Obernai und die unglaubliche Flüchtigkeit der Musik

STYLES Geoffrey

Geoffrey Styles (c) OPS

Das lang gezogene Mittelschiff der Kirche in Obernai bietet vielen Besuchern Platz. Vielleicht waren es die Kälte und der leichte Schneefall, dass an diesem kalten Winterabend einige Plätze leer blieben. Wer nicht zum Konzert des OPS, des Philharmonischen Orchesters Straßburg, kam, hat aber etwas versäumt. Mozart und Schubert standen auf dem Programm, mit sichtbarer Freude dirigiert von Geoffrey Styles, der sonst in Bordeaux an der Oper und mit dem dortigen „orchestre national de Bordeaux Aquitaine“ arbeitet. „Normalerweise hört man das Divertimento für Streicher KV 136 von Mozart diiiiiiiii- diiiiiiiii- daba daba daba daba dam diiiiiiiiiii-diiiiiiiiiiii-diiiiiiiiiii“ sang der Dirigent bei einem Interview einige Tage vor dem Konzert das Eingangsthema des ersten Satzes stark akzentuiert vor. „Wir spielen es aber anders, mit sehr viel legato“, fügte er dann erklärend rasch hinzu. Und tatsächlich könnte man seine Interpretation fast schon „weich gespült“ nennen, wäre da nicht auch die Akustik in der Kirche, die ihre Tücken in sich hat. Der hohe Raum – das Orchester kam unter der Vierung zu sitzen – entlässt jeden Ton, noch bevor er sich breitmachen kann, was Styles Legatoansatz bei Mozart rechtfertigte. Je länger ein Ton in dieser Umgebung gestrichen oder geblasen wird, umso verständlicher ist die Musik zu hören, und wenn dies seine Intention war, dann hat er sie wohl mit Bedacht und Vorausschau gewählt. Was in den hohen Frequenzen teilweise dennoch nur zu erahnen war, kam in den Bässen dafür umso stärker zum Tragen. Das bereitete den Celli und Bässen bei diesem Konzert einen großen Auftritt. Sie unterfütterten besonders Mozart mit einem klar strukturierten, aber nie kalt gespielten Klangmuster, dem man gerne seine Aufmerksamkeit schenkte. Mozarts Werk, das er als junger Mann geschrieben hatte, verbreitete Freude und Leichtigkeit und erweckte beinahe den Eindruck, dass es sich um einen Abend handeln würde, der mit wenig Tiefgang ausgestattet war. Das aber war eine Täuschung. Vielmehr stellte es nur den Auftakt zu einem Werk dar, das vom Solisten hohes Können, herausragende Musikalität und einen langen Atem verlangte.

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Sébastian Giot (photo: meyer wanner)

Sébastian Giot, erster Oboist des OPS, ließ mit seiner Interpretation des Konzertes für Oboe und Orchester KV 314im wahrsten Sinne des Wortes aufhorchen. Trotz einer Verkühlung entlockte er seinem Instrument alle Klangfarben, die ihm innewohnen, und nötigte den Dirigenten, sich nach ihm zu richten und nicht umgekehrt. Geoffrey Styles tat gut daran, das Orchester Giots Einsätzen bzw. Vorgaben unterzuordnen, was zeigte, dass er ein sensibler Dirigent, ohne eigene Starallüren ist. Eine charakterliche Kombination, die sich sehr wohltuend von anderen, eher marktschreierischen Tendenzen in diesem Beruf abhebt. Mit Giot gelang an diesem Abend aber tatsächlich eine Idealbesetzung. Wer ihn einmal als Solist gehört hat, wird ihn sicherlich zukünftig auch im Orchester selbst unter den Bläsern heraushören. Nicht nur technisch brillant, sondern vor allem mit einer Musikalität ausgestattet, die höchsten Respekt abnötigt, machte er Finessen hörbar, über die viele seiner Kollegen gerne mit technischer Bravour hinweg spielen. Von melancholisch singend bis brillant leuchtend kann seine Interpretation beschrieben werden, die keine Wünsche offen ließ. Und wer weiß, wie wichtig freie Atemwege für Bläser sind, kann ermessen, welch nicht nur musikalische, sondern vor allem auch physische Leistung der junge Musiker an diesem Abend vollbrachte. Ein doppeltes Bravo an dieser Stelle für diese gelungene Darbietung.

Mit Schuberts dritter Symphonie forderte Styles anschließend nicht nur die Musiker, sondern auch die Zuhörer. Er ließ in einem Tempo spielen, das atemberaubend war und den ersten und letzen Satz durch diese rasende Dynamik wunderbar umklammerte. Selbst wenn dem Publikum der Charakter Schuberts nicht bekannt gewesen wäre – nach dieser Interpretation schien er eigentlich wie ein offenes Buch. Lebenslustig und melancholisch, nervös und nach vorne jagend, so klang auch diese Symphonie die, und das konnte man an diesem Abend besonders gut erfahren, oftmals fälschlich als musikalisches „Leichtgewicht“ tituliert wird. So rasch die Töne der drei Konzerte in der Kirche in Obernai verflogen, so sehr setzten sich jene der Zugabe ganz frech noch lang ins Ohr. Nämlich die einer kleinen Liebeserklärung von Edward Elgar, der in den letzten Jahren völlig zu recht immer stärker in den Konzertsälen Platz findet. Das einschmeichelnde Motiv begleitete das Publikum noch lange, was wieder einmal zeigt, dass gute Musik auch ganz, ganz einfach gestrickt sein kann.

Hier noch eine kleine Impression, gestaltet von Obernai Tv:

Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Französisch

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