Das Lustspiel ‚Minna von Barnhelm‘ stand und steht auch noch heute auf dem Leseplan in Gymnasien. Nicht zu Unrecht, hat Gotthold Ephraim Lessing damit doch ein Paradebeispiel für eine Komödie vorgelegt, die ganz der Aufklärung seiner Zeit verpflichtet war. Und Aufklärung tut auch heute noch Not, gerade in Zeiten von Fake News und den Debatten um das Wohlergehen von Frauen, das so mancher Diktatorzwerg aus den USA und auch anderswo ihnen per Gesetz überstülpen möchte.
Dass das Stück auch heute noch für die Bühne lustvoll zugerüstet werden kann, bewies die Inszenierung im Schauspielhaus in Graz unter der Regie von Ulrike Arnold. In der vergangenen Saison überzeugte sie schon mit Nestroys „Der Zerrissene“. In ‚Minna von Barnhelm oder die Kosten des Glücks‘ greift sie abermals in jene Regietrickkiste, aus der sie immer wieder gelungene Gags und humoristisch überraschende, szenische Versatzstücke herauszuholen imstande ist.
Zu Hilfe kommt ihr das Ensemble mit Anke Stedingk in der Titelrolle, Sarah Sophia Meyer als Franziska, sowie Annette Holzmann als Wirtin. Die drei Frauen sprühen vor Witz und Elan und überzeugen mit ihren Charakterdarstellungen rundum. Dabei darf jede einzelne von ihnen das gesamte Gefühlsspektrum zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt darstellen, ein Umstand, der gerade im Theater, in dem nur der Augenblick zählt und nicht der x-te Take einer Filmaufnahme, besonders mitreißt.
Stedingk verkörpert Minna, die sich auf die Suche nach ihrem Major von Tellheim gemacht hat, als eine Vollblutliebende, die mit jeder Faser ihres Körpers und ihrer Seele um ihr Glück kämpft. Dass sie intellektuell ihrem Major überlegen ist, wird rasch deutlich. Vor allem auch, weil Sebastian Schindegger Tellheim als einen verbohrten, vom Schicksal gebeutelten, in sich gekehrten Mann zeigt, der noch dazu mundfaul ist. Wie groß seine Schauspielkunst ist, wird erst deutlich, als er auch in der Rolle von Riccaut de la Marlinière auftritt. Jenem windigen Typen, der Minna in Nullkommanichts um den Finger wickelt. Mit seiner exaltierten Art, seinem Macho-Gehabe, seiner Unverfrorenheit und seiner sprühenden Lebensfreude ist er das ganze Gegenteil von Tellheim – und die Idee der Doppelrollenbesetzung somit großartig.
Sarah Sophia Meyer nimmt rasch das Publikum für sich ein. Nicht nur, weil sie sich als beruhigendes und dienendes Element an der Seite von Minna entpuppt, sondern auch als eine junge Frau, die erleben darf, was Liebe auf den ersten Blick bedeutet. Ihr Zusammentreffen mit Paul Werner, Tellheims ehemaligem Wachtmeister, sprüht nur so von Liebesfunken, Unbeherrschtheit und anschließendem Schamgefühl. Simon Kirsch behauptet sich in der Rolle des ebenso Schockverliebten genauso wie in jenen Momenten, in welchen er versucht, seinen ehemaligen Vorgesetzten im Feld davon zu überzeugen, dass das Annehmen von Geld in Notzeiten gestattet ist, auch wenn man meint, es nicht zurückzahlen zu können.
Vom ersten Aufzug an darf Thomas Kramer als Just, Diener Tellheims, das Publikum zum Lachen bringen. Ein Albtraum, in welchem er von der Wirtin des Hotels gepiesackt wird, darf in immer absurden Steigerungen nacheinander miterlebt werden. Dies geschieht slapstickhaft, grotesk und überzeichnet, aber schlichtweg grandios humorvoll. Beteiligt daran ist auch Annette Holzmann, die als Gastgeberin zwischen Unterwürfigkeit und Berechnung in Sekunden wechseln kann. Wie die herrische, bedrohliche Wirtin letztlich in einem Happy-End-Polster-Kostüm durch mehrere Wandritzen auf die Bühne schlüpft und Just auch noch bezirzt, ist nur eine von vielen gelungenen Ideen. Die Regisseurin verwendet dabei bekannte Stilmittel von TV-Serien und verknüpft sie mit leichter Hand mit dem Theatergeschehen, als sei dies selbstverständlich.
Die Frage, inwieweit die Ehre eines Mannes seinem Glück im Wege stehen kann, wird in unseren Zeiten anders bewertet als zu jenen Lessings. Was jedoch aktueller als aktuell ist, ist jene nach der Gleichberechtigung von Partnern, die sich nicht nur finanziell, sondern auch intellektuell die Waage halten sollte. Der Spagat zwischen Tellheims und Barnhelms intellektuellen Dialogen in Lessings originalem Diktum und dem Esprit und der Spritzigkeit der Inszenierung, macht den Reiz der Inszenierung aus.
Eine Bügelszene, in welcher Just und Franziska das Hemd Tellheims und das Brautkleid Minnas in Dampfschwaden einhüllen, oder jene, in welcher Minna sich von Franziska Soletti fütternd in ein Tuchent eingräbt, als wäre sie eine beleidigte Auster, machen einfach Spaß. Großen Anteil am Gelingen hat auch Franziska Bornkamm. Ihr Bühnenbild mit hintereinander wechselnden Zimmerchen, inklusive eines veritablen Aufzugs, der schon einige Jährchen auf dem Buckel hat, reiht sich von der Idee her in die beliebte Gattung der Tür-auf-Tür-zu-Verwechslungs-Komödien.
Florian Rynkowski steuert einen Sound bei, der zwischen Wohlfühlklang und Fahrstuhlmusik changiert. Der Nachklang eines Cembalos verweist an einer Stelle an jene Zeit, in welcher die Komödie entstand, genauso wie der Auftritt Minnas in einer Szene im Barockkostüm mit Reifrock. Dieser hindert sie daran, sich geschmeidig von einem Zimmer in das nächste zu begeben und bietet zugleich eine tolle Gelegenheit, ihr komödiantisches Talent auch ohne Worte auszuleben.
Die Inszenierung ist ein anschauliches Beispiel, wie Klassiker unterhaltsam ins Heute transferiert werden können, ohne dass inhaltlich oder sprachlich an großen Schrauben gedreht werden muss. Und sie macht große Lust, öfter ins Theater zu gehen.