Verzweiflung, Aufbegehren und Hoffnung

Verzweiflung, Aufbegehren und Hoffnung

Michaela Preiner

Foto: ( Nick-Mangafas )

21.

September 2023

Es ist egal, wie viel Erfahrung Kreative im Musiktheaterbereich haben. Das Resultat zählt. Anlässlich der Musiktheatertage Wien wurde aufgezeigt, dass auch ein junges Team Glanzleistungen zustande bringen kann.

Texte, egal wann sie geschrieben sind, erweisen sich dann als aktuell, wenn ihr Thema über Tagesbezüge hinaus reicht. Ein solcher Text ist „Der Mensch ist tot“. In ihm wird in einer experimentell-lyrischen Sprache der Abgesang des Menschen von dieser Erde gefeiert. Oder auch beweint, je nachdem, wie man ihn auslegen möchte. Geschrieben wurde er 1918, also vor mehr als 100 Jahren, von Claire Goll und hat dennoch bis heute nichts von seiner Wirkungskraft verloren. Damals, nach dem Ende des 1. Weltkrieges, blickten die Künstlerinnen und Künstler desillusioniert durch die Schrecken des Krieges in eine unbestimmte Zukunft.

Zwar gibt es Weltuntergangsszenarien seit es Menschen gibt. Die derzeitige Klimakrise hat die Menschheit aber wie nie tatsächlich an den Rand ihrer Existenz gebracht. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Aussage „Der Mensch ist tot“ auch heute wie ein bedrohliches Menetekel wahrgenommen werden kann.

Die Komponistin Tanja Elisa Glinser hat gemeinsam mit der Performerin und Klarinettistin Barbara Maria Neu, sowie der Regisseurin Azelia Opak ein Werk geschaffen, dass zwar zeitgeistig ist, dennoch aber tief in die Historie der Performance zurückreicht. Das Bühnenbild von Felix Huber verortet das Geschehen in einer aufgelassenen, heruntergekommen Fabrikhalle, die sich jedoch ab einem gewissen Zeitpunkt, in welchem das Geschehen kippt, unverbraucht und neu zeigt.

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Himmelsscherben (Foto: Nick-Mangafas)

Die Art, wie Glinser die wenigen Zeilen vertont, erinnert stark an dadaistische Ansätze. Sie dehnt Silben, sie wiederholt Sätze immer wieder und lässt Atemgeräusche und das Klopfen von Hammer auf Holz und Metall als rhythmisches Grundgerüst gelten. Tatsächlich bewegte sich der Ehemann von Claire Goll, Yvan Goll, in der Dadaisten-Szene rund um Hans Arp, Tristan Tzara und Francis Picabia, in jener Zeit, in welcher seine Frau das Gedicht schuf.

Um dem Publikum die Möglichkeit zu geben, der Performance inhaltlich folgen zu können, wird der Text zu Beginn der Vorstellung, gelesen eingespielt. Interessanterweise von einer Stimme mit leicht dialektalem Einschlag, fern ab von bekanntem sprachlichen Bühnenduktus.

Der Mensch ist tot,
nicht baut er aus der Welt Milchstraßen, Himmelsleitern mehr zu Gott. Fort unsere Hände, die den Horizont zerbrachen, Von gläsernen Himmelsscherben aufgeschnitten, Und unsere Frühlingssehnsucht, die den Mond Als blonde Aster in den Gürtel steckte,
Und unser Herz von tausend Regenpfeilen
An dieser Erde schwarze Wand genagelt. Und unser Blicke goldnes Feuerwerk
Mit der Raketensonne hochgestiegen,
Die nicht mehr kreiset um die dunkle Welt, Weil sie im Meere unsres Bluts erlosch.

Die Regisseurin Azelia Opak zeigt die Protagonistin – eine Frau in abgenutzter Arbeitskleidung – dem Irrsinn ausgesetzt. Sie ist offensichtlich die letzte Überlebende, alleine auf dieser Welt und scheint sich nicht von ihrem längst aufgelassenen Arbeitsplatz lösen zu können. Zu Beginn artikuliert sie sich nur mit Konsonanten und Zischlauten und folgt damit dem Text von Goll nur bruchstückhaft. Dabei wird ihre Wut und ihre Verzweiflung deutlich, schlägt sie doch zugleich mit solcher Wucht auf das Holzgestell ein, dass die davon abgeschlagenen Splitter durch die Luft spritzen.
Glinser nimmt mit dieser Sprachverstümmelung Anleihe bei Ernst Jandls Schtzgrmm. Jenem Sprachkunstwerk, in welchem er nur durch unterschiedliche Aussprache und Betonung das Elend und das Sterben der Soldaten im Schützengraben nachvollziehbar macht. Auch in Schtzgrmm fehlen sämtliche Vokale und Umlaute und dennoch bleibt die Aussage verständlich. In beiden Fällen, sowohl in Golls als auch in Jandls Lyrik steht die Verstümmelung des Menschen, Gewalt und Tod im Mittelpunkt.

Barbara Maria Neu interpretiert die Partitur mit derart viel Verve und Können, dass schon nach wenigen Augenblicken der Funke ins Publikum überspringt. Wie sie mit Wucht auf die Holzbalken einschlägt, wie sie verzweifelt mit den Worten ringt und dabei ihren Atem kraftvoll einsetzt, ist ein Erlebnis. Dass das Publikum sowohl links als auch rechts vom Bühnenbild angeordnet ist, tut ein Übriges. Fühlt man sich dabei doch tatsächlich nicht in einem Theaterraum, sondern vielmehr in jener menschenfeindlichen Umgebung, in welcher die junge Frau festzustecken scheint.

Die Stimmung wechselt erst, als sie eine Klarinette anfindet, die ein Eigenleben zu führen scheint. Einerseits entlockt sie dem Instrument beruhigende Töne, andererseits spiegelt es in immer wieder kehrenden Momenten jene Verzweiflung und jenes Aufbegehren gegen den Tod und das Alleinsein wider. Durch einen geschickten Regieeingriff, den Felix Huber ideenreich in seinem Bühnenbild umgesetzt hat, kippt die Verzweiflung und Aussichtslosigkeit. Mit unerwarteter Gewalt, aber dennoch wie von außen gelenkt, erobert sich die junge Frau einen neuen Raum. So, als ob sie aus ihrer immer wiederkehrenden Wutschleife plötzlich einen Ausweg gefunden hätte, und in einen anderen Seinszustand eingetreten wäre, befindet sie sich plötzlich in einer hellen, sauberen Umgebung. Einer Umgebung, die ihr dennoch vertraut ist.

Das Gefühl des Ausgesetztseins und jenes der Hoffnungslosigkeit weichen einer offensichtlichen Ruhe und Zuversicht. Das Schlagen und Hämmern hat ein Ende. Erschöpft, aber scheinbar glücklich, lässt sich die junge Frau nieder und scheint in eine Zukunft zu blicken, die ihr wieder lebenswert erscheint. Dass die immer wieder zitierte Himmelsleiter, welche die Menschen nicht mehr zu Gott bauen, plötzlich als Fahrstuhl sichtbar wird, versieht das versöhnliche Ende mit einer zusätzlichen Portion subtilen Humors.

„Von Gläsernen Himmelsscherben“ oszilliert zwischen Aktualität und Historie der Literatur-, Performance- und Musikgeschichte. Das Zusammenfinden der jungen Crew darf man als Glücksfall bezeichnen. Musik, Regie, Performance und Bühnenbild sind gleichermaßen gut gelungen und zeugen vom hohen Können aller Beteiligten.

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