die beiden Regisseurinnen die Settings installiert. Jedes für sich ein Meisterwerk, jedes für sich mit einem anderen Erzählschwerpunkt versehen und doch gehören sie alle puzzleartig zusammen und lassen ein Leben Revue passieren, von dem es Wert ist, mehr zu erfahren.
Die Kernbotschaft, die Ruth Klüger uns hinterlassen hat, kommt klar und deutlich an. Sie, die all das Grauen überlebt hat, um danach darüber zu berichten, musste fast ein ganzes Leben lang darauf warten, tatsächlich gehört zu werden. Klar und deutlich spricht sie aus, dass sie lange nicht verstehen konnte, dass niemand ihre Geschichte hören wollte, sie aber nicht dazu bereit war, ihre eigene Vergangenheit zu verleugnen und zu verdrängen. Und sie hinterlässt die Erkenntnis, dass die Weitergabe von Wissen, von dem, was man selbst erlebt hat, für alle Beteiligten heilsam sein kann. Nicht nur für jene, die erzählen, sondern auch für jene, die zuhören. Eine Tugend, die wir vielleicht gerade in Zeiten wie den unsrigen wieder kultivieren sollten.
Ein eindrucksvolles Theatererlebnis, ganz abseits von Theater, wie man es sich auch in regulären Spielzeiten idealer nicht vorstellen kann.