Recht muss nicht zwangsläufig Gerechtigkeit bedeuten.
20. März 2024
Mit „Prima facie“ ist im Schauspielhaus in Graz ein packender Theaterabend zu erleben. Das Drama von Suzie Miller betrifft Frauen, aber auch Männer und regt zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema 'sexueller Missbrauch' an.
Michaela Preiner
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Foto: (Lex Karelly)

Vor vier Jahren wurde das One-woman-Stück „Prima facie“ der Autorin Suzie Miller in Sydney uraufgeführt. Seither erlebt es einen Siegeszug in vielen Ländern rund um die Welt. Zu verdanken ist dieser Erfolg der intelligenten Geschichte, die zugleich einen Zeitnerv trifft.

Die junge Londoner Rechtsanwältin Tessa vertritt in Strafprozessen häufig Männer, die der Vergewaltigung bezichtigt werden. Durch und durch vom angelsächsischen Rechtssystem überzeugt, fasst Tessa ihre Verteidigungsreden als sportliche Herausforderung auf und gewinnt damit häufig. Die aus ärmlichen Verhältnissen stammende Frau muss jedoch eines Nachts am eigenen Leib erfahren, was es heißt, vergewaltigt zu werden.

Luisa Schwab, Anna Rausch, Otiti Engelhardt (c) Lex Karelly

Luisa Schwab, Anna Rausch, Otiti Engelhardt (c) Lex Karelly

Obwohl sie sich bewusst ist, dass die Anzeige, die sie daraufhin bei der Polizei macht, für sie unter Umständen nicht positiv ausgehen wird, wagt sie dennoch diesen Schritt. Auf den Prozess muss sie über eineinhalb Jahre warten. Alleine das schon eine ungeheure Zumutung für eine traumatisierte Person. Es ist jedoch ihr Gewissen, dem sie folgen muss, um sich – egal ob der Prozess für oder gegen sie entschieden wird – im Spiegel weiterhin ansehen zu können. Letztlich tritt jedoch der von ihr befürchtete Supergau ein. Der Vergewaltiger, ein ehemaliger Arbeitskollege, wird freigesprochen. Nicht zuletzt spielt dabei sein wesentlich höherer sozialer Status reine Rolle. Damit zeigt Miller auch ein Machtgefälle auf, das Frauen in vielen Fällen von Haus aus zu den Unterlegenen abstempelt.

Unter der Regie von Anne Bader spielt Anna Rausch die Juristin, als ob es kein Morgen gäbe. Mal ist sie mitten im Publikum, dann wieder alleine auf der Bühne, mal wird sie von zwei Alter-Egos unterstützt (Luisa Schwab und Otiti Engelhardt), dann findet sie sich im Kreuzverhör wieder. Die Idee, den Monolog durch zwei weitere Figuren zum Teil aufzuteilen, stammt von der Regisseurin Anne Bader. Auch mithilfe des gelungenen Bühnenbildes von Hannah von Eiff, schafft sie dadurch Räume und Situationen, die über die Form eines starren Monologes hinausgehen.

Anna Rausch (c) Lex Karelly

Anna Rausch (c) Lex Karelly

Immer wieder poppen kleine, enge Kämmerchen mit greller Beleuchtung auf, so in der Szene, in welcher Tessa bei der Polizei ihre Aussage macht. Aber auch das Setting kurz vor dem Gerichtsprozess wird so wiedergegeben. Gerade die Enge und das kalte Licht vermitteln gut einen emotionalen Zustand, der von Angst und Unsicherheit geprägt ist.

Suzie Miller zitiert in ihrem Drama immer wieder geltendes Recht aus Großbritannien, das sich doch erheblich vom österreichischen unterscheidet. Gleichwohl werden Männer auch in unserem Land in vielen Fällen aufgrund mangelnder Beweise freigesprochen. Das Leid, aber auch die Pein von Befragungen, in vielen Fällen auch von Männern durchgeführt, bleibt dort wie da aber immer bei den Frauen.

Die Eindringlichkeit, mit welcher Anna Rausch sowohl die erfolgreiche Karrierefrau als später auch die missbrauchte Kollegin spielt, ist atemberaubend. Im Laufe der Vorstellung wird klar – und das ist das Hauptverdienst der Autorin – dass das geltende Recht für viele Frauen schlicht unbrauchbar ist. Wie man es auch dreht und wendet.

Kluge Regie-Einfälle, bei welchen sich viele Frauen im Publikum direkt angesprochen fühlen, tragen auch zum Erfolg dieses Abends bei. Standing Ovations – und dies nicht bei der Premiere – sind in Graz eher selten. Dem Ensemble von „Prima facie“ ist dies jedoch gelungen.