More more more … future

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Michaela Preiner

Foto: ( )

17.

März 2010

Faustin Linyekula  – schon in seinem Namen offenbart sich der multikulturelle Hintergrund des 1974 im Kongo geborenen Choreografen und Tänzers,  gastierte Anfang März im Le-Maillon  in Straßburg. Was er gemeinsam mit dem Gitarristen Flamme Kapaya, zwei Sängern, einem Bassisten, einem Schlagzeuger und der Gruppe des Studios Kabako auf die Bühne brachte,  war wie ein Blick […]
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More more more future - mit Faustin Linyekula und Flamme Kapaya (c) Agathe Poupeney

Faustin Linyekula  – schon in seinem Namen offenbart sich der multikulturelle Hintergrund des 1974 im Kongo geborenen Choreografen und Tänzers,  gastierte Anfang März im Le-Maillon  in Straßburg.

Was er gemeinsam mit dem Gitarristen Flamme Kapaya, zwei Sängern, einem Bassisten, einem Schlagzeuger und der Gruppe des Studios Kabako auf die Bühne brachte,  war wie ein Blick in die kulturellen Hoffnungen und auch Tiefen eines Landes, das uns fast ganz unbekannt ist. Ein Land, das durch Bürgerkrieg verwüstet wurde und das sich demokratisch nennt, in dem jedoch jeder und jede genau weiß, dass unbedachte Worte Konsequenzen haben. Faustin Linyekula erzählt an diesem Abend mit trashiger Punk-Musik, gespielt von Musikern in Glitzerroben, dass die Menschen im Kongo auf den Trümmern ihrer Vergangenheit stehen, diese aber als Erbe anerkennen und hoffen, dass es ihnen gelingt, aus diesen Trümmern eine Zukunft zu bauen. Linyekula, der sich unter den drei Tänzern des Studio Kabako selbst befindet, zeigt in eindrucksvollen Bewegungsbildern, wie sehr seine Generation nach einer lebenswerten Zukunft ruft, ja schreit. Er zeigt, wie sehr die Vergangenheit auch heute noch präsent ist, indem er traditionelle, afrikanische Stammesgesänge direkt neben den kongolesisch adaptierten Punk-Rock setzt. Er beschönigt keine Konflikte und lässt die Tänzer wie wild auf die Musiker einstürmen, sodass diese Mühe haben, ihre Instrumente oder Mikrofone in Sicherheit zu bringen. Und er verweist mit Texten von Achille Mbembe auf eine Lyrik, die überraschenderweise nicht mit Bezügen zur antiken, westlichen Kulturtradition spart.  Streckenweise erinnert die Aufführung an absurdes Theater, was der Absurdität des kongolesischen Alltags durchaus entspricht.  Aus dieser Absurdität speist sich Verzweiflung genauso wie Hoffnung, Wut wie Depression und Krankheit, Gemeinschaftsgefühl und endlose Einsamkeit. Alles davon wird sichtbar in den Tänzern, den Sängern und den Musikern auf der Bühne in Straßburg.

Nur im Ausland kann Linyekula seine Idee von künstlerischer Gegenwartsbewältigung performen – in seinem Land gibt es keine Häuser mit Bühnen, die ein Spektakel wie dieses zuließen. Alles, was sich dort abspielt, geschieht unter freiem Himmel, so wie das sogenannte Ndombolo, das Fest, bei dem die ganze Nacht gesungen, getrunken und getanzt wird. More more more …. future , dieser verzweifelte Ruf nach mehr Zukunft oder besser nach irgendeiner Zukunft, ist eingebettet in Bilder, Geräusche, Musik und Tanz eines solchen Abends. Wenn auch weit, weit weg von seinem Ursprung und mit einem langen, langen Nachhall versehen, der doch nur eine kleinen Geschmack von dem vermitteln kann, was in Kisangani, der Stadt in der Faustin  Linyekula wohnt, gelebt und gefühlt wird. Die Tänzer, zu Beginn in voluminöse, leichte und bunte Kostüme gewandet, bewegen sich in ihnen wie exotische Vögel. Im Laufe des Abends mutieren sie zu kraftvollen, halb nackten, muskelspielenden Individuen um sich später zu einem einzigen Organismus zu vereinigen, der mit 6 Armen und Beinen über die Bühne krabbelt und sich dabei gegenseitig bekämpft.

Der Gitarrist Flamme Kapaya, im Kongo ein Superstar, begleitet mit seiner E-Gitarre nicht nur die rasenden und brüllenden Tiraden der Punksänger,  sondern auch – in einer besonders schönen langen Kadenz –  ein Wiegenlied für all jene, die nur im Schlaf Vergessen und Ruhe finden können vom lärmenden, wilden und hoffnungslosen, aber auch aufbegehrenden, anlaysierenden, nach Demokratie schreienden und poetisch veranlagten Treiben eines Volkes, das sich nichts mehr wünscht als more more more…. future.

Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Französisch

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