Meine kleine Eggfarm

„Heast, heit hob i wos gsegn, des glaubst net. Spinner gibt´s, des is unglaublich.“ So oder so ähnlich wird er wohl lauten, jener Kommentar des Stammgastes eines Gösser-Beisls im Prater, den er in den kommenden Tagen nicht nur einmal von sich geben wird. Und was er erzählen kann, ist tatsächlich kurios, denn es ist nur mehr der letzte Teil einer Performance von Barbara Ungepflegt, die er in der Gastwirtschaft mitverfolgen konnte. Fast eine Stunde zuvor hatte der Spaziergang mit theatralischen Einlagen in der Nordportalstraße begonnen. Herausgerissen aus dem vorherigen Kontext erlebte der Mann nur mehr den Kulminationspunkt von „Meines“.

Damit übertitelte die Künstlerin ihre neue Arbeit, die sich mit den Errungenschaften der Reproduktionsmedizin auseinandersetzt. Aber wie! Was sich in diesem Zusammenhang meistens sehr theorielastig liest, wurde in der Umgebung des Praters mit seinen teilweise schon geöffneten Vergnügungsbetrieben als sinnlich wahrnehmbares Ereignis inszeniert. Ein Spaziergang, bei dem gleich zu Beginn die Teilnehmenden als Wunschkinder begrüßt wurden, um dann hinter ihren Leihmamas (Amalia Altenburg, Ling Chun, Hannah Jachim) brav und ordentlich loszumarschieren. Und an einigen wenigen Stationen Halt zu machen. Wie zum Beispiel bei einem Professor der Gynäkologie, der sich auf die Verpflanzung von Eizellen und Samen in Leihmütter spezialisiert hat und vor seinen improvisierten Ordinationsräumen – die mit ordinären Kloschildern auf ordinäre Locations hinwiesen – zu dozieren. Oder einer jungen Frau, der man im Freien beim Einkauf in einem Institut zusehen konnte, in der sie sich ihr Wunschkind aussuchte. Inklusive einer kleinen tragbaren Tiefkühltasche im Format eines neckischen Abendtäschchens, zum Aufbewahren der eigenen Ova. Als „Eggfarm“ wird sie an späterer Stelle dieses kleine Behältnis bezeichnen und präzisieren: „Damit kann ich „Meines“ mit mir herumtragen, bevor es eigentlich noch da ist“. Richtig erdig wird es dann im Stall eines Ponykarussells. Der Stallbursche (Enrique Fiß) am Eingang hält seine Besucherinnen und Besucher rasch im Zaum und erklärt ihnen welch edle Rösser in seinem Stall stünden. So nah lag der Vergleich mit dem Tierreich, in welchem die Reproduktionstechnik bereits in vollem Umfang die Mastställe erreicht hat, noch nie beisammen. Aber er sitzt. Später wird der Professor, der eine so große Freude an der neuen Kindermachtechnik hat, zwar erklären, dass ein Stammbaum etwas Veraltetes sei, zugleich schreien sich die Zweifel an der Sinnhaftigkeit und vor allem der Ethik hinter diesem Wirtschaftszweig schon die Seele aus dem Leib.

Gut, dass die Zeit drängt. Denn schließlich ist man eingeladen und wird erwartet. Bei der Erstkommunionfeier eines Mädchens, das auf die bereits beschriebene Weise auf die Welt kam. Sie steht leicht gesenkten Hauptes beim Eingang der Gastwirtschaft. Krista Schweiggl beeindruckt mit ihrem leisen Auftritt und erobert sich dabei die Sympathien im Handumdrehen. Sie sagt kein Wort, sondern steht einfach nur so da in ihrem weißen Kommunionkleidchen mit ihrem kleinen Kränzchen im Haar. Bläst versonnen Seifenblasen in die Luft und schaut an den Ankommenden schüchtern vorbei. Im Inneren des Beisels nimmt sie schließlich an einem langen Tisch Platz. Schmückt mit ihrer Mutter (Barbara Ungepflegt herself), die sich hinter einer aalglatten Maske versteckt, den Festtagstisch. Dabei wird ihr das Dekorationsmaterial von ihrer einem Zombie gleichen Erziehungsberechtigten lieblos hingeworfen. Trotz aller vorgeschobener Fröhlichkeit bei der Begrüßung von Ehrengästen mit Küsschen, Küsschen wird spürbar – das Wunschkind mutierte in den wenigen Jahren seit seiner Geburt offenbar zur Belastung.

Nach und nach treffen alle ein. Nicht nur das Publikum, sondern auch die zuvor Agierenden. Der Professor, die junge Frau, die Leihmütter, der Stallknecht. Seine Frage, ob die Mutter sich denn sicher sei, dass ihre eigene Eizelle für das Kind verwendet wurde, bringt Hektik ins Getriebe. Wie aufgescheuchtes Gegacker wirkt plötzlich die Unterhaltung an dem langen Tisch und auch die Festtagsrede des Professors schafft keine wohlige Behaglichkeit.

Wunschkinder werden in Ungepflegts Inszenierung zu lebenden Objekten, die schon nach kurzer Zeit zu spüren bekommen, dass sie auf dieser Welt wie in einem luftleeren Raum leben. Ohne Anbindung an eine Vergangenheit und mit einer höchst ungewissen Zukunft. Was die Künstlerin in ihrer unter die Haut gehenden Performance auf die Spitze treibt, mag demonstrativ sein. Nicht zuletzt auch deswegen, weil es tatsächlich immer schon Kinder, ausgesetzte, ohne nachvollziehbare Vergangenheit gab und gibt. Mit der Möglichkeit der Reproduktionsmedizin wird nun jedoch erstmals in der Geschichte der Menschheit den Frauen allein die Möglichkeit gegeben, ohne zugehörigen Partner und ohne auch nur daran körperlich irgendwie beteiligt zu sein, Kinder zu bekommen. Die in der Performance vorgeführte Entfremdung gibt es jedoch auch bei vielen Müttern, die ihre Kinder auf herkömmliche Weise zur Welt bringen. Ein spannendes Thema, klug, witzig und berührend umgesetzt, das im Imagetanz Festival für Chorografie, Performance und unheimliche Körper des brut einen guten Platz fand. Wenngleich diese Veranstaltung ein großes Diskussionspotential enthält. Gerade deswegen aber auch so sehens- und mitmachenswert war.

„Jetzt essen die a no a mitgebrachte Torte“ echauffierte sich der Wirt hinter der Theke über die ans Publikum verteilte Erstkommunionstorte. Tja, so ist das eben. Das Leben ist hart und ungerecht. Vor allem jenen gegenüber, die es so empfinden wollen.

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