Mit Fat Kid Wednesday sowie dem Hélène Labarrière Quartett erlebte das Jazzdor-Publikum einen Konzertabend der Gegensätze
Jazz aus Minneapolis auf der Bühne des Pôle-Sud in Straßburg. Wahrlich ein rares Ereignis. Im Rahmen des Jazzfestivals Jazzdor trat die Gruppe Fat Kid Wednesday in Straßburgs Avantgarde-Kulturzentrum auf und zeigte den so demokratiebewussten Franzosen, was demokratischer Jazz ist. Selten trifft man auf eine so ausgewogene Formation wie dieser. Michael Lewis am Saxophon, Adam Linz am Bass und JT Bates am Schlagzeug kamen völlig paritätisch zum Einsatz, gestalteten ihre Soli mit persönlichstem Ausdruck und harmonierten vor allem in ihrem grandiosen Zusammenspiel. Das körperbetonte Spiel von Lewis schlägt sich in einem klaren, metallenem Ton nieder, der immer voll kontrolliert erscheint. Die feinfühlige Percussionperformance von Bates, der extrem gut zuhört, sich zurücknimmt, wo es nötig ist und Gas gibt, wo er darf und die lebensbejahende Agitation von Linz am Bass waren nicht nur ein Hörerlebnis, sondern auch ein Augenschmaus. Ob in fast auskomponierten Stücken oder größtenteils frei improvisierten, ob in leisen, lyrischen, in welchen der Schlagzeuger keinen Teil seiner Drums vergaß anzutippen, oder in Partien, in welchen sie richtig Gas geben und sich gegenseitig hochpushen – immer ist es die Ausgewogenheit, die fasziniert; an diesem Abend auch die extrem gute Bearbeitung des Mischpultes! Die häufigen und logisch eingebauten Soli, die nicht, wie sonst gerne, rein zur Vorstellung der Bandmitglieder dienen, zeigten am besten, welch schillernde Musikerpersönlichkeiten sich hier zusammengefunden haben. Klarerweise ist es auch die bereits über 10jährige Zusammenarbeit, welche hier in der Qualität zum Tragen kommt. Klarer, reiner Jazz mit Ohren schmeichelnden, witzigen, atemberaubenden und träumerischen Impressionen – mehr braucht man nicht, um glücklich zu sein. You did a great job, guys!
Als Kontrastprogramm gab es im zweiten Teil des Abends das Hélène Labarrière Quartett zu hören. Die französische Ausnahmebassistin, die letzes Jahr beim Festival Jazzdor einen Soloauftritt gestaltete, zeigte mit dieser Formation eine gänzlich andere musikalische Seite. Was sie, Hasse Poulsen an der Gitarre, François Corneloup am Baritonsaxophon und Christophe Marguet am Schlagzeug produzierten, waren dichte, pulsierende, manches Mal zum Bersten übervolle Klangwolken und Klangwellen, vor denen so mancher aus dem Publikum flüchtete. Wer jedoch Stand hielt wurde belohnt mit furiosen Soli, trashigen Free-Jazz-Passagen bis hin zu offenkundigen tranceähnlichen Zuständen oder dem wahrhaft atemberaubenden Durchhaltevermögen von Corneloup. Über Minuten einen einzigen Ton im Sekundentakt immer wieder und wieder anzublasen und damit dem Stück ein unumstößliches Grundgerüst zu geben, war nur eine herausragende Leistung. Labarrières Qualitäten zeigten sich nicht nur in ihrem eigenen, so charakteristischen Spiel, das sich durch vor allem durch komplizierte, aber dennoch unglaublich gut anzuhörende Klanglinien und deren furiosen Improvisationen auszeichnet. Christophe Marguet, der tags zuvor mit seinem eigenen Quintett aufgetreten war, agierte unter ihr wesentlich sensibler und musikalisch ausgereifter und hatte offene Ohren für seine Kollegen. Und das, obwohl der Großteil der Kompositionen unter Vollstrom gespielt wurde. Die Inspiration von weiblichem Feingefühl tut diesem Musiker sehr gut. Hasse Poulsen, der auch gerne solistisch als Troubadour unterwegs ist, konnte sich an diesem Abend von seiner eher harten Jazz-Rock-Seite präsentieren. Wer dieses Konzert verfolgte weiß nun: Die Jazz-Rebellion lebt, dass man sie ausgerechnet in Straßburg findet, ist nur dank Jazzdor keine Überraschung.
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