Im kleinen, hellen Theaterraum schart sich das Publikum in zwei Reihen im Kreis um eine winzige, runde Bühne. Man könnte meinen, man säße inmitten eines Zirkuszeltes, denn dazu passt auch der Auftritt des Conférenciers (Michael Welz), der gleich zu Beginn die Situation erklärt. Die drei Männer und zwei Frauen, die sich gemütlich auf einem Berg von Schaumstoffschnipseln auf der Bühne räkeln und offensichtlich dem Müßiggang frönen stammen von der kleinen Insel Nauru im Pazifik. Sie sind gekommen, um den ÖsterreicherInnen die Geschichte ihres Volkes zu erzählen, weil sie der Meinung sind, dass ihre Mahnungen in Österreich auf fruchtbaren Boden fallen könnten. „Bird.Shit.Island!“ ist der Titel dieser Produktion, die sich im Untertitel auch „eine extemporierte Oper über die unglaublichste Geschichte des Kapitalismus“ nennt. Tatsächlich aber ist es nicht nur eine, sondern es sind viele unglaubliche Geschichten, die dieser Abend bereithält. So unglaublich, dass man sie samt und sonders als spätkapitalistische Münchhausen´sche Erzählungen abtuen möchte – wären da nicht jene Quellen, die nach ersten Recherchen der Wikipedia-Eintrag vermerkt. In diesen manifestiert sich leider, was während der Vorstellung so unglaublich erschien. Handelt es sich bei den Nauris tatsächlich um ein Volk, das durch den Abbau von Vogelkot, der weltweit als Dünger eingesetzt wurde, zu gigantischem Reichtum gelangte. Doch wie gewonnen, so zerronnen und was sich einst als prosperierende kleine Volkswirtschaft darstellte entwickelte sich im Eilzugstempo zu einem korrupten und maroden Staatssystem, das knapp am Bankrott vorbei schrammte. Dem bernhard.ensemble mit Grischka Voss und Ernst Kurt Weigel, die beide für die Regie und Konzeption verantwortlich zeichnen, gelingt mit ihren MitstreiterInnen Albane Troehler, Kajetan Dick und Lonesome Andi Haller, der die Musik beisteuerte, trotz des zutiefst schwarz gefärbten Themas ein grellbunter Theaterabend voll von Witz und unbändiger Spielfreude. Da wird gesungen und gespielt, was das Zeug hält und die englische Sprache verballhornt, dass sich die Balken unter den Zuschauerreihen biegen. Da werden groteske Geschehnisse zu noch groteskeren Bildern verdichtet und der Lauf der Geschichte Naurus als Aneinanderreihung von volkswirtschaftlichen Fehlern aufgezeigt, die einem in der historischen Rückschau kalte Schauer über den Rücken laufen lassen. Und doch bleibt es nicht bei der Peep-Showperspektive, welche auslöst, dass man sich unreflektiert über das Geschehen viele tausende Kilometer von uns entfernt lustig macht. Vielmehr gelingt es dem Ensemble im OFF THEATER auf subversivste Art und Weise, dass man von einem Unbehagen befallen wird, welches beim Vergleich des Geschehens mit Europa und Amerika der letzten Jahre ansetzt. Da, wo sich auch bei uns die Versäumnisse und groben Fehler der Turbomarktwirtschaft nicht mehr kaschieren lassen, sondern vielmehr tag-täglich in den Schlagzeilen der Medien wiederfinden. Ob der Raubbau an der Natur, das unreflektierte Konsumverhalten oder Missstände im staatlichen Finanzsektor – es wird klar, dass alles, was auf der Insel Nauri im Kleinen geschah, sich im Rest der Welt im gigantischen Ausmaß wieder findet. Da bleibt das Lachen dann auch einmal im Hals stecken. Dann zum Beispiel, wenn nach der wunderbaren Szene des Konsumrausches, in welchem die DarstellerInnen auf kleinen Kinderautos mit glänzenden Augen und Winke-Händen um ihre Insel kurven, sich alle im Dunkeln wiederfinden. Nur punktuell durch ihre Taschenlampen erhellt, tauscht sich das kleine Grüppchen von Inselbewohnern darüber aus, wie man nun mit einer Stromrationierung von 2 Stunden am Tag zurechtkommt, was besonders dann prekär wird, wenn man in der Dialysestation sitzen muss.
Doch nicht nur die Parallelen zu den historischen Geschehnissen, auch der durchgehend kulturkritische Ansatz der Inszenierung, der nur durch die Brille des Absurden erträglich wird, findet sich zumindest in der Stimmung der Intellektuellen des Westens verstärkt wieder. Diesem philosophischen Zugang Albert Camus folgend könnte man resümierend dem Abend noch eine absurd-logische Gedankenkrone aufsetzen. Indem man nämlich dem Lamento, dass die Insel in kurzer Zeit durch den Anstieg des Meeresspiegels untergehen wird, entgegenhält, dass im Hinblick auf dieses Ereignis der Abbau des phosphathaltigen Vogelkots weltwirtschaftlich gesehen ja doch Sinn gemacht hat. Wäre es nicht schade gewesen, wäre dieser unangetastet in den Fluten des Pazifischen Ozeans untergegangen, ohne sich zuvor monetarisiert zu haben?!
Ein Theaterabend wie aus dem Bilderbuch, der das diesjährige Festival für Neues Musiktheater mit dem Titel „2013 Out of control“ würdigst eröffnete.
Weitere Vorstellungen noch bis 11. Mai. Infos auch über die kommenden Produktionen des Festivals unter: www.netzzeit.at