Nepals Kulturerbe liegt in Schutt und Asche

Nepal wurde vor wenigen Tagen von einem schweren Erdbeben erschüttert. Über 10.000 Tote werden befürchtet. Eine Katastrophe unglaublichen Ausmaßes hat dieses Land heimgesucht. Die Hauptstadt Kathmandu liegt teilweise in Trümmern. Noch sind die Hilfsmaßnahmen in vollem Gange, wird versucht, Überlebende aus den eingestürzten Häusern zu bergen. Aber nicht nur Menschen kamen zu Schaden. Viele Jahrhunderte alte Kulturdenkmäler gibt es nicht mehr, sind komplett eingestürzt, oder zum Teil schwer beschädigt. Man könnte meinen, angesichts der menschlichen Tragödien wäre dies zweitrangig. Und tatsächlich ist dies in den ersten Tagen und Wochen auch so. Aber bald schon ist damit zu rechnen, dass mit Instandsetzungsarbeiten begonnen werden kann. Die Unesco hat bereits beschlossen, die Weltkulturerbestätten, und es gibt insgesamt 7 von ihnen in Nepal, wiederaufzubauen. Das wird nicht über Nacht gehen, sondern viele Jahre Zeit in Anspruch nehmen, aber es ist möglich. So wie es auch nach dem Krieg im zerstörten Europa möglich war. Dank vorhandener Pläne, Fotos und exakten Vermessungsdaten entstanden so dem Erdboden gleich gemachte Städte wie zum Beispiel Dresden oder Würzburg neu, um nur zwei der meist betroffenen Städte zu nennen.

Man könnte all dem entgegenhalten, dass das Geld, das in solche Unternehmungen gesteckt wird, doch den Opfern direkt zugutekommen sollte. Dass eine bessere Infrastruktur, Krankenhäuser und Schulen gebaut werden könnten. Das stimmt zwar, aber dabei wird vergessen, dass ein historisches Erbe immens identitätsstiftend wirkt. Denn die Geschichte, ob wir es wollen oder nicht, beeinflusst auch unser Leben. Unsere Art zu denken, unsere ästhetischen Empfindungen, unsere Wertesysteme und vieles mehr setzen sich vor allem auch aus den Bausteinen der Hinterlassenschaften unserer Vorfahren zusammen. Mit welchem Gefühl wären wir Österreicherinnen und Österreicher plötzlich konfrontiert, wenn der Stephansdom einstürzen würde? Nach dem Krieg wurde auch er, der schwer beschädigt worden war, wiederaufgebaut, unter finanzieller Beteiligung aller Bundesländer. Und das in einer Zeit, als jeder Schilling doppelt wog. Es ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie wichtig es den Menschen eines Landes selbst ist, dass ihr kulturelles Erbe sichtbar bleibt. Sie nehmen dafür finanzielle Entbehrungen auf sich, im Wissen etwas zu schaffen, das auch für die kommenden Generationen von Wert sein wird.

Die Tempel und Paläste in Nepal waren auch touristische Anziehungspunkte und damit wertvolle Devisenbringer. Dieser Wirtschaftszweig begann erst in den letzten 10 Jahren richtig zu blühen und dem armen Land ein wenig Geld in die leeren Kassen zu spülen. Nun wird es lange dauern, bis wieder Menschen in das Gebiet reisen können, um sich die historischen Denkmäler anzusehen, um dort zu übernachten, um in Restaurants ihr Geld auszugeben und auch andere touristische Angebote in Anspruch zu nehmen. Ein gewichtiger Grund mehr für diese Wiederaufbauarbeit. Sie wird nicht nur eine große Anzahl von Spezialisten an die betroffenen Stätten bringen, sondern auch vielen Menschen vor Ort für lange Zeit Arbeitsplätze sichern. Sie werden daran beteiligt sein, dass mit ihren eigenen Händen nach der Schuttwegräumung Nepals architektonisches Erbe wiederauferstehen kann. Unter diesem Gesichtspunkt ist jede investierte nepalesische Rupie nicht nur eine Investition in eine wiederzukonstruierende Architektur, sondern in die Menschen des Landes selbst.

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