Menschen, Maschinen und Maschinenmenschen

Menschen, Maschinen und Maschinenmenschen

Michaela Preiner

Foto: ( )

28.

November 2010

Hiroaki Umeda / S20 im Pôle-Sud in Straßburg Die Bühne ist weiß ausgeleuchtet. Drei Männer betreten die Szene, platzieren sich in mäßigem Abstand voneinander und nehmen eine Position ein, in der sie verharren. Plötzlich kommt elektronischer Sound aus den Lautsprechern und wie in einen anderen Zustand versetzt, beginnen sie sich zu bewegen. Es sind Bewegungen, […]

Repulsion von Hiroaki Umeda (c) dr
Hiroaki Umeda / S20 im Pôle-Sud in Straßburg

Die Bühne ist weiß ausgeleuchtet. Drei Männer betreten die Szene, platzieren sich in mäßigem Abstand voneinander und nehmen eine Position ein, in der sie verharren. Plötzlich kommt elektronischer Sound aus den Lautsprechern und wie in einen anderen Zustand versetzt, beginnen sie sich zu bewegen. Es sind Bewegungen, die sie im Stand durchführen, auf ihrem Platz, der ihnen zugewiesen scheint. Es ist nicht der Raum, der von ihnen erobert wird, nicht die Bühne, die sie durchqueren. Vielmehr sind es ihre Körper, die durchpulst werden, geschüttelt werden, gestoßen werden. Von unsichtbaren Mächten, die sich allein durch den Soundtrack äußern. Immer und immer wieder werden sie von diesen unsichtbaren, aber hörbaren Schlägen gepeitscht, die sie auffordern, ständig weiter in Bewegung zu bleiben. Elemente aus dem Break-dance fließen in die Choreografie ein, die trotz ihres minimalistischen Ansatzes hoch komplex ist. Und eine wahre Herausforderung für die Tänzer. Am Ende ihrer Performance werden sie in Schweiß gebadet sein. Zuvor jedoch laufen Wellen durch ihre Leiber, scheinen ihre Arme und Beine wie fremdbestimmt sich zu bewegen. Nichts in ihrem Gesichtsausdruck deutet darauf hin, dass ihnen dieses seltsame Geschehen unangenehm wäre, nichts aber auch darauf, dass sie es genießen würden. Emotionen sind hier offenbar nicht vorhanden. Was zählt, ist die Bewegung. In den Pausen, in denen die elektronische, akustische Sprache schweigt – der Rhythmus, der an maschinelle Produktionsvorgänge erinnert – aussetzt, stehen die Tänzer still. Scheinen ihre Batterien wieder aufzuladen oder auch einen neuen Input zu erhalten. Scheinen umprogrammiert zu werden. Kurze Lichtausblendungen tauchen den Saal in schwarzes Dunkel. Kevin Mischel, Yvener Guillaume und Sofiane Tiet reagieren größtenteils als solistische Einzelkämpfer auf den vibrierenden Sound, der auch beim Publikum physisch spürbar wird. Nur in wenigen Augenblicken zeigen sie synchrone Bewegungsmuster, die sich jedoch rasch wieder auflösen. Das Licht spielt ebenso wie der Sound eine große Rolle. Es verringert sich teilweise so stark, dass die Tänzer schwer zu sehen sind, oder es taucht die Bühne in eine dermaßen große Helligkeit, dass sich die Männer davor fast wie zum Greifen abheben. Erst am Schluss verabschieden sich die Künstler mit zwei Dreierformationen, in welchen sie nah beisammen stehen, eine Interaktion kommt jedoch auch hier nicht zustande. Jeder bleibt in seinem Cocoon, rastlos, ein Getriebener.

Haptic2 7 credit Shin Y17D1

Hiroaki Umeda in Haptic (c) Chin_Y

Hiroaki Umeda, der japanische Choreograf, der das Werk Repulsion in diesem Jahr schuf, ist für alles, was auf der Bühne geschieht, selbst verantwortlich. Er schafft den Sound, die Beleuchtung und die Choreografie. Sein Laptop, das sich durch nichts von herkömmlichen Laptops unterscheidet, wie wir alle sie gebrauchen, ist mit all jenen Daten gefüttert, die er für seine Auftritte braucht. Ein kleiner Klick, eine Connection zur Technik und schon können er oder seine Tänzer loslegen. Dies ist wahrscheinlich der Grund, warum alles, was Umeda macht wie aus einem Guss erscheint.

Im Werk Haptic aus dem Jahr 2008 steht er alleine auf der Bühne und agiert zwar vergleichbar wie zuvor die drei jungen Breakdancer. Aber seine Körpersprache ist dennoch eine andere. Geschmeidiger und runder gehen seine Bewegungen ineinander über, noch minimalistischer und dennoch voll von Energie arbeitet er vorm Publikum. Er erscheint statisch, wenngleich auch jeder Muskel in Bewegung ist. Stand- und Spielbein werden immer wieder in langen Sequenzen gefordert, in kleinen Schritten gibt es ein langsames nach vor und zurück Bewegen. Der Raum ist nicht wichtig, das Licht, in welches er getaucht ist, schon. Grelles Rot, ein verhaltenes, gedämpftes Violett, Grün oder Gelb. Jede Farbe, die an den Bruchkanten des Raumes durch eine andere unterbrochen wird, strahlt eine eigene Qualität aus. Hiroaki Umeda, der seine ersten Choreografien ausschließlich in einem Raum seiner eigenen Wohnung erarbeitete, ist diesem platzsparendem Tanz treu geblieben. Er durchschreitet oder durchläuft nicht die Bühne, sondern konzentriert die Aufmerksamkeit vielmehr ganz auf sich, auf jenen Ort, an dem sich das tänzerische Geschehen abbildet, das mit Tanz teilweise gar nicht richtig umschrieben ist. Auch in dieser Choreografie scheint es ein von außen erzwungener Tanz zu sein. Keine Lebensfreude ist es, die ihn dazu anregt. Wiederum treten Assoziationen zur mechanisierten Arbeitsumwelt auf. Ein Surrounding, das in Japan wohl ein besonders ausgeprägtes Phänomen darstellt. Doch obwohl der Tänzer nur durch seine raschen Mikrobewegungen die Aufmerksamkeit auf sich zieht, hat das Auge genug zu tun. Es wird von den Farben, die so ästhetisch sind, dass sie wie eine Droge wirken und die im Laufe der Performance die Bühne erhellen, gereizt. Diese raumfüllende optische Ummantelung und die scheinbare Statik des Tänzerts vereinigen sich zu einem wahren „tableau vivant“; zu einem lebenden Bild also, das Hiroaki Umeda hier produziert. Was der Künstler hier aufzeigt, ist mehr als zeitgeistig. Es ist der Versuch, verschiedene Kunstgattungen miteinander zu verbinden, ihre Grenzen zu verwischen und dadurch eine eigene, noch undefinierte Gattung zu kreieren. Die Freude an der Farbe und an der Ästhetik des dadurch entstandenen Raumes ist so groß, dass man gespannt auf jeden Farbwechsel wartet, um erneut tief einzutauchen in dieses visuelle Kaleidoskop, das aus nicht mehr als aus bunten Flächen besteht, die sich abwechseln. Einzig der Mann, der seinen Körper zu den elektronischen Soundtracks bewegt, definiert das Geschehen als Präsentation in einem Theaterraum. Ohne ihn wären die Lichträume ebenso in einer Galerie für zeitgenössische Kunst gut aufgehoben. Gegen Ende zu wird der elektronische Rhythmus rascher, die Bewegungen dazu ebenso und in den wenigen Sekunden Stille, die kurz vor Schluss eintreten, hört das Publikum bis in die letzte Reihe den schweren Atem des Tänzers. So als wollte er zum Abschluss sagen: Seht her, die Illusionsmaschine, die ich euch gezeigt habe, ist auch nur ein Mensch.

Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Französisch

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