Eine der letzten großen Produktionen der Wiener Festwochen trug den Titel „Rohtko“. Mit diesem bewussten Schreibfehler des Namens von Mark Rothko verriet oder verbarg, je nachdem, wie man es interpretieren will, Łukasz Twarkowski sein Konzept, den Fragen nachzugehen: Was ist ein Original, was ist eine Fälschung, welcher Erzählung darf man im Kunstbusiness glauben und welcher nicht? Den Text steuerte Anka Herbut bei.
Fasziniert von der Möglichkeit, im Theater multimedial zu arbeiten, verwendete er für seine Arbeit eine große Menge an technischem Equipment, als da wären: Ein opulentes, wandelbares Bühnenbild, mit kleineren und größeren Räumen, welche das NY Chinarestaurant Mr. Chow aus den 70er-Jahren wiedergaben. Zusätzlich zwei metallene Container, die als asiatische Imbissbuden fungierten, sowie einer Crew, welche das Ensemble filmte. Diese Live-Aufnahmen wurden auf große Screens über dem Bühnengeschehen projiziert. Und, wie man aus dem Lehrbuch für Wahrnehmungspsychologie weiß, konzentrierte sich die Aufmerksamkeit des Publikums auf diese Projektionen, zumal das Geschehen darunter zum Teil auch gar nicht oder nur schwer zu sehen war. (Bühne Fabien Lédé, Kostüm Svenja Gassen)
Inhaltlich bot Twarkowski vier Stunden lang Nachhilfeunterricht in Bezug auf den Kunstmarkt und entzückte damit vornehmlich wohl jene, die davon entweder keine Ahnung haben, oder solche, die vom Kunstmarkt ausgeschlossen beziehungsweise zum Teil auch schon ordentlich gebeutelt wurden. Dies ließ sich aus dem heftigen Applaus ablesen, den die Aufführung sowohl bei der Premiere als auch am darauffolgenden Tag einfuhr.
Der Hauptplot – die Geschichte um die letzten Wochen im Leben des aus Lettland stammenden US-amerikanischen Künstlers Mark Rothko und seiner Frau Mell – verzahnte sich mit jenem Kunstskandal, der mit der Fälschung eines Rothko-Gemäldes einherging. Die bis dahin allseits geschätzte Galeristin Ann Freedman ging einer Kunstfälscherbande auf den Leim und verkaufte in der traditionsreichen Galerie Knoedler nicht nur einen falschen Rothko, sondern auch andere Fälschungen von namhaften amerikanischen Zeitgenossen.
Als dritten Layer verwies der Regisseur auf die Künstlerin Marta Zarina – Gelze, die sich 2014 wenige Wochen vor einer Performance, die sie in der Geburtsstadt von Rothko machen sollte, das Leben nahm. Last but not least gab es einen verkürzten Einblick in das aktuelle Geschehen des NFT-Marktes, der im Internet vornehmlich Käufer in Kryptowährung anzieht.
Die Umbauten wurden durch laute Rave-Musik begleitet, vorsorglich und zu Recht verteilte man beim Eingang Ohrstöpsel. Es mag wohl an der Fülle der Themen liegen und auch an den zum Teil gelängten Szenen, dass sich die Erzählungen im Laufe der vierstündigen Aufführung ausdünnten. Eine derzeit übliche Praxis, die bereits reichlich ausgereizt erscheint, durfte auch nicht fehlen: Die Verweise, dass man oder frau Schauspielerinnen und Schauspieler seien und die Rolle von XY verkörperten. Mit Freude darf man jenen Tag erwarten, an dem diese krampfhaften Realitätsbezüge der Vergangenheit angehören.
Letztlich jedoch war es weder die überbordende Technik noch die Sezierung der Kunstmarkt-Volten, die fesselten. Vielmehr – und das ist das Gute an dieser Inszenierung – beeindruckte das Ensemble mit seiner Schauspielkunst. Die Szene des jungen „Journalisten“, in welcher dieser jenem reichen Sammler auf den Zahn fühlt, welcher um 8,5 Millionen Dollar eine Rothko-Fälschung kaufte, ist dafür ein Beispiel. Großartig das Mienenspiel der beiden Männer, die zum einen Schadenfreude und zum anderen tiefe Enttäuschung, gepaart mit Rachegelüsten, ausdrückten.
Aber auch jene Szene, in welcher eine Künstlerin, die als Kellnerin im Chinarestaurant ihren Lebensunterhalt verdient und von einem Museumsdirektor eingeladen wird, ein von ihm erdachtes Performance-Konzept aufzuführen, zeugt von der hohen Schauspielkunst des Ensembles. Während die beiden essen, entwickelt sich eine Konversation, in welcher letztlich offen bleibt, ob der Reiz des Geldes und der zarte Duft von Ruhm reicht, um die unbekannte Künstlerin von ihren Prinzipien, nur ihre eigene Kunst zu präsentieren, abbringen werden.
Nach diesen Highlights sieht man auch darüber hinweg, dass die Figuren von Rothko und seiner Frau Mell in einer Schlafzimmerszene mehr als plakativ über die Bühnenrampe kommen. Schuld daran sind aber nicht die Darstellenden, sondern vielmehr die Führung der beiden Figuren. Eine ebensolche Kritik ist bei der Schluss-Szene angebracht, in welcher sämtliche Beteiligten sich zu einer Präsentation einer NFT-Aktion zusammenfinden und sich in White cubes über das neue Format unterhalten. Und zwar so, als wären NFTs nichts anderes als Gemälde, die man sich wie eh und je in Galerien ansieht.
Als nützliche Draufgabe bot der informative Text des Programmzettels den Hinweis auf die unterschiedlichen, kulturellen Zugänge zu original erhaltener oder auch nicht original erhaltener historischer Architektur. Der Begriff des Originals wird in China gänzlich anders bewertet als bei uns. Eine der seltenen humorigen Momente resultierte aus diesem Wissen in einem knappen Dialog: Ein asiatisches Paar spaziert ungeniert ins Rothko-Schlafzimmer und stellt dabei lapidar fest, dass es sich die Menschen im Westen wohl extrem schwer machen würden. Die Lacher kommen hier zur rechten Zeit, die Düsternis der Szene davor wähnte lange und wenig packend.
„Rohtko“ von Łukasz Twarkowski bot dem Publikum eine gemischte Kost. Tolle schauspielerische Leistungen und intensiv recherchierte Storys trafen auf eine künstlerische Leitung, deren Freude an Opulenz, welche die Arbeit am Theater bieten kann, bis in die letzten Regiefalten auskostete. Bis dahin, wo eine Fülle auch zur Überfülle werden kann.
Ausgiebige Bravi an: Juris Bartkevičs, Kaspars Dumburs, Ērika Eglija-Grāvele, Yan Huang, Andrzej Jukubczyk, Rēzija Kalniņa, Katarzyna Osipuk, Artūrs Skrastiņš, Mārtiņš Upenieks, Vita Vārpiņa, Toms Veličko, Xiaochen Wang
Ob die Mahlzeit, die sich der asiatische Koch und die asiatische Köchin per Essensboten holen ließen, für den Eigenverzehr gedacht war, oder einem ahnungslosen Kunden als Gericht eigener Produktion weiterverkauft wurde, bleibt unklar. Der Gast hat sich die Herkunftsfrage jedenfalls nicht gestellt, sondern sich lediglich über den guten Geschmack gefreut. Der Vergleich zwischen der Fälschung und Herkunftsfrage eines millionenschweren Bildes und einer Box mit Frühlingsrollen hinkt zwar, bietet aber zumindest ein nettes Small-talk-Futter bei Vernissagen.