Eine gute Geschichte ist wie ein scharfes Messer

Eine gute Geschichte ist wie ein scharfes Messer

Aurelia Gruber

Foto: ( Ludwig Drahosch )

17.

September 2023

Österreichische Uraufführung von „Orlando Trip“ in den Kasematten von Wiener Neustadt.

„A good story is like a fit knife“ übersetzt: Eine gute Geschichte ist wie ein scharfes Messer. Diesen Satz rezitiert Anna Luca Poloni zu Beginn und am Schluss ihrer Produktion „Orlando Trip„, die sie gemeinsam mit Christian Mair beim Festival „Europa in Szene“ mit dem Schwerpunkt „Sea Change – die Kunst der Verwandlung“ in den Kasematten in Wiener Neustadt zur österreichischen Uraufführung brachte.

Die cineastisch-musikalische Show, unter dem Label „Fox on ice“ produziert, lehnt sich mit 12 Songs an die Tradition der „Konzeptalben“ an. Frank Sinatra gilt mit seinem Album „Frank Sinatra sings for only the lonely“ diesbezüglich als der Urvater dieses Genres, in welchem die einzelnen Titel aufeinander Bezug nehmen und somit ein bestimmtes „Konzept“ verfolgen.

„Orlando Trip“ rekurriert auf Virginia Woolfs berühmtes Buch „Orlando“ in welchem sie von der Verwandlung eines mittelalterlichen Ritters in eine Frau berichtet. Dass sich diese Verwandlung über den Zeitraum von 400 Jahren erstreckt, unterstreicht zusätzlich die fantastische Gedankenkonstruktion der Geschichte. Die Vorlage regte und regt viele künstlerisch Schaffende an, den Stoff wieder aufzunehmen und mit eigenen Interpretationen auszustatten. Was selbst unter Literaturfreaks kaum bekannt ist, ist die Tatsache, dass Woolf eine Vorlage für ihren Text hatte. Ludovico Ariostos „Orlando furioso“ aus dem 16. Jahrhundert. Interessanterweise poppt er gerade in unserer Zeit in unterschiedlicher Weise vermehrt auf. Mehrere Verfilmungen, eine Oper von Olga Neuwirth, Hörspielbearbeitungen, Tanzperformances, aber auch solche im öffentlichen Raum, wie das Orlando project in Wien machen klar, dass der Stoff nach wie vor ausreichend Impulse bietet, sich damit originär auseinanderzusetzen.

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Orlando-Trip (Foto: Ludwig Drahosch)

Christian Mair und Anna Luca Poloni alias Anna Maria Krassnigg tun dies in ihrer ihnen eigenen Art und Weise, die einen hohen Wiedererkennungswert aufweist. Filmmaterial, aufgenommen von Christian Mair, wird mit Texten von Anna Luca Poloni verzahnt, die von ihr gesungen, zum Teil aber auch im Sprachduktus vorgetragen werden. Man staunt, wie polyglott das Künstlerpaar in dieser Produktion unterwegs ist. Die Texte sind zum großen Teil in englischer Lyrik verfasst, ein Unterfangen, das meist nur jene Literaturschaffenden beherrschen, deren Muttersprache Englisch ist. Dazu gibt es italienische, aber auch französische Einsprengsel, welche den internationalen Touch, den die Inszenierung hat, unterstreichen.

Ein vorheriges Einlesen in den Stoff ist nicht notwendig, dennoch schafft es „Orlando Trip“, dass man danach gerne zu Woolfs Buch greift, um es erstmalig, aber auch noch einmal zu lesen. Ein Umstand, der bei Produktionen der ‚wortwiege‘ häufig anzutreffen ist. Daran kann man auch erkennen, dass eine der obersten Aufgaben dieses Theaters die Vermittlung von Literatur ist. Einerlei, ob es sich um Dramen handelt oder um dramatisierte Stoffe. Sinnlich, freudvoll, theatral umsetzbar – das sind die Kriterien, die ausschlaggebend für eine Aufnahme und eine Umsetzung der wortwiege sind. Nicht zu vergessen: diskussionswürdig.

Christian Mairs Kompositionen bewegen sich in „Orlando Trip“ zwischen sanften, oft dunkel eingefärbten, lyrischen Songs und rockigen, rhythmusbetonten, bis zu poppigen Ohrwürmern. Dabei spüren die Performenden dem Werdegang von Orlando nach, unterfüttern ihn mit aktuellen Visuals aus vielen unterschiedlichen Ländern und öffnen Fenster in Traumwelten. Hauptthema dabei ist die körperliche, nicht aber seelische Verwandlung, die Orlando ohne sein aktives Zutun im Schlaf vollzieht. Man wird Zeuge und Zeugin, wie er als junger Mann seine Gefühle und seine Verliebtheit in Sasha entdeckt, die ihn im alles entscheidenden Moment im Stich lässt. Man verfolgt seine Hinwendung zur Literatur, die er auch später als Frau als ein Lebenselixier weiter aufrecht hält. Und man staunt über die Widerständigkeit der weiblichen Orlando, die es versteht, ihre Eigenständigkeit trotz Ehe und Sohn zu bewahren.

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Orlando-Trip (Foto: Ludwig Drahosch)

Anna Luca Polonis androgyne Ausstrahlung in dieser Inszenierung unterstützt die Fluidität zwischen den Geschlechtergrenzen. Dabei fühlt man, trotz ihrer zarten Erscheinung, sowohl in der Darstellung des männlichen als auch weiblichen Parts eine permanente Kraft, die geschlechtsunabhängig zu sein scheint. Der junge Orlando wendet sich wie selbstverständlich nach seinem Liebesdesaster in seiner inneren Emigration der Literatur zu. Finanziell unabhängig, stellt er sich nicht einmal die Frage, ob er das kann und darf. Aber auch die weibliche Verwunderung über die Spiele zwischen Mann und Frau kann man authentisch nachempfinden. Wenn Anna Luca Poloni „dimmi, Capitano“ singt, wird damit auch die weibliche Faszination an der Uniform thematisiert. Zugleich aber vermittelt sie in jedem Augenblick einen unumstößlichen Freiheitswillen, den sie auch nach ihrer Verwandlung in eine Frau beibehält.

Christian Mair bildet neben ihr mit seiner E-Gitarre eine Art Fels in der Brandung der Inszenierung. Den „Takt angebend“, gelingt es ihm dennoch, seiner Partnerin so viel spielerischen Freiraum zu geben, dass sie beide gleichberechtigt in der Publikumswahrnehmung erscheinen. Ein Umstand, der im Konzertbusiness so kaum einmal anzutreffen ist, hier aber auf symbiotische Art und Weise bestens funktioniert.

„Why glue together? Is this nature`s will?“ singt Orlando an einer Stelle und wirft damit jene Frage auf, die das Zusammenleben und die Ehe als gesellschaftlich gefestigtes Phänomen zum Inhalt hat. Anders als bei aktuellen Gender-Debatten, ist Orlandos Verwandlung völlig friktionsfrei, ja fast natürlich, allenfalls zum Staunen. Es ist das größte Verdienst dieser Produktion, dass sie diese – wenngleich auch hypothetische, pazifistische Möglichkeit aufzeigt.

Im Rahmen der „Sea Change“ -Initiative wurde und wird „Orlando Trip“ in vielen europäischen Ländern gezeigt. Gerne wäre man bei jeder einzelnen Auslandsaufführung dabei, um die unterschiedlichen Publikumsreaktionen mitverfolgen zu können. Bei der Premiere in den Kasematten von Wiener Neustadt wurde „Fox on ice“ frenetisch applaudiert.

Eine weitere Vorstellung gibt es noch am 23.9.

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