Miameide

Miameide

Michaela Preiner

Foto: ( Barbara Pálffy )

2.

Oktober 2023

Im Jugendstiltheater auf der Baumgartner Höhe, das sich über dem Mahnmal für die ermordeten Kinder am Spiegelgrund während der NS-Zeit erhebt, präsentierte das Sirene-Operntheater seine neue Produktion „Miameide“ mit dem Untertitel „Die stillen Schwestern“.

Damit bleiben Kristine Tornquist und Jury Everharz ihrem Metier treu, was bedeutet, dass sie immer wieder aufs Neue frischen Wind in die zeitgenössische Opernszene in Wien bringen. Mit ihrem letzten Projekt knüpften sie an „Erzählgeschichten“ an, wenngleich auch mit einem erweiterten Blick.

Tornquist arbeitete in dem Libretto ihre Erfahrungen während der Pandemie auf. Zum einen musste sie zum Arbeitsamt und erlebte dort Geringschätzung und Unverständnis. Dass jemand den Beruf einer Künstlerin ergreift, schien den Betreuenden außerhalb ihrer Vorstellkraft zu liegen. Zum anderen beschäftigte sie sich aufgrund der Lockdowns und der Unmöglichkeit, im Team zu arbeiten, mit der Flora. Einem Gebiet, das sie sich gänzlich neu erschloss. Von ihr stammt nicht nur die Idee und das Libretto, sondern auch die Regie, welche sich stark auf die Herausarbeitung der unterschiedlichen Charaktere konzentrierte.

Beide Erfahrungen, sowohl die Arbeitslosigkeit als auch die neu entdeckte Liebe zu den Pflanzen, verpackte sie in die Handlung, in welcher eine arbeitssuchende Frau zum AMS gehen muss. Dort gibt sie als Kenntnisse nur an, dass sie die Fähigkeit habe Pflanzen zu verstehen. Nach drei missglückten Versuchen als Blumenverkäuferin, Gärtnereiangestellte und letztlich als Putzfrau, folgt sie dem Rat eines Kaktus. Sie solle ihrer Berufung folgen und dorthin gehen, wo sie in guter Erde ihre Wurzeln einschlagen könne.

 

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„Miameide“ sirene Opertheater (Foto: Barbara Pálffy)

Es gibt Musik, in welcher Rosen, Lilien, Flieder, Vergissmeinnicht oder Tulpen verewigt wurden. Julia Purgina  https://de.wikipedia.org/wiki/Julia_Purgina hat sich in ihrer Komposition für die Oper „Miameide“ aber nicht nur einer Blume, sondern der gesamten Flora zugewandt. Sie schaffte es, das Wachsen und das Vergehen von Pflanzen hörbar zu machen und sie musikalisch zu  charakterisieren. Es gelang ihr gleich zu Beginn das langsame Herabtrudeln von Löwenzahnsamen oder die propellerhaften Bewegungen von Ahornsamen so in Musik zu gießen, dass man gar nicht genug davon bekommen kann.  Der Trickfilm, gestaltet von Julia Libiseller und Germano Milite, visualisierte in hoch ästhetischer Weise diesen Vorgang. Er wurde von zarten Instrumentalklängen begleitet, die ein fein verästeltes, musikalisches Gewebe ergaben, welches einen atmosphärischen Einstieg in das Thema vermittelte.

 

In diesem langen Prolog, aber auch in Zwischenspielen und einem langen Epilog verwendet sie Klangmaterialien, die manches Mal zart, dann wieder dicht und das ganze Instrumentarium ausschöpfend, den Pflanzen einen musikalischen Ausdruck verleihen. Die handelnden Personen wurden von ihr mit markanten Melodieführungen ausgestattet. Die arbeitssuchende Mia (Miameide) trägt ihre Pflanzenbegeisterung stets in melodiösen, ruhig dahinfließenden Arien vor. Niemals aufgebracht, verärgert oder böse, erklingt ihre Stimme warm und samtig. Wie immer beim Sirene-Operntheater, ist die Besetzung äußerst gelungen.

Mia trägt als einzige ein fließendes, grünes Kleid mit baumelnden Borten, das einen starken Kontrast zu allen anderen Kostümen darstellt. Die Angestellten im Arbeitsamt tragen farbig gedämpfte Outfits mit akkuraten Krageneinfassungen. (Kostüme Maria Mitterlehner) Graue Mäuse sind sie allesamt, hinter ihren kleinen Tresen verschanzt, von welchen aus sie die klimatischen Bedingungen der unterschiedlichen Monate nur jammernd kommentieren können. Michael und Markus Liszt, sowie Je. Jesch schufen ein mobiles, witziges Bühnenbild, das innerhalb weniger Augenblicke wandelbar ist.

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„Miameide“ sirene Opertheater (Foto: Barbara Pálffy)

Romana Amerlings Sopran, klar und kraftvoll, durchdringend und kunstvollst in Koloraturmanier eingesetzt, als ihr der Geduldsfaden reißt, steht ganz im Gegensatz zur Altstimme der Titelrolle. Als Sachbearbeiterin lässt sie jegliche Empathie missen und wird im Laufe des Misserfolges ihrer „Klientin“ sogar bösartig. Ihre zum Teil lauten, hohen Soli, zum Teil als beängstigend attackierend empfunden, werden von ihr herausragend interpretiert. Ihre Auftritte zählen zu den Höhepunkten der Aufführung. Während sie Mia abkanzelt oder während sie sich mit ihren Kollegen unterhält, hetzt die Musik, rhythmisch hart akzentuiert, entlang der knappen Wortsalven, die wie im Telegrammstil vorgetragen werden. Ingrid Haselberger, Benjamin Boresch, Vladimir Cabak und Johann Leutgeb als Sachbearbeiter, Arbeitslose und kurzzeitige Arbeitskollegen von Miameide zeichnen sich neben ihren stimmlichen Qualitäten samt und sonders auch durch ihr mimisches Talent aus.

Den instrumentalen Part übernahm das Ensemble Phace unter der präzise geführten Leitung von Antanina Kalechyts. Es verschwindet, genauso wie das 5-köpfige Vokalensemble „Momentum Vocal Music“ hinter einem Projektionsvorhang. Der Chor (Ekaterina Krasko, Elisabeth Kirchner, Aleksandar Jovanovic, Simon Erasimus und Benjamin Harasko) schafft eine natürliche Verbindung zwischen den Menschen und der Fauna, ohne jedoch mit einem eigenen Text ausgestattet zu sein.

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„Miameide“ sirene Opertheater (Foto: Barbara Pálffy)

Computeranimierte Gewächse belebten  in unterschiedlicher Form die Bühnenfront. Zu Beginn waren es kahle, dünne Äste, die von oben herab nach unten wuchsen und schließlich die ganze Leinwand einnahmen. Später entblätterte sich nach und nach ein Kohl, letzten Endes wuchs die Projektionsfläche vom Boden bis in luftige Höhen mit satten, grünen Pflanzen zu, die ein undurchdringbares Dickicht ergaben. Die Projektionen von esteban, Szymon Olszowski und Gert Tschuden gehörten zu einem umfassenden, künstlerischen Gesamtkonzept. Begonnen von den Eintrittskarten, über das bibliophil gestaltete und hoch informative Programmheft, hin zur Ausstattung trugt zwar alles eigene, künstlerische Handschriften, die jedoch in der Zusammenschau ein in sich stimmiges Ganzes ergaben.

Wie immer bei den Sirene-Produktionen ergänzte ein Rahmenprogramm die Vorstellungen. Unter dem Titel „Expedition Grün! Science Programm“ wurden Vorträge angeboten, die von biologischen, ökologischen hin zu kunsthistorischen Schwerpunkten das Thema Fauna beleuchteten. Die mittlerweile dichte Vernetzung von Everhartz und Tornquist – auf ihrer Homepage gut nachzulesen – garantierte eine hohe Auslastung. Die Publikumsreaktion bei der besuchten Dernière war zu Recht enthusiastisch.

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