Manipulation am Theater

Leere Fabrikhallen werden schon lange zu kulturellen Zwecken bespielt. „Junges Theater Basel“ wurde von den Festwochen eingeladen, ihr neuestes Stück NOISE in der F23 in Liesing zu präsentieren.

Anders als Frank Castorf, der in derselben location, einer ehemaligen Sargfabrik, seine „Brüder Karamasow“ zeigte, nutzte das 8-köpfige Basler Ensemble lediglich einen Raum. Das Stück, geschrieben zum Teil von den jugendlichen Mitwirkenden selbst und in Szene gesetzt von Sebastian Nübling, zeigt ein realistisches Spektrum einer Jugendkultur, die in der westlichen Hemisphäre wahrscheinlich für eine breite Masse als symptomatisch angesehen werden kann. Dabei handelt es sich nicht um die Wiedergabe einer unbeschwerten Jugend, sondern eine von Alkohol, Handy, elektronischen Spielen und den sozialen Netzwerken dominierte. Eine Jugend, in der die Fragen nach dem zukünftigen Zusammenleben vordringlich erscheinen und die eigenen Vergnügungen solche sind, die man vorgefertigt überall antreffen kann.

Große Lautsprecher und weiße Stoffbahnen markieren den Raum

Von der Hallendecke hängt eine Agglomeration von großen Lautsprechern aus der gleich zu Beginn „Noise“ ertönt. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer greifen zu den angebotenen Ohrstöpseln, aber es ist lediglich die Eingangs- und die Ausgangspassage, welche diese notwendig machen. Wie auf Kommando verkabeln die jungen Leute, die sich im Kreis unter den Lautsprechern aufgestellt haben, ihre Handys und bedienen diese, während die Displays im Dunkeln leuchten.

Bald schon agieren sie selbst als Bühnenarbeiter und ziehen zwei lange, weiße Stoffbahnen auf, die einen Raum bilden, innerhalb dem gespielt wird, aber der auch dazu dient, die Projektionen der Live-Kamera wiederzugeben. Sie wird ein ständiger Begleiter des Abends sein. Wie schon in vielen Inszenierungen zuvor tritt auch hier wieder das Phänomen ein, dass das überdimensional große, bewegte Bild eine höhere Anziehungskraft hat als die Live-Performance selbst, bei der die Jugendlichen teilweise sogar unter sich bleiben. Ein immer wieder simples, aber höchst augenscheinliches Beispiel von der Macht der medialen Realitätsumdeutung.

Bald nimmt das Geschehen Fahrt auf. Die Jungen agieren zwischen dem sich in der Halle frei bewegenden Publikum. Schieben Holzpaletten in den Saal, die als Laufsteg dienen, dann kurzerhand als Hindernisse zum Überspringen genutzt werden. Schließlich dürfen sich schon ermüdete Zuseherinnen und Zuseher auch darauf setzen, während die Kamera beständig an einem der Jungen bleibt, um seine oder ihre Aussagen in Großaufnahme einzufangen.

Vieles, was in der Inszenierung angesprochen wird, kann man als allgemeingültige derzeitige Diskussionsthemen erkennen, die nicht nur Jugendliche betreffen. Der Schönheitswahn, oder die erwartete Systemangepasstheit, die Nutzungsreglementierung öffentlicher Orte, die Allmacht von Google und nicht zuletzt – sie darf in keiner zeitkritischen Aufführung derzeit ausgelassen werden – eine kapitalismuskritische Haltung. „Wir beteiligen uns nicht am kapitalistischen Kreislauf, weil uns das Kapital nicht interessiert“ rufen die Jungen mehrfach laut in den Raum. Es ist ihr Vorrecht, nicht zu bedenken, dass seine Konzentration dennoch bestimmend auf ihr Leben einwirkt.

Kapitalismuskritik aus zweiter Hand

Immerhin kommen sie zum Ergebnis, dass eine Entschleunigung des Kapitalismus nicht möglich ist, sondern vielmehr ihre Beschleunigung zu einem Crash führen wird müssen. Der Ideen- und Textlieferant dazu ist Guy Krneta, der sich bei Texten von Armen Avanessian, Laurie Penny, Ryan Tecartin „u.v.a.m.“ – wie es im Programmfolder steht, bedient. Die philosophischen Texte werden zum Großteil vom Jüngsten rezitiert, der dabei auf den Schultern der anderen durch den Saal getragen wird.

Sein unsicherer Stand, der ihn mehrfach zum Einknicken zwingt, versinnbildlicht jenes schwankende Terrain, auf der die linken Intellektuellen sich derzeit mit ihrer Kapitalismuskritik abmühen müssen. „Kritik ist kontraproduktiv“ wird man später noch zu hören bekommen und auch, dass die Demonstrationen der Alten nichts gebracht hätten. Leider kann man aufgrund des laufenden Geschehens dem nichts entgegnen. Ohne die 68er und ihre Demonstrationen jedoch würden die jungen Leute heute noch jeglicher Willkür schulischer Obrigkeiten ausgesetzt sein und von einer Mitbestimmung des Unterrichts nur träumen können.

Ohne sie hätten sich die Demokratien in Europa niemals zu Systemen entwickeln können, in welchen den Bürgerinnen und Bürgern ein Mitspracherecht eingeräumt wird, das es zuvor nie gegeben hatte. Ohne die Demonstrationen wären die Aufrüstungsmechanismen der Großmächte ins Unendliche angeschwollen usw. usw. usw. Aber eine Theateraufführung ist eben keine Diskussionsrunde. So muss man fein schweigen und hoffen, dass das, was man hier hört, nicht die Meinung aller Ensemblemitglieder ist.

Back zum Geschehen in der Halle. Die Stimmung wird im Laufe des Abends aufgeheizter, Punk is back, darf man konstatieren und die Frage, was eine Bewegung ist, wie sie zustande kommt und wann sie etwas bewirken kann und wann nicht, wird letztlich auch gestellt. Im nun auf vier Seiten verhängten kleinen Raum, in dem alle zusammengepfercht werden. Darstellerinnen, Darsteller und das Publikum. Mit Freibier und Wasser – je nach Geschmack bekommt man nun am eigenen Leib zu spüren, wie sich eine revoltierende Gemeinschaft anfühlt.

Der einzelne Körper als machtvolles Instrument, das sich gegen ein verhasstes System zur Wehr zu setzen kann wird landauf, landab theoretisch untersucht. In dieser Regie erfolgt die praktische Erprobung.

Fühlen sich die Jungen nicht manipuliert?

Dort, wo die Nachwuchsschauspielerinnen und  –schauspieler ihre eigenen Geschichten erzählen, wo sie mit großer Spielfreude und Imitationslust über den Laufsteg trippeln und ihre ungebremste Energie spielerisch einsetzen können, hat der Abend seine Höhepunkte.

Dort, wo gesellschaftskritische Texte, die nicht aus ihrer Feder stammen, zum Einsatz kommen, scheint das Geschehen extrem gelenkt, ja manipulativ. Wobei sich die Manipulation bei den Jugendlichen stärker festsetzt als beim Publikum. Ein intensives Stück wie dieses, in dem sich die eigene Lebenserfahrung mit Regieanweisungen von außen vermischt, hat gerade bei jungen Leuten noch direkte Auswirkungen auf ihren ganz persönlichen Blick auf das Leben und unsere Gesellschaft.

Man möchte ihnen zurufen: Hinterfragt nicht nur das, was die Gesellschaft euch bietet und was nicht, sondern hinterfragt auch, was die Menschen vom Theater mit euch machen. Sind es eure Gedanken, ist es wirklich eure Wut? Würdet ihr ohne Regiebegleitung eure Wut tatsächlich so ausdrücken und nicht anders? Es ist zu hoffen, dass diese Fragen tatsächlich auch in der Zusammenarbeit mit dem Jungen Theater Basel gestellt werden, denn sonst ist diese Inszenierung nichts weiter als ein Baustein im europäischen Theaterkarussell, das einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung unterliegt, auch wenn die Beteiligten es nicht wahrhaben wollen.

Chapeau an: Sascha Bitterli, Seón Cremonini, Rabea Lüthi, Ann Mayer, Khadija Merzougue, Robin Nidecker, Lukas Stäuble, Denis Wagner

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