Nur Stillstand bedeutet Freiheit

Nur Stillstand bedeutet Freiheit

Michaela Preiner

Foto: ( )

14.

Juni 2022

Der Mensch lebt abgeschottet von anderen Individuen als hybrides Wesen, gesteuert von einer globalen Intelligenzmaschinerie. Caroline Peters und Ledwald beeindruckten im Rahmen der Wiener Festwochen im Hamakom.

Stell dir vor, dein Erlebnisradius ist auf vier Wände beschränkt und es macht dir gar nichts aus, sondern du findest das sogar bequem. Stell dir vor, du hast eine eigene Assistentin, die dir alles abnimmt. Nenne sie Isadora und rede mit ihr, wie mit deiner besten Freundin. Stell dir vor, alles ist für dich so bequem eingerichtet, dass du am virtuellen Mittagstisch sogar Freunde empfangen kannst. Stell dir vor, du bist völlig unabhängig von der Außenwelt und wunschlos glücklich – nur nach außen gehst du nie, weil du Angst davor hast.

Genau dieses Setting bot Caroline Peters mit der Gruppe Ledwald im Stück „Die Maschine steht nicht still“. Die Inszenierung ist eine Paraphrase auf einen Text von E.M. Forsters „The machine stops“ aus dem Jahr 1909 und entstand als Reaktion auf die Pandemie, in der die meisten von uns wesentlich stärker vom Computer und dem Internet abhängig wurden.

Verblüffende Visuals von Eric Dunlap, eine permanente Live-Kamera-Führung von Andrea Gabriel (auch zuständig für eingespielte Videos) und ein perfekt abgestimmtes Licht- und Sounddesign von Lars Deutrich fügen der Vorführung eine elektronische Ebene hinzu, die nicht nur absolut zeitgeistig ist, sondern hier auch Sinn ergibt. Der Text, den Caroline Peters adaptierte, erzählt von einer Frau, die eines Tages einen Anruf von ihrem Vater bekommt. Er lebt wie sie in einem wie oben beschriebenen Setting 2,5 km von ihr entfernt, möchte ihr etwas mitteilen und bittet sie, sich auf die Straße zu begeben und nicht nur virtuell, sondern leibhaftig zu ihm zu kommen.


Diese Ausgangslage bringt seine Tochter in einen Zwiespalt, soll sie doch ihre schützende Umgebung wider alle Anordnungen verlassen und sich auf ein Terrain begeben, von dem sie keine Ahnung hat, was sie dort erwartet. Das Mindcontrol ist so weit fortgeschritten, dass jegliches Experiment außerhalb der eigenen vier Wände als nicht mehr wünschenswert erscheint und die Maxime gilt: Stillstand ist Fortschritt und was ich nicht ausprobiere, kann auch nicht schiefgehen. Tatsächlich gelingt es der Tochter gegen Schluss jedoch, sich von ihrer überwachenden Begleiterin Isadora zu befreien, bei der sich sofort der Vergleich mit Alexa, Siri oder derzeit schon anderen aktiven, elektronischen Helferinnen aufdrängt. Neben der Beschreibung des Alltages, den Peters mit hoher Schauspielkunst wiedergibt, egal ob es sich um ein Kochrezept handelt, das sie von Isadora umgesetzt haben möchte, die Entgegennahme von Sprachanrufen oder dem Zusehen von Videolectures, fasziniert sie in mehrfachen Rollen in der Szene bei Tisch mit ihren geladenen Freundinnen und Freunden. Sie wurden alle zuvor von ihr eingespielt und versammeln sich auf Knopfdruck im virtuellen Raum um den gedeckten Tisch, um – wie man es aus dem real life kennt – ganz nach den jeweiligen Charakteren zu protzen, ängstlich zu wirken, verblüfft zu sein oder sich bewundern zu lassen.

Lars Deutrich an der elektronischen Soundmachine und Andrea Gabriel in der Rolle der stummen Isadora, die alles mit ihrer Live-Kamera einfängt und zugleich auch abspeichert, sind auf der Bühne permanent präsent. Sowohl Peters als auch Gabriel tragen giftgrüne Kostüme mit einem Spinnenmuster – einem Symbol für die Gefangenschaft im Netz, die jedoch als schick und unerlässlich empfunden wird. (Kostüme Flora Miranda) Es ist nicht nur das illusionistische Setting, das beeindruckt, sondern auch der Text, der eine ganze Reihe von schillernden Satzperlen aufweist wie: „Seit der Pandemie wissen wir, dass Viren und die Technologie exponentiell wachsen“, „Wissen ist eine Art von Fiktion“, „Deep Intelligence ist auch nur eine andere Art von Schummeln“ oder „Der Zeit ihren Loop, dem Loop seine Freiheit“ – eine Überschreibung des Hevesi-Spruches, der über der Wiener Sezession prangt. Das sind nur einige, wenige Aussagen, die man gerne zu Hause ob der weiteren Fülle der philosophischen Ideen, Bonmots und Zukunftsvisionen nachlesen möchte.

Das kluge, offene Ende hinterlässt einen Geschmack von Erleichterung und Angst zugleich und beschönigt in keiner Weise unsere digitale Zukunft, in der wir uns bereits befinden.
 

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