Nietzsche on stage

Nietzsche on stage

Michaela Preiner

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4.

Juli 2012

Unter dem Titel „to-rsO“, den es erst einmal aus seinen Bruchstücken zusammenzusetzen gilt, um zu erfahren, dass es sich dabei um das Bruchstückhafte eines Torsos handelt, performte die Tanzgruppe „feinsinn“ 3 Abende in der Expedithalle der ehemaligen Ankerbrotfabrik.

20120704 184942Unter dem Titel „to-rsO“, den es erst einmal  gedanklich zusammenzusetzen gilt, um zu erfahren, dass es sich dabei um das Bruchstückhafte eines Torsos handelt, performte die Tanzgruppe „feinsinn“ 3 Abende in der Expedithalle der ehemaligen Ankerbrotfabrik.

Dem – aufgrund der tropischen Temperaturen – schweißtreibenden Abend lag die Entdeckung einiger Kompositionen von Friedrich Nietzsche zugrunde, die nur einer eingeweihten Nietzsche- Gemeinde bekannt sein dürften. Sie bildeten den Ausgangspunkt und den Hebel, sich den Gedanken des Philosophen tänzerisch zu nähern. Und ganz abwegig ist dies tatsächlich nicht, behandelte er doch in mehreren Stellen seines Werkes den Tanz und hob ihn als wichtiges dionysisches Lebenselement hervor.

Die Tänzerin und Choreografin Elke Pichler und der Musiker Sasha Nantschev eigneten sich Nietzsches Musik nicht nur an, um sie tänzerisch mit einigen seiner philosophischen Ideen zu verknüpfen, sondern griffen auch tief in die Kompositionen ein um sie zu erweitern und neu zu interpretieren. Zur Seite standen ihnen dabei Christo Popov am Klavier, Michael Flatz an den Drums und Robert Siegel am Bass. So entstand aus den großteils romantisch-elegischen Notenquellen ein Soundtrack, der sich auf Rockig-Poppiges bis hin zu abstrakten, in Endlosschleifen gemixten Soundspuren ausdehnte, die direkt vor Ort mit den Stimmen der ProtagonistInnen erzeugt wurden. Ganz zu Beginn durfte man in eine glucksende und blubbernde Geräuschkulisse eintauchen, die Nantschev auf seiner E-verstärkten Gitarre erzeugte, dabei gleichzeitig aufnahm und mehrere Spuren vor Ort übereinanderlegte.

Als Bühnenbild dienten – neben dem Industriedenkmal selbst, das einen bezwingenden, spröden Charme verbreitet – 5 schmale, schwarze, hoch aufragende Quader, an deren Rückseite leuchtende Neonröhren installiert waren. Bald wurde klar, dass diese nicht nur ein ästhetisches Moment darstellten, sondern vielmehr symbolisch für eine Entwicklung standen, die Nietzsche in seiner Kritik an der Moral anprangerte. Nicht als moralische Fehlentwicklungen in der Menschheitsgeschichte waren sie in diesem Kontext zu lesen, sondern bildeten vielmehr den Gegenpol zu einem Menschenbild, das in der Inszenierung überdeutlich von seiner animalischen Abstammung her geprägt und determiniert ist. Immer und immer wieder verwandelten sich die TänzerInnen Elke Pichler, Julia Mach und Filip Szatarski zu am Boden kriechenden Mehrzellern, gesteuert einzig von naturhaftbedingten Prozessen. Immer und immer wieder imitierten sie tierische Bewegungsmuster, die nicht vergessen ließen, welche Abstammung dem Menschengeschlecht zugrunde liegt. In Momenten allerdings, in welchen sich die Musik als herausragendes Element in das Geschehen einmischte, wurde alles Tierhafte abgeschüttelt und die menschlichen Sinneswahrnehmungen mit ihrer Reaktion auf Musik zelebriert. Dies gipfelte in der gesanglichen Interpretation der „Beschwörung“, eines von Puschkin verfassten Gedichtes, welches Nietzsche vertont hatte. Die darin ausgesprochene Klage und der Wunsch, die geliebte, verstorbene Frau bei sich behalten zu können, wurde so zart und berührend von den Bühnenagierenden interpretiert, dass es ein Leichtes war, Nietzsches Musikverbundenheit nachzuvollziehen und seiner absoluten Bewunderung dieser Kunstgattung zuzustimmen. Das Einbinden der Musiker in das tänzerische Geschehen selbst schien weniger von einem tiefsinnigen Grundgedanken gekennzeichnet gewesen zu sein als vielmehr mit einem ironischen Augenzwinkern behaftet. Zumindest nahm das Publikum dies so auf. Entkleidet bis auf ihre schwarzen Unterhosen, durften sie in allerlei Posen ihre Instrumente bedienen – ob als Kleiderständer missbraucht oder vom Klavierstockerl durch die TänzerInnen einfach abgehoben und in waagrechte, schwebende Position gebracht. Nichts konnte sie erschüttern, sie blieben völlig unbeeindruckt ihrem Musizieren treu ergeben, verbunden mit ihren Instrumenten, wie Mütter das mit ihren Babys durch ihre Nabelschnur sind. Der kontemplative Moment, im heutigen Fachjargon als „Flow“ betitelt, den MusikerInnen während des Spielens häufig erleben, wurde wohl auf diese Weise versucht zu veranschaulichen.

Was als unschuldige, zaghafte, ja fast zögerliche Choreografie zu leisen Tropfgeräuschen begann, steigerte sich im Laufe des Abends zu einer lebensbejahenden, ja beinahe orgiastischen Körperarbeit, an deren Ende die absolute Erschöpfung stand. Passend dazu verfärbten sich die weißen Shirts und Hosen der ProtagonistInnen und wiesen bald großflächige Schmutzflächen auf, die aus dem Kontakt mit Grafitpulver stammten, das an gewissen Stellen am Boden aufgestreut worden war. Der unschuldig geborene Mensch, in dem sich auf Dauer das Animalische nicht verstecken lässt, der Mensch, der von seinen Trieben durch und durch beherrscht wird, aber diese immerhin lustvoll auszuleben versteht – dieses Bild wurde schlüssig von Beginn der Aufführung bis zu deren Ende durchgezogen. Und dennoch gelang es den Kreativen zum Schluss einen völlig unerwarteten Kontrapunkt einzuziehen, der nicht nur versöhnlich wirkte, sondern als Hoffnung zu lesen ist. Dieser verweist nämlich darauf, dass es doch große Unterschiede zwischen Tier und Mensch gibt. Ein Lachen, das nach und nach nicht nur die TänzerInnen, sondern auch die Musiker erfasste, verdeutlichte, dass der menschliche Intellekt im Laufe der Jahrtausende seiner Evolution nicht nur soziale Fehlentwicklungen produzierte. „Lernt über euch selber lachen, wie man lachen muss“ war Nietzsches Aufforderung an die Menschen und ein deutlicher Hinweis, dass das Lachen eine Lern- und eine Reflexionsfähigkeit voraussetzt, die nur den Menschen, nicht aber den Tieren innewohnt.

Zuvor wurde jedoch noch in kurios-überzeichneter Weise Nietzsches Religionskritik in ein einprägsames Bild gegossen. Dazu durfte einer der Musiker mit Eimer und Klobesen bewaffnet das Publikum während des weihevollen Abschreitens der Tribüne segnen. Ihm auf den Fersen folgend, trug einer seiner Kollegen den obligaten Klingelbeutel am langen Stab, um von der Publikumsgemeinde seinen Obolus einzuholen. Dass die zuvor an Erschöpfung Verstorbenen, die sich auf einen Leichenberg zusammengefunden hatten, als Untote unerwartete Auferstehung feierten, erweiterte den vorgezeigten Gedankengang hin in eine weitere fröhliche Absurdität.

So sehr Pichler und Nantschev auch den Torsogedanken als Leitmotiv ihrer Arbeit betonen – sie brachten dennoch ein Ganzes auf die Bühne, das keineswegs den Makel des Bruchstückhaften vermittelte. Mach, Pichler und Szatarski agierten mit bewundernswerter Kondition trotz egalitärer Kostüme und ebensolcher Rollen als individuelle Subjekte. Obwohl es im Wesen des Menschen verankert ist, als Kollektiv in dieser Welt zu agieren, versucht dennoch ein jeder seine eigene Subjektivität so individuell wie möglich zu leben. Sollte diese Aussage auch bewusst nicht intendiert gewesen sein, nimmt man sie dennoch gerne gedankenleicht mit nach Hause.

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