Philosophisches bis es kracht

Philosophisches bis es kracht

Michaela Preiner

Foto: ( )

2.

August 2016

Lässt sich Philosophisches auf einer Bühne, in einem theatralen oder musealen Umfeld darstellen?

Wie lässt sich Philosophisches im Umfeld eines Museums platzieren? Kann man heute noch über „Wahrheit“ nachdenken, ohne die Atomisierung dieses Begriffes im 20. Jahrhundert mitzudenken?

Im Rahmen der Reihe „philosophy on stage“, in Zusammenarbeit mit dem Tanzquartier, hat Peter Stamer sein Projekt „On Trhuth and lie in an extra-moral sense by Friedrich Nietzsche (1873)“ gemeinsam mit Frank Willens bereits 2015 auf der Bühne der Halle G des Museumsquartiers präsentiert. Nun wurde es im musealen Umfeld, im mumok, anlässlich des ImpulsTanz Festivals aufgeführt. Passend zu jenem Festival-Schwerpunkt, in dem das Wechselverhältnis zwischen Tanz und bildender Kunst untersucht wird.

Stamer und Willens verwenden dabei einen posthum erschienen Nietzsche-Text, in welchem dieser anhand von sprach-philosophischen Untersuchungen Fragen zur Wahrheit stellte. In Interaktion mit dem Publikum startet die Performance im Vorraum des letzten Untergeschoßes. Der Rollbalken zum angrenzenden Ausstellungssaal ist bis auf wenige Zentimeter herabgelassen. Während sich Willens wie ein Wurm am Boden windet, sich unaufdringlich seinen Weg vorbei am Publikum in Richtung Rollbalken bewegt, überlegt man noch, warum der Eingang zum „Allerheiligsten“ eines Museums denn geschlossen bleibt.

Wenige Augenblicke später, nachdem der Tänzer sich unter der Saalbarrikade durchgewunden hat, rollt das Tor auf, sodass auch das Publikum eintreten kann. Ein großer Bretterverschlag steht im vorderen Saalbereich, den Willems mühselig zu erklettern versucht. Zuerst, ohne seine Beine benutzen zu können, dann gewinnen seine Beinmuskeln an Kraft und er geht in den menschlichen Zustand des „Sich-aufrecht-Fortgewegens“ über. Nun gilt es, die Bretterbude Schritt für Schritt nach oben zu erklimmen. Dort einmal tatsächlich angekommen, beginnt er Nietzsches Text zu rezitieren. Nicht auf Deutsch, sondern in Willems Muttersprache Englisch. „Wir haben versucht, wie es sich anhört, wenn Frank den Text auf Deutsch sagt, aber davon sind wir abgekommen. Es wäre eine eigene Sprache gewesen, die so nicht funktioniert hätte“, erläuterte Peter Stamer bei einem Interview.

Es braucht ein wenig, bis man dem Redefluss halbwegs folgen kann, Willems verändert auch öfter seine Standposition, aber als er schließlich die philosophische Sprachabstraktion durchbricht und das Publikum direkt fragt, ob es denn erklären könne, was denn ein Hamburger sei, darf der Aufmerksamkeitspegel ein wenig gesenkt werden.

Die Konzentration ist bei einem philosophischen Text anders gefordert als bei der versuchten, einfachen Visualisierung eines Alltagsobjektes. Ein Hamburger, ein Cappuccino, er erklärt ausführlich, mit welchen Begriffen diese Dinge aufgeladen sind, um danach in einer langen Objektaufzählung klar zu machen, dass jeder Begriff nur eine Annäherung, ein Symbol für etwas sein kann, das man aber auch anders definieren könnte.

Die Kommunikation des Menschen besteht bei Nietzsche aus einem Konstrukt, das, unter genauerer Betrachtung, in sich zusammenfällt wie ein Kartenhaus. Und tatsächlich klappt der Holzverbau mitten in der Performance wie aus dem Nichts unter lautem Getöse in sich zusammen, sodass Willems Mühe hat, unbeschadet diesen Zusammenbruch zu überstehen.

Wann hat man schon einmal eine philosophische Erkenntnis als Schrecksekunde erleben können? Die perfekte, theatralische Inszenierung schafft dies, sodass man nicht nur über die Art und Weise, wie Stamer und Willems dies umsetzten, schmunzeln kann, sondern vor allem auch über sich selbst.

Bald danach wird man Zeuge, wie sich Willems vergeblich bemüht, sein Holzkonstrukt wieder zu ordnen. Die Zerstörung ist nicht wiedergutzumachen. Die Erklärungen, die er anschließend entlang der ausgestellten Bilder der Ausstellung „Malerei 2.0“ abgibt, auch sie beziehen sich auf Nietzsches Text.

Tanzquartier Wien: SCORES. Philosophy on Stage # 4 (c) eSeL.at

Tanzquartier Wien: SCORES. Philosophy on Stage # 4 (c) eSeL.at

Es ist die Kunst, die sich laut Nietzsche dem intuitiven Menschen eröffnet und mit Hilfe derer er versucht, sich eine „Erhellung, Aufheiterung und Erlösung“ im Leben zu schaffen – diese Worte sind es schließlich, die erklären, warum die Performance keinen besseren Platz als in einem Museum finden hätte können. Dass am Ende der Bilderreihe, kurz bevor man in den Vorraum kommt, eine Kreuzigungsszene hängt, empfand Stamer „als ein Geschenk“. „Im Leide ist er dann ebenso unvernünftig wie im Glück, er schreit laut und hat keinen Trost“, sind Nietzsches Worte, die passender nicht als Abschluss gewählt werden hätten können.

Die Philosophie des 20. Jahrhunderts ist nur zu verstehen, wenn man Nietzsches Abhandlungen zumindest als Teilbasis erkennt. Nicht umsonst haben sich auch Foucault und Deleuze immer wieder mit ihm kritisch auseinandergesetzt. Allein schon deshalb macht es Sinn, mit einer Performance auf dieses philosophische Urgestein wieder aufmerksam zu machen.

Peter Stamer gelingt es, ein komplexes, philosophisches Thema auf eine einfache, anschauliche, performative Bildsprache herunterzubrechen. Dabei geht er nach einem relativ simplen Inszenierungsmuster vor, das aber höchst effizient wirkt. Er lässt Willems vor dem Monolog eine körperbetonte Inszenierung setzen, die das Publikum erst im Nachhinein in Verbindung mit Nietzsches Philosophie deuten kann. Dann ist es der Bruch mit der metaphysischen Abhandlung, der das Publikum zwingt, das bisher Gesagte auf die Richtigkeit hin zu überprüfen. Wieder im philosophischen Duktus angelangt, schiebt Willems noch kurz vor Schluss eine kleine Tanzeinlage ein. Klassische Posen mit zeitgenössischem Zugang, holprig und humorig, allzu ernst nehmen sich Stamer und Willems dabei selbst nicht. Das blitzt an dieser Stelle wunderbar durch.

„Ist Sprache tatsächlich der adäquate Ausdruck von Realität“, wie Nietzsche es formulierte, oder sind Bezeichnungen, Wortfindungen nicht immer nur willkürlich gewählte Metaphern, über die Jahrhunderte hinweg einzementiert, sodass man dabei von „Wahrheiten“ ausgeht? „Ich bin ständig auf der Suche nach Wahrheit“, auch dieser Satz kam im Interview von Stamer selbst, der dadurch seine Beziehung zu diesem Nietzsche-Text veranschaulichte.

Vom Publikum verlangen Stamer und Willems nicht wenig. Höchste Konzentration und die Bereitschaft, dem Geschehen unvoreingenommen zu folgen und nicht zuletzt der Wille zur eigenen Reflexion: Wer dies mitbrachte, wurde vielleicht sogar mit einem Erkenntniszuwachs belohnt.

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