Heute, 40 Jahre später, erinnere ich mich angesichts der Ausstellungsexponate noch sehr genau an diese unbeschwerte Zeit. Die Arbeiten haben für mich plötzlich eine altersregressive Funktion und mir wird bewusst, dass nicht nur ich, sondern auch die Vertreter dieser Kunstrichtung, inzwischen einige Jahrzehnte an Leben hinter uns haben. Die meisten der Damen und Herren, die in den 60er und 70ern die Blütezeit ihrer Kunst erlebten, sind heute zwischen 70 und 80 Jahre alt. Einige Künstler und Künstlerinnen, die in der Ausstellung durch Werke vertreten sind, leben nicht mehr. So gesehen gestaltet sich die OP Art in der Schirn als „Farewell-Schau“. Es erscheint mir wie eine späte, wenn nicht eine der letzten möglichen öffentlichen Verneigungsgesten einer ganzen, obgleich auch schon betagten Künstlergeneration gegenüber, die aber zum größten Teil das Glück hat, dies noch zu Lebzeiten zu erfahren. In den letzten Jahren war es oftmals still geworden um die OP Art und deren Vertreter. Und nun können wir erleben, dass eine schon beinahe vergessene Kunstrichtung wieder aufersteht. Kunst als zeithistorisches Phänomen muss, wie wir sattsam wissen, einfach nach ihrem ersten Höhenflug ein tiefes Tal durchschreiten um danach wieder an Akzeptanz zu gewinnen. Die Kunstgeschichte liest sich als eine stete Abfolge solcher Wellenbewegungen. Dass sich die Sinuskurven der Kunstverachtung bzw. -akzeptanz im Laufe der Jahrhunderte immer stärker verengen hängt, vor allem in unserer Zeit, wesentlich mit den Informationsmöglichkeiten zusammen. Das Tempo, in welchem Erinnern auf Vergessen folgt hat sich, zum Glück für die OP Art Generation, drastisch erhöht. Wie man gut an den Reaktionen der jungen Ausstellungsbesucher sehen kann, üben die Bilder und Objekte nach wie vor, oder besser schon wieder, einen ungetrübten Reiz auf dieses Publikum aus, was wiederum die Produzenten und Produzentinnen ungemein freuen wird. Legen diese Reaktionen doch eine lebendige Spur in die Zukunft, in welcher sich kommende Generationen, zwar verwöhnt von computergenerierten Sinnestäuschungen, in Ausstellungen wie dieser, wahrscheinlich immer noch fasziniert mit der OP Art beschäftigen werden.
Diese Ausstellung bietet speziell meiner Generation, also Menschen, die in den 60ern geboren und aufgewachsen sind, die Möglichkeit, sich analytisch- retrospektiv der Kunstströmung der eigenen Jugend zu nähern. Dies kann, historisch betrachtet, als Novum in der menschlichen Biographieretrospektive bezeichnet werden. Noch unsere Vorfahren im 19. Jahrhundert lebten mindestens über zwei Generationen in einem relativ stabilen kulturellen Umfeld, von den davorliegenden Jahrhunderten ganz zu schweigen. Das 20. Jahrhundert, mit seinem kaum nachvollziehbaren Tempo der Entwicklung von neuen, technischen Errungenschaften war das erste, in welchem es schien, als kämen unsere Großeltern nicht nur aus einer anderen Generation, sondern fast schon von einem anderen Planeten. Die größten sozialen Veränderungen, die Manifestation einer bis auf den heutigen Tag nicht enden wollenden Jugendkultur und die Emanzipation, deren Folgen von den heutigen Jugendlichen wie selbstverständlich gelebt werden, ereigneten sich in unserer Jugend. Dass es zu Zeiten der OP Art erst wenige Künstlerinnen gab, denen der Durchbruch gelang, schlicht aus dem Grund, weil sich noch viel weniger Frauen als heute ihr Brot mit der Kunst verdienten, wird auch anhand der Ausstellungsliste deutlich.
Durch die rasante Weiterentwicklung der computerunterstützten Technik und nicht zuletzt der damit veränderten Sehgewohnheiten, nimmt sich ein Teil der kinetischen OP Art- Arbeiten wie Dinosaurier der PC-Spielwelt aus. Tatsächlich könne gerade jene Werke, welche das Publikum dazu animieren, durch Drücken einer einzelnen Taste die Abfolge von Lichtreizen oder anderen Aktionen auszulösen, als erste Gehversuche der elektronischen Unterhaltungslandschaft erkannt werden.
Es ist schon ein besonderes Gefühl, einen Teil meiner eigenen Vergangenheit – nämlich meine jugendlichen Bildidentifikationen – museal dargestellt zu betrachten. Jetzt weiß ich, warum Teenager mich seit geraumer Zeit mit „Sie“ ansprechen – ein Umstand, der mir anfangs Schauer über den Rücken laufen ließ.
Michaela Preiner