Mit dem Festival „Premieres 2009″, welches bereits seine 5. Fortsetzung in diesem Jahr am Nationaltheater und verschiedenen Dependancen in Straßburg fand, bot das TNS in Zusammenarbeit mit dem Maillon vom 4. bis 7. Juni einen kleinen Einblick in zeitgenössisches, junges Nachwuchstheater. Exemplarisch für die 10 Aufführungen möchte ich Ihnen von zwei Arbeiten berichten, die sich nicht konträrer zeigen hätten können.
Hamletmachine & the man in the elevator
Die erste, „Hamletmachine & the man in the elevator“ , basierte auf der Grundlage zweier Texte des deutschen Dramatikers Heiner Müller und wurde von den beiden Jungregisseuren Oystein Ulsberg Brager und Philip Thorne in englischer Sprache auf die Bühne gebracht. „Hamletmaschine“ stammt aus dem Jahr 1988 und „Der Mann im Aufzug“ aus dem Jahre 1977, für die beiden Nachwuchskünstler also genau genommen „historische“ Texte.
Während Hamletmaschine sich mit einer Annäherung an die Thematik von Shakespeare aus der Sicht des 20. Jahrhunderts unter dem Blickwinkel der DDR-Problematik beschäftigt, zeigt der zweite Text die Nöte eines Angestellten, die sich wie Abgründe in der Fahrt mit einem Lift zu einer Besprechung mit seinem Vorgesetzten auftun. Mit Hannah Boyde und Samuel Metcalfe gelang eine Besetzung, die sich einerseits unverbraucht und textsicher präsentierte, der jedoch die Tiefgründigkeit der Müller´schen Werke andererseits beinahe zur Falle wurde. So war wohl ihre Jugend in mehreren Passagen ein Grund, warum sich gewisse Reflexionsmomente nicht als solche zu erkennen gaben. Hier wird einzig die Erfahrung die schauspielerische Leistung stärken können, die ja erst durch die Erprobung an vielen unterschiedlichen Charakteren zustande kommt. Ein weiterer Grund, warum einiges an Müllers Textschärfe verlorenging, war die allzu rasche Abfolge von Regieeinfällen, die bis hin zu einfachen Gags verkamen und so den ohnehin nur kurzen Handlungssträngen ihre Brisanz nahmen.
Die gute Grundidee der beiden Regisseure, zwei bekannte und bisher in unterschiedlichen Varianten zur Aufführung gebrachte Stücke ineinander zu verschränken, war das große Plus der Aufführung, der allzu flapsige Umgang mit dem Inhalt, bzw. die sorglose Eigeninterpretation und Auslegung bis hin zu einer Zweierkiste, mag wohl als gezollter Tribut an das Experimentierstadium angesehen werden, in dem sich die jungen Regisseure noch befinden. So lag die Interpretation streckenweise nahe im Bereich des absurden Theaters, welches sich in der literarischen Vorlage nicht in diesem Ausmaß finden lässt und Heiner Müllers Sozialkritik an totalitären Regimen blieb gänzlich im Verborgenen. Vielleicht tun die beiden Regisseure gut daran, sich das nächste Mal mit Stücken ihrer Generation auseinanderzusetzen. Zumindest verkleinert dies sicherlich die Gefahr einer Mißinterpretation.
Will you ever be happy again
Erinnerte die Heiner Müller-Aufführung größtenteils an bemühtes Jugendtheater, so war bei der Produktion „Will you ever be happy again“ trotz exzessiven theatralischen Regressen in die Jugendzeit der Theatermacherin Sanja Mitrovic, davon kein Stäubchen mehr zu spüren.
Ihr packender Theaterabend, der sich mit ihrer eigenen, politisch bestimmten Vergangenheit in Ex-Jugoslawien auseinandersetze, generierte zum spannenden und kurzweiligen Geschehen, mit einer Unzahl an geöffneten Gedankentüren, die, obgleich nur mit sparsamsten Mitteln auf der Bühne angesprochen, noch lange intensiv nachwirkten. Der jungen Serbin, die derzeit ihren Hauptwohnsitz in Amsterdam hat, gelang nicht nur eine Replik auf ihre Jugendzeit, sondern auch eine aktuelle, soziologische, kurz gefasste Zustandsbestimmung junger Mitteleuropäer mit balkanischem Migrationshintergrund und Hinweisen auf jederzeit wieder hochflammbare Nationalismen. Um dies zu verdeutlichen, sang sie mit ihrem Bühnenpartner Jochen Stechmann im letzten Bild teils abwechselnd, teils gleichzeitig, Gassenhauer und Anfeuerungsrufe, wie sie bei Fußballspielen verwendet werden, um diese Gesänge dann in Hasstiraden gegen Kroaten und Zigeuner ausklingen, besser ausschreien zu lassen.
Davor aber schuf sie ein Kaleidoskop aus Bildern und Befindlichkeiten ihrer Kinder- und Jugendzeit, die geprägt war von politisch motivierter, schulischer Erziehung und ebensolchen Spielen zuhause mit ihren Freunden oder später in der Jugendarbeit der Pioniere. Das Kinderspiel, das zu Beginn der Vorstellung zeigte, dass der ehemalige Feind, der deutsche Soldat, noch in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in der Generation von Mitrovic tradiert wurde, führte sich im Laufe des Abends ad absurdum. Der Feind, so zeigte die junge Theatermacherin mehr als deutlich, war plötzlich in den eigenen Reihen zu finden. Diese Irritation zog sie als eines der Hauptmotive bis zum Schluss durch. Besonders eindrucksvoll gelang ihr jene Passage, in welcher sie anhand eines alten Volksschulheftes, deren Seiten sie nacheinander umblätterte und mit Hilfe einer Kamera an die Wand projizierte, ihre Kinderzeichnungen präsentierte und völlig neutral sprachlich kommentierte: Die erste Sonne, der erste Baum, die ersten beiden Soldaten, der erste brennende Baum, die ersten Bomben. Es bedurfte keiner weiteren Erklärung, das Publikum musste sich mit Hilfe von
Verlegenheitslachern aus der absurd aufgezeigten, grauenvollen Situation, dargestellt anhand einer einfachen Zeichnung in einem Schulheft, selbst befreien. Weiter ging der Rückblick mit einer eindringlichen Szene, in welcher sie sich mit Dinaren Glück erkaufen wollte. Sie legte einen Schein nach dem anderen auf, von 5 Dinar über 50, 500, 5000, 50000, 500000 usw. bis hin zu 5 Billionen, ohne jedoch das Erwünschte von ihrem Partner zu erhalten. Die völlig entwerteten, letzten Geldnoten kommentierte dieser nur ganz lapidar, indem er die Nullen darauf abzuzählen begann und bemerkte, dass die Abgebildeten auf diesen Scheinen wohl samt und sonders nicht glücklich aussähen. Mit kleinstem Aufwand gelang es Sanja Mitrovic hier, eine gedankliche Komplexität zu schaffen, die weit über das Phänomen der Geldentwertung im ehemaligen Jugoslawien hinausging. Glück, Geld, politische Vergangenheit, Wünsche, Hoffnungen, Desillusionen waren komprimiert in diesem einfachen und umso wirkungsvolleren Bild enthalten, das, einmal gesehen, in unserer Erinnerung verankert bleibt. Die Handlungsverschränkung mit der Familiengeschichte des Deutschen Jochen Stechmann, der diese kurz und prägnant anhand des nationalsozialistischen Arierpasses seines Vaters nachwies, hob ihre eigene Geschichte in die Sphäre der ewigen Wiederholungen von Unglück, Verdrängung, Schuld und Leid, ausgelöst durch politische Zustände in die man geboren wird, und denen man scheinbar nicht entkommen kann. Sanja Mitrovic bestach nicht nur durch ihr Stück, sondern vor allem auch durch ihre Bühnenleistung, die intensiver nicht ausfallen hätte können. Jochen Stechmann hielt im wahrsten Sinne des Wortes „standhaft“ mit, so wie es ihm die Rolle auch vorschrieb. So genial die Aufführung, die hier nur ansatzweise wiedergegeben werden kann war, so schwer werden es nachfolgende Schauspielerinnen haben, diese Intensität, die aus der persönlichen Erfahrung von Mitrovic genährt ist, auf die Bühne zu bringen. Wie sehr die Künstlerin noch in ihrer eigenen Vergangenheit gefangen ist, wurde auch deutlich, durch die indirekte Anklage der Natobombardierung, die aus ihrer Sicht – so klang es zumindest im Stück durch – zu verurteilen war. Wahrscheinlich müssen noch einige Jahre, vielleicht auch Jahrzehnte vergehen, um diesen Akt neutraler beurteilen und verarbeiten zu können – so wie es nach dem zweiten Weltkrieg auch viele deutsche Schriftsteller wie zum Beispiel Wolfgang Borchert geschafft haben. Aber diese Geschichte wird erst geschrieben werden, vielleicht auch noch von Sanja Mitrovic.