Das Gelbe hab ich selbst gemacht

Das Gelbe hab ich selbst gemacht

Michaela Preiner

Foto: ( )

23.

April 2015

Der hohe, entkernte Ausstellungsraum im mumok ist zu einem Drittel mit kleinen Lederstühlen für das Publikum bestückt. Davor liegen verschieden große, rechteckige Platten auf einem kleinen Podest am Boden. Philipp Gehmacher trägt hellgraue Jeans und ein bedrucktes Shirt. Bunte Streifen heben sich vom dunklen Blau darauf ab, die Aufschrift „fade out“ ist zu erkennen.

Philipp Gehmacher eröffnete mit „my shapes, your words, their grey“ die „feedback 3rd edition, Platform of the current dance and performance scene in Austria from the perspective of Tanzquartier Wien“. Einer etwas sperrig klingenden Veranstaltung, bei der an vier Tagen ein Remix von insgesamt 13 Performances gezeigt wird. Eine zweitägige Konferenz mit über 70 internationalen Teilnehmenden macht deutlich, dass sich Wien mit seinem Tanzquartier in großen Schritten zu einem internationalen Zentrum dieser Kunstgenres mausert.

Der hohe, entkernte Ausstellungsraum im mumok ist zu einem Drittel mit kleinen Lederstühlen für das Publikum bestückt. Davor liegen verschieden große, rechteckige Platten auf einem kleinen Podest am Boden. Philipp Gehmacher trägt hellgraue Jeans und ein bedrucktes Shirt. Bunte Streifen heben sich vom dunklen Blau darauf ab, die Aufschrift „fade out“ ist zu erkennen. Sie ist eigentlich Programm an diesem Abend. Ausblenden, verblassen ist die korrekte Übersetzung und sicherlich hat der Tänzer und Choreograf, der seit dem Bestehen des Tanzquartiers eng mit diesem verbunden ist und in Wien lebt, dieses Shirt bewusst gewählt.

Nachdem einfache, ohrschmeichelnde Akkordfolgen, von Gérald Kurdian live auf einem Tablet intoniert, langsam leiser werden, beginnt Gehmacher mit einer grauen Platte in der Hand über die Farbe Grau an sich zu sprechen. Darüber nachzudenken, was mit ihr verbunden wird. Mit jener Mischfarbe aus schwarz und weiß, die sich aufs Gemüt legt. Die Seelen- und Lebenszustände charakterisiert, denen das Prickeln abhanden gekommen ist. Währenddessen sind es immer und immer wieder kleine Bewegungen der Arme, des Kopfes oder der Augen, die irritieren. Die einen Körper in einem Zustand beschreiben, der nicht harmonisch ist. The white cube und die black box, die Bezeichnungen für die weißen Ausstellungsflächen und den dunklen Raum eines Theaters werden im Nu in seinen Betrachtungen miteinander vermischt und machen deutlich: Das ist es, was ich hier zeige. Alle schubladisierten Zuordnungen von Kunstgenres sind aufgehoben. Nichts mehr dort, wo es vermeintlich noch hingehört.

Allmählich hebt der sympathische Tänzer, Choreograf, Performer, eine Platte nach der anderen auf, um sie entlang von zwei Wänden zu platzieren. „Stellprobe“ nennt sich im Ausstellungsbetrieb jene Aktion bei der, bevor die Bilder endgültig gehängt, diese erst einmal am Boden abgestellt werden. Sätzen wie „I`m done with apologizing, he said“ oder „no point in being dramatic“ finden sich auf einigen Bildern, andere wieder sind grau, eines gelb, auf einigen sind Fotos zu erkennen. Die Positionierung deutet auf ein geschultes Auge (Stephanie Rauch), die Ideen, die der Künstler sprachlich dabei mitteilt, sind in der bildenden Kunst verankert. Er zitiert „Eight Grey“ von Gerhard Richter oder entwickelt André Malreauxs „musée imaginaire“ weiter, indem er das Publikum anleitet, sich ein Familienportrait auf einem der monochromen Tafeln vorzustellen.

Vom bildenden Künstler zum Tänzer

Philipp Gehmacher (c) Eva Würdinger

Philipp Gehmacher (c) Eva Würdinger

Je weiter die Ausstellungsaufstellung voranschreitet, umso stärker werden aber die tänzerischen Elemente. Die Sprache verliert sich zusehends, erneut erobert Musik den Raum. Die leichtgewichtigen Platten mutieren zu schweren Bürden, zu Demonstrationstransparenten oder auch Decken unter denen sich Gehmacher zum Ausruhen hinlegt. Aus dem eloquenten Künstler, der mit Witz und Charme zu Beginn sein Publikum unterhielt wird zusehends eine schutzbedürftige Person. Ein hochgekrämpelter Ärmel und ein Klopfen in der Armbeuge erzeugen in Sekundenschnelle die Assoziation zur Vorbereitung einer Blutabnahme. Gehmachers ausgestreckter Körper am Boden, die Arme in die Luft gestreckt evozieren das Bild eines kranken Menschen, der in seinem Spitalsbett versucht, sich am Haltegriff über ihm hochzuhieven. Kleine, kurze Bewegungsmuster, manche davon indifferent, andere wieder klar und deutlich, überlagern nun das zuvor bildhafte Ausstellungsszenario.

Die Einspielung vom Geräusch eines prasselnden Regens und vorbeifahrenden Autos lädt den Raum mit ganz neuen Inhalten auf. Als lebende Skulptur stellt sich Gehmacher in ein Eck, dem Publikum zugewandt. Verdeckt sein Gesicht, ob zum Schutz, oder als Geste von selbst auferlegter Blindheit, ist dabei nicht mehr ausschlaggebend. Denn längst ist es das Kopfkino, das die Regie übernommen hat. Die Achtsamkeit auf kleinste Bewegungseinheiten und auf die Geräuschkulisse, die zwischen musikalischen Ereignissen und akustischen Alltagssituationen pendelt, nimmt zu. Das Sein im Hier und Jetzt, oft propagiert und selten tatsächlich erlebt, wird spürbar. Die Fragilität des menschlichen Lebens liegt offen, zur Verhandlung. Und das inmitten eines Surroundings, das künstlicher nicht sein kann. „Das Gelbe hab ich selbst gemacht“ sagt Gehmacher an jener Stelle, an der er eine kleine, gelbe Leinwand in die Hand nimmt und sie in einen positiven Bedeutungsrahmen stellt. „Das ist keine Performance über eine Depression“ – diesen eingangs zitierten Satz unterstreicht dieses kleine, unscheinbare, beinahe monochrome Bild nun ganz stark. Eine Depression in Gelb kann man sich nicht vorstellen. Und ein graues Leben, das sich plötzlich gelb färbt, ist keines mehr, über das bedeutungsschwanger melancholisch sinniert werden muss.

Spätestens jetzt ist alle graue Theorie vergessen. Der Blick auf die Arme, die ausgestreckt hinter dem Körper Flügelbewegungen von Tragflächen imitieren, der erhobene Kopf, der in einer imaginierten Ferne etwas auszumachen scheint, der Hinweis auf die graue Mutter, die plötzlich gelb wird, all das schwappt ins Bewusstsein ohne sich je dorthin einen brachialen Zugang gesucht zu haben. Es schleicht sich vielmehr ein und nimmt uneingeschränkt Besitz von der eigenen Wahrnehmung. Zwar wird diese Manipulation bewusst erlebt, aber sie stört nicht, leitet hin zu Gedanken, die längst überflüssig waren und erzeugt ein Gefühl von Empathie und Solidarität mit jenem Mann, der in Personalunion so viele Personen, Figuren und Erlebnisstadien vorführt, ohne dass man dabei schwindlig geworden ist. So wie er die verschiedenen Kunstgenres miteinander verschränkt, so schlüpft er auch ohne Brüche von einem Charakter in den nächsten ohne dass die Übergänge bewusst wahrnehmbar wären.

Abseits der angelegten Bühnensituation betrachtet Philipp Gehmacher seine aufgebaute Ausstellung noch einmal wortlos, um dann abschließend das Wort zu ergreifen. Mit zwei Postskripten entlässt der Kreative sein Publikum schließlich. Zuerst mit der Erzählung der Geschichte eines Onkologen, der selbst an Krebs erkrankte, sich Auszeit von seinem Job nahm, um aufs Land zu fahren und dort mit den Füßen im eiskalten Flusswasser an seine Zeit als junger Mann zurückzudenken. Und dann mit der Wiedergabe einer Unisono-Stelle eines Streichorchesters, die nichts anderes hörbar macht als eine auf- und abgespielte Tonleiter. Das überschwängliche Lob, wohl des Dirigenten, das danach zu hören ist, ist wie ein Fingerzeig: Schaut hin und hört. Das Einfache ist das Schönste. Dass das Leben nicht einfach ist, weder in seiner beruflichen Konnotation, noch in seiner körperlichen Verfasstheit. Dies ist nicht wegzuleugnen und wird auch in seiner Problematik in dieser außergewöhnlich ästhetischen Inszenierung vermittelt. Aber es erhält eine große Portion Würde an diesem Abend, egal, wie zerbrechlich und ephemer es auch immer ist. Das „fade out“ wird in „my shape, your words, their grey“ zum unübersehbaren Bestandteil unseres Daseins erklärt, obwohl der Holzhammer dieser Erkenntnis sich an keiner Stelle offenbart. Es sind die homöopathischen Dosen der Bewegungen, die hier wirken.

Philipp Gehmacher kann man getrost als Denker unter den Choreografen bezeichnen, denn er schleust in dieser 2013 entstandenen Produktion Neues, eigentlich Revolutionäres in den Kulturbetrieb. Ohne dabei auch nur einmal das Gefühl einer martialischen Avantgarde bemühen zu müssen. Das ist große Klasse.

Ein gelungener Festival-Auftakt in Anwesenheit des Bundespräsidenten Heinz Fischer und seiner Gattin. In der anschließenden Eröffnungsrede erinnerte er nicht nur an das Gezänk anlässlich des Ausbaus des Museumsquartiers, sondern er verwies auch auf die gestiegene Akzeptanz des zeitgenössischen Tanzes in Österreich und strich dabei die Rolle des TQ besonders hervor.

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