Kevin Rittberger ist in Wien kein Unbekannter mehr. Das „Stammhaus“ des mehrfach ausgezeichneten Dramatikers und Regisseurs ist hierzulande das Schauspielhaus in der Porzellangasse, das ihn auch in dieser Saison mit einem neuen Stück zu Wort kommen lässt. „Zu Wort kommen“ ist wohl etwas untertrieben, denn in der beinahe 2stündigen Produktion hat das Ensemble viel Text zu absolvieren und tut dies auch mit Bravour. Einen nicht unbeträchtlichen Textteil widmet der Autor einer Annäherung an den Begriff Besitz und untermauert dies auch mit mehrfachen Hinweisen zu Philosophen, die sich mit dieser Thematik beschäftigten. Rousseau, Hobbes, Marx und Engels sowieso, sie alle standen vor der Herausforderung, „Einhegungen“, wie Rittberger die Eigentumsaneignung nennt, zu analysieren und sie zu verteidigen oder auch zu verdammen. Je nach philosophischem Ansatz. Zugleich versucht Rittberger dem aktuellen Demokratieverständnis der Menschen auf den Grund zu gehen und beginnt dabei ganz von vorne: Wie in einer universitären Semesterarbeit seziert er Begriffe wie „Volk“, um es als altmodisch und nicht mehr brauchbar abzustempeln. Das „Volk“, das bei ihm seinen Namen nicht mehr verdient, steht zwar nach wie vor im Gegensatz zur vermögenden Klasse, aber es versteht sich nicht mehr als ein Gemeinschaftswesen, das sich seiner eigenen Macht bewusst ist. Vielmehr agieren Männer und Frauen, die sich für eine Veränderung der Verhältnisse einsetzen, eher als Einzelwesen, die von einer nicht ganz durchschaubaren Organisation gegenseitig zugewiesen werden, um gegen die Besitzelite anzukämpfen. Wobei das Wort kämpfen eines ist, das sie tunlichst vermeiden wollen. Nicht nur das Wort an sich, sondern sie gehen in ihrer Revolution von gewaltfreien Aktionen aus mit welchen sie die Besitzverhältnisse verändern wollen. Sie – Barbara Horvath, Steffen Höld, Gideon Maoz und Hanna Eichel agieren als „Paarzellen“ und setzen Gewalt nur gegen sich selbst ein, um eine Umverteilung des Kapitals zu erreichen. Dass diese Gewalt sich ausschließlich gegen die Frauen richtet, ist ernüchternd. Diese agieren als Putzfrauen obgleich sie einen Abschluss in Atomphysik vorweisen können oder als einfältige Feldarbeiterinnen und werden von ihren Partnern angeschossen oder blutig geschlagen, um bei ihren DienstgeberInnen den Eindruck zu erwecken, deren Besitz mit dem Einsatz ihres eigenen Körpers gegen mutmaßliche Räuber verteidigt zu haben.
Aber nicht nur diese Idee führt sich schließlich ad absurdum. In großen, durchkomponierten Handlungsvolten stellen sich die Verhältnisse mehrmals auf den Kopf und was als Masterplan ausgeführt hätte werden sollen, um zum Erfolg zu führen, endet in einer nicht vorhersehbaren Aktion, die allgemeines Chaos und Flucht auslöst. Der Notar (Thiemo Strutzenberger), der ungeachtet des gesellschaftlichen Befindens wie ein Fels in der Brandung allen Besitzverhältnissen ihren notariellen Stempel aufdrückte, spielt das gewaltfreie Spiel nicht mit und legt Hand gegen sich selbst an. Da bleibt der „einhausenden“ Villenbesitzerin (Myriam Schröder) nichts anderes übrig als theatralisch in Ohnmacht zu fallen. Wenn das mit Amt und Siegel verbriefte Recht, das sich auf einen vermeintlichen gesellschaftlichen Konsens beruft, nicht mehr gilt, hat sie auf allen Ebenen verloren. Da nützt es ihr nichts, dass sie mehrfach beteuert doch alles allen geben zu wollen würde man nur vernünftig mit ihr reden. Und doch bleibt ihresgleichen zum Schluss siegreich. Rittberger setzt allen Umstürzen zum Trotz eine abermalige Einzementierung der bestehenden Machtverhältnisse ans Ende seines Stückes. Und beraubt dadurch jene ihrer Hoffnung, die – auf welche Weise auch immer – daran glauben, den Unterschied zwischen „Einhegern“ und „Aushegern“ – also Besitzenden und Armen in Zukunft auflösen zu können.
Was hier in der Replik etwas kopflastig klingen mag, ist dies auch über Strecken auf der Bühne und dennoch setzt Rittbergers eigene Regie mit eindringlichen Bildern auch kräftig dagegen. So stellt er das vergeistigte, vermögende Paar den Habenichtsen gegenüber die, obwohl zumindest in einer kleinen Gruppe zusammengeschlossen, kläglich an ihrer Minirevolution scheitern. Sätze wie „macht nicht das Falsche, aber Macht ist das Falsche“, „jede neue Zeit braucht seine Wissenschaft“ oder „wir sind friedlich – das kann er (gemeint ist der Notar) sich nicht vorstellen“ stellen so etwas wie die zarten Pflänzchen einer ungeschriebenen neuen Weltordnung dar, bleiben jedoch letztendlich ohne weitere Wirkung. Die musikalische Untermalung, die stellenweise das Geschehen in die Nähe von Filmszenen rückt, besticht und verfehlt emotional nicht seine Wirkung. Sie vermittelt eindeutig: Hier wird doch nur gespielt, und das Publikum weiß, dass es anschließend unbeschadet nach Hause gehen wird.
Was bleibt, ist die Anregung, Eigentum nicht nur als unumstößliches historisches Produkt zu begreifen, sondern als angreifbares und veränderbares Konstrukt, das auch ganz anders, als es jetzt der Fall ist, gedacht werden kann. Ein Stück mit enormer Sprengkraft, das aber aufgrund der Aussicht, dass es auch zukünftig ein Oben und ein Unten gibt, zugleich sein revolutionäres Potential gnadenlos einbremst.
Nicht nur sehens- sondern vor allem nachdenkenswert.