Der krawallgebürstete Onkel

Der krawallgebürstete Onkel

Michaela Preiner

Foto: ( Anna Stöcher )

7.

Oktober 2022

Manches Mal gerät man an Theaterabende, die sich anfühlen, als sei man in eine sonderbare Art von Panoptikum geraten. In einem solchen findet man sich nicht ad hoc zurecht und kann auch Zeit und Raum verlieren. Wenn man sich aber darauf einlässt, dass man Dinge sieht, die man nicht erwartet hat, macht es unglaublich Spaß, sich darin aufzuhalten.

Diese Metapher könnte man auch für Inszenierungen von Arturas Valudskis anwenden. In seiner neuen Arbeit am TAG bedient er sich einer soliden Textfassung von „Onkel Wanja“, die nahe an Tschechows Original bleibt. Aber wie die einzelnen Szenen aneinandergesetzt werden, sowie einige prägnante Stilmittel verleihen der Inszenierung eine unverwechselbare künstlerische Handschrift.

Dazu benötigt Valudskis kein großes Bühnenbild. Ein paar Stühle und ein hochkant gestellter, langer Tisch reichen; des Weiteren noch einige wenige Requisiten und Kostüme, die zwischen Geschichte und Zeitgeist pendeln und nicht zu vergessen eine gehörige Portion uralter Theaterzauber, sowie humorige Szenen, die nahe am Slapstick gebaut sind. Das alles führt dazu, dass man die Zeitorientierung völlig verliert. Man weiß, das Stück spielt zu Ende des 19. Jahrhunderts, zugleich aber gibt es Regie-Einfälle, die bis in die Commedia dell’arte zurückreichen. Wenn plötzlich eine Wodkaflasche „unsichtbar“ auf eine Türe gehievt wird, oder einzelne Personen hinter derselben einfach „verschwinden“, wenn ein Arm plötzlich 2 Meter lang wird, dann fühlt man sich in eine Zeit zurückversetzt, in der es keine elektrischen und schon gar keine elektronischen Hilfsmittel gab, die theatrale Illusionen hervorbringen konnten.

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„Onkel Wanja“ (Foto: Anna Stöcher)

Und doch hat „Onkel Wanja“ einen starken Aktualitätsbezug, wie einige musikalische A-Capella-Einschübe, vom Ensemble selbst produziert. Aber auch Tschechows Text selbst ist mehr als zeitgeistig. Das, was er Astrow sagen lässt, sein Monolog über die Gefahr der Wälderabholzung, aber auch sein Bekenntnis zum Vegetarismus, klingt prophetisch. Andreas Gaida tritt in dieser Rolle als Landarzt auf, der längst nicht mehr auf äußerliche Anerkennung seiner eigenen Leistungen hofft. Einerseits vom Leben desillusioniert, pflegt er andererseits seine Leidenschaft für die Natur, um zukünftigen Generationen damit noch Freude bieten zu können. Der Regisseur lässt ihn in einigen Szenen dadaistisch-skurril als Tier auftreten. Als ein Geschöpf, das auf dem russischen Landgut genauso seine Lebensberechtigung hat, wie jenes Schwein, in das sich Onkel Wanja in wenigen Augenblicken mehrfach verwandelt.

In dieser Rolle brilliert Georg Schubert. Auch er schlüpft mehrfach völlig unvermittelt in besagte tierische Rolle und grunzt dabei fröhlich vor sich hin. Ganz unbeeindruckt von all dem aufregenden Geschehen, das sich auf dem Landsitz abspielt, tummeln sich diese beiden Tiere und relativieren das menschliche Gebaren. Wanja, von Liebesschmerzen verblendet und finanziell in die Enge getrieben, verliert schließlich seine Contenance und fordert seinen Widersacher, seinen Schwager, zum Duell auf. Die Erkenntnis, dem angeheirateten Kunstgeschichtsprofessor völlig sinnlos sein Leben gewidmet zu haben und dabei einer Schimäre aufgesessen zu sein, erschüttert ihn so sehr, dass er zum Äußersten greift. Diesen Kulminationspunkt gestaltet Valudskis mit einem unglaublich witzigen Regieeinfall. In diesem darf man Zeuge eines fiktiven Schusswechsels werden, der alles andere als tragisch ist.

Neben den vielen, wirklich amüsanten Momenten ist es vor allem die ansteckende Spielfreude des Ensembles, die unglaublich bezaubert. Zugleich werden aber die Charaktere aller Figuren gut erkennbar. Jens Claßen lamentiert als hinkender Professor ob seines altersbedingten Gesundheitszustandes, was das Zeug hält, und gibt einen wunderbaren Widerpart zu Wanja. Als betrunkener Arbeiter wiederum, tänzelt Claßen mehrfach so kunstvoll über die Bühne, dass jeder einzelne dieser Auftritte zum Ereignis wird. Michaela Kaspar schlüpft in die Rollen der unter ihrem Ehemann leidenden und dennoch tugendhaften Elena, sowie der alten Gutsbesitzerin Maria – der Mutter von Wanja. Als solche hält sie ihren Sohn mit wenigen, aber umso bestimmteren Sätzen in Schach. Ida Golda versucht, als Sonja nach Kräften, das Gut mit ihren Verwandten redlich zu bewirtschaften, koste es, was es wolle. Als alte Marina erscheint sie, gebückt, mit einem Spitztuch auf dem Kopf, als einzige Konstante in einer aus den Fugen geratenen Welt.

Arturas Valudskis‘ Wanja-Interpretation am TAG schafft das Kunststück, dem Inhalt jenen nötigen Tiefgang zu belassen, den es für heute noch so interessant macht. Zugleich aber verleiht er seiner Inszenierung eine Leichtigkeit, die klarmacht, dass Theater wesentlich mehr kann als die Menschen mit erhobenem Zeigefinger zu belehren.

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