Das theatrale Projekt hatte zum Ziel, das Publikum interaktiv mit der Geschichte von Orlando von Virginia Woolf entlang verschiedener Stationen innerhalb der Wiener Innenstadt zu konfrontieren. Zu Fuß, mit einem Handy und Kopfhörern ausgerüstet, begab man sich dafür in charmanter Begleitung auf einen Weg mit insgesamt fünf Stationen. Ungefähr 9.000 Schritte in einer Zeit von 1,5 Stunden waren dabei zu absolvieren. An jeder Station erhielt man Instruktionen, auf welche Umgebung man die Kamera des bereitgestellten Handys richten musste, um die darauf installierte App in Gang zu setzen.
Anisoglu und Pacher arbeiten in höchstem Maße grenzüberschreitend, was in diesem Zusammenhang bedeutete, dass jede einzelne Lebensstation von Orlando von anderen Künstlerinnen und Künstlern gestaltet worden war. Visuals, die auf den kleinen Handy-Bildschirmen zu sehen waren, verschmolzen zum Teil mit der Umgebung, für die sie gemacht waren. Bis auf eine Station lauschte man dem Text von Sophie Steinbeck, die eine Kurzfassung, aber auch eine Überschreibung von Woolfs literarischer Vorlage vorgenommen hatte. Dabei hatte sie einerseits Narrative der einzelnen Buchkapitel verwendet, andererseits aber auch eigene Ideen eingebracht, welche dem Originaltext zeitweilig eine weitere Ebene hinzufügten. Eine kleine Kostprobe:
„die englische sprache reicht nicht, zu sagen, was er fühlt
das deutsch muss der autorin reichen, um zu verstehen, was orlando auf englisch nicht sagen kann.“
Aras Levni Seyhan lieferte die musikalische Klammer ab, die alle einzelnen Stationen miteinander verband.
Claudia Virginia Dimoiu, Simon Goritschnig, Theo Emil Krausz, Nour Shantout, Cosima Büsing, Metamorkid und Lara Sienczak sind jene Kunstschaffenden, die ebenfalls zu diesem Projekt eingeladen worden waren und Beiträge abgeliefert hatten.
Die Geschichte von Orlando ist vielfältig und bunt, traumhaft und zugleich auch visionär aufgebaut. „The Orlando project“ übernimmt diese Vielfarbigkeit. Die Erzählung des Lebens eines Mannes, der sich in eine Frau verwandelt, erstreckt sich vom Mittelalter bis herauf in unsere Zeit. Jede der fünf Stationen markiert einen besonderen Zeitabschnitt und trägt eine eigene künstlerische Handschrift. Visuelle Umsetzungen mithilfe von virtual reality, Tanz- und Gesangeinlagen mit Video aufgenommen und am Computer überarbeitet, aber auch ein Skulpturengarten, den man dank einer großartigen, künstlichen Architektur durchschreiten kann, erzeugen Abwechslung und Spannung. Was in der Griechengasse beginnt, endet schließlich im Museumsquartier vor dem Mumok.
Die vielfältigen Eindrücke wurden reizvoll in einem Leporello festgehalten, den man am Ende der Reise erhält. Damit wird er zu einer Art Erinnerungs-Tool, an dem entlang man seine Gedanken schweifen lassen kann. Sowohl eine Kurzbeschreibung der einzelnen Stationen, als auch der komplette Text, der zu hören ist, ist darauf festgehalten. Ergänzt werden die einzelnen Text-Stationen mit einem kleinen, fotografischen Ausschnitt. Groß genug, um die Erinnerung in Gang zu setzen, klein genug, um die eigenen Empfindungen und Eindrücke wieder aufleben zu lassen.
Tatsächlich gelang es dem künstlerischen Team, eine nachhaltige Arbeit zu schaffen, die man – so ist es geplant – zukünftig auch mithilfe der App allein entdecken kann. Das macht auch Sinn, denn die Überfülle an Eindrücken, gekoppelt mit dem „real life“, das einem während der Performance zwangsläufig umgibt, lassen es nicht zu, alles gleichzeitig aufzunehmen, zu hören, zu sehen und zu verarbeiten.
Im Gedächtnis bleiben einzelne ästhetisch sehr gelungene Umsetzungen. So jene künstliche Landschaft skulpturalen Gepränges von Simon Goritschnig im Schweizerhof der Burg, oder auch die Arbeit von Manuel Biedermann, welcher die Transgender-Performance von Metamorkid mit einer einprägsamen mapping animation auf der Wand des Mumok erweiterte. Auch der fragmentierte Perserteppich von Nour Shantout auf der Fassade des Weltmuseums, der Orlandos Istanbul-Aufenthalt versinnbildlicht, gehört dazu. Festzuhalten ist auch, dass es gelang, Orlandos Gang plausibel durch die Jahrhunderte mitzuverfolgen und seine Geschlechtsumwandlung letztlich zeitgeistig zu sehen.
Sollte sich das Projekt im nächsten Schritt durch eine selbst zu bedienende App emanzipieren, könnte sich dies zu einer neuen Wiener Sehenswürdigkeit entwickeln, welche die Internationalität dieser Stadt künstlerisch unterstreicht.
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