Bewegung und Hektik war gestern, Rückzug und Ruhe ist heute

Bewegung und Hektik war gestern, Rückzug und Ruhe ist heute

Michaela Preiner
2. Dezember 2024

Lesezeit: 4 Minuten

Foto: (Eva Würdinger, Markus Gradwohl )
Lisa Hinterreithners Performance ‚padded‘ ließ das Publikum im Tanzquartier zur Ruhe kommen.

Alles rennt, ist hektisch, hat keine Zeit. An anderen vorbeilaufen, sich anrempeln und ärgern, dass schon wieder so viele Menschen zusammengepfercht in einer Straßenbahn transportiert werden – wer kennt nicht diese Szenarien und die Gefühle, die uns in solchen Momenten innerhalb von wenigen Augenblicken befallen?

Lisa Hinterreithner servierte dem Publikum im TQW ein Gegenkonzept. „Padded“, so ihre Performance, bot pure Entschleunigung. Eine Rückbesinnung auf das, was, was jeder Mensch erlebt, wenn er schläft oder besser – kurz davor und kurz danach.

Das Setting war einfach: Große, genähte Polster in Form von überdimensionierten Schwimmreifen, aus weichem, flauschigem Material oder Kunstfell bedeckten den Boden eines Studios. An den Wänden entlang waren quadratische Pölster und dicke Socken für die Zusehenden platziert. Relaxen vom ersten Augenblick an war angesagt.

Die drei Performerinnen, Lisa Hinterreithner, Rotraud Kern und Jasmin Schaitl wurden nicht sofort entdeckt. Verborgen unter Decken und sogenannten ‚Space-Shelter-Gehäusen‘, wie sie im Begleittext der Performance bezeichnet werden, die sich wohlig um ihre Körper schmiegten, wurden sie erst durch die anfänglichen Bewegungen sichtbar. Ein „Summgrunzen“ einer der Frauen, leise und wie im Schlaf von sich gegeben, bot den initialen auditiven Reiz. Immer wieder waren feine Geräusche zu vernehmen, welche die Frauen gelegentlich von sich gaben. Meistens jedoch erklang aus kleinen Audio-Boxen eine Sounduntermalung unterschiedlichster Assoziationsqualität. Leises Schnarren wechselte sich mit Knistern ab, fernes Grillenzirpen entführte die Gedanken in sommerliche Gefilde. Angenehmes Regenplätschern und eine animalische Klangkulisse weckten Lust, einen Landaufenthalt zu buchen und eine Auszeit zu nehmen, in welcher man zur Ruhe kommen kann, ganz so, wie es die Performerinnen vor einem taten.

Dabei gewann man den Eindruck, dass sie schliefen oder sich in einer Art Halbschlaf befanden. Langsame Bewegungen am Boden wie bedächtiges Drehen von einer Seite zur anderen, ein behutsames zentimeterweise Voranrutschen, immer mit dem Bedürfnis und der Möglichkeit, sich dabei unter einer der Stoffkonstruktionen zu verbergen oder sich damit zuzudecken, konnten beobachtet werden. Ein Augenkontakt mit dem Publikum wurde von Beginn bis zum Ende vermieden, vielmehr stand die Introspektion der einzelnen Frauen im Vordergrund. Wenn sie sich zu Zweier- oder Dreiergruppen zusammenfanden, geschah dies ausschließlich durch sanftes Annähern und wieder Entfernen. Niemals jedoch ohne ihre ‚caring objects‘.

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Lisa Hinterreithner – padded (Foto: © Eva Würdinger, Markus Gradwohl)

Währenddessen wurde ein spezielles Hörspektrum geboten: Angefangen von einem Knisterknacken und Flatterschnattern, von einem Surrgurgeln, aber auch leisem Lippenschmatzen hin zu Schnarrgeräuschen wurde das entschleunigte Bühnengeschehen begleitet. Was davon eingespielt war und was davon live von den Frauen produziert wurde, war nicht immer auszumachen. Die produzierte Gemächlichkeit erlaubte dem Publikum, sich in den 45 Minuten der Performance selbst zu erholen, den langsamen bis statische Bewegungen zusehen, oder auch die Augen schließen und die eigene Aufmerksamkeit nur der ungewöhnlichen, aber beruhigenden Geräuschkulisse zu widmen.

So gering die Bandbreite der Bewegungsmuster der Performerinnen ausfielen, so viel Freiraum bot ‚padded‘ – zu Deutsch ‚gepolstert‘ dem eigenen Interpretationsraum. Die Zurücknahme, ja Verweigerung dessen, was von einer Tanzperformance normalerweise erwartet wird – Bewegung bis zu Verausgabung, findet seine Parallelen in der Bildenden Kunst, wie sie schon vor Jahrzehnten festgeschrieben wurden. Monochrome Malerei begonnen von Kasimir Malewitsch, über Raimund Girke oder Yves Klein bis hin zur in den USA entwickelten Minimal-Art von den frühen 60er-Jahren. Eine vergleichbare Idee war in der Musik zu beobachten – John Cage oder Philip Glass waren Giganten dieser Stilrichtung.

Lisa Hinterreithner stattet jedoch ihren Minimalismus mit einer höchst sinnlichen Komponente aus. Die verwendeten Materialien und ihr Einsatz als Schutz- und Geborgenheitsobjekte erzeugen wohlige Gefühle, auch wenn man als Publikum nicht am Geschehen selbst teilnimmt. Die Möglichkeit, sich durch weiche Stoffobjekte komplett von der Außenwelt abzuschirmen, entspricht dem Bedürfnis vieler junger Menschen, sich komplett aus der Gesellschaft zurückzuziehen. Der Overflow, mit dem die Menschen heute permanent konfrontiert sind, wird mittlerweile von nicht wenigen abgelehnt. ‚Shakaiteki hikikomori‘ nennt sich jenes japanische Gesellschaftsphänomen, bei welchem sich hauptsächlich Jugendliche und junge Erwachsene aus dem gesellschaftlichen Leben in ihre eigenen vier Wände zurückziehen und einen Großteil der Zeit im Bett verbringen. Ottessa Moshfegh thematisierte in ihrem Roman „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ ebenfalls den totalen Rückzug einer Frau, die diesen minutiös mit Tablettenmissbrauch über ein Jahr lang durchführt.

‚Padded‘ ermöglicht einen Blick in Momente, die normalerweise äußerst privat und zurückgezogen gelebt werden. Die animalischen Parallelen, die sich in gewissen Szenen aufdrängten, auch sie erinnerten daran, was alle Lebewesen auf dieser Welt vereint: Neben Hektik und Betriebsamkeit vorrangig die Lust am Ausruhen, sich Erholen und der Wunsch, sich geborgen in seine eigene Höhle zurückziehen zu können. Ein Zustand, den gerade in unseren Zeiten viele Menschen schmerzlich vermissen müssen.

Lisa Kortschak und Elise Mory steuerten den subtilen Sound bei, Daniela Grabosch lieferte die Kostüme. Sie trugen erheblich zum Gelingen dieser Performance bei.