Beim „wortwiege – Festival“, das noch bis 24. März unter dem Motto „fragil/fragile“ geballte Theaterpower nach Wiener Neustadt bringt, ist diese Inszenierung gut aufgehoben. Nicht nur, dass sie sich mit einem eleganten und passgenauen Bühnenbild von Andreas Lungenschmid perfekt in den historischen Wehrbau aus der Renaissance einfügt. Auch die Programmatik, über die Festspieljahre hinweg die großen europäischen Mythen zu erzählen, die die abendländische Kultur maßgeblich geprägt haben, macht gerade an diesem Ort Sinn.
Die Geschichte rund um die „Zauberin“ Medea lässt in der Krassnigg-Inszenierung kein einziges Mal einen antiquierten Mief aufkommen. Ganz im Gegenteil: Tatsächlich ist das Drama um die betrogene Frau, die sich ihrer Söhne und Lebensgrundlage beraubt, dazu entschließt, Rache an ihren Peinigern zu nehmen, emotional hochaktuell. Und fulminantest vom Ensemble gespielt. Nina C. Gabriel agiert als Medea so, dass sie in keinem einzelnen Augenblick ein outriertes, theatrales Gehabe aufkommen lässt. Vielmehr taucht sie in jede einzelne Emotion mit unglaublicher Verve ein, lässt dunkle Schatten in ihren Gedanken spürbar werden, oder legt ihre Verzweiflung offen, die sie letztlich zur Ermordung ihrer Kinder treibt. Schon als „Danton“ brillant, zeigt sie auch in dieser Rolle, dass sie der Titulierung „Grande Dame der Emotionen“ mehr als gerecht wird.
An ihrer Seite spielt Jens Ole Schmieder atemberaubend Jason, jenen verachtenswerten Charakter, der in höchster Not lieber sich selbst als seine Frau rettet. Seine Charakterdarstellung changiert zwischen Verzweiflung, Herrschsucht, Begehren, Verachtung und grandioser Selbstüberschätzung und lässt keinen Zweifel aufkommen, dass Medea seinen Handlungen einen Gegenpol setzen muss. Er braust auf, unterwirft sich, ist voller Berechnung und dann wieder kleinlaut – eine schauspielerische Leistung, vor der man den Hut ziehen muss.
Mit Peter Scholz konnte Krassnigg ein langjähriges Mitglied der Josefstadt verpflichten und landete damit einen weiteren Volltreffer. Sein König Kreon ist ein hinterlistiger, machtbesessener und über Leichen gehender Typ, der die Chuzpe hat, Medea noch in der allertiefsten Erniedrigung, die er ihr antut, höhnisch ins Gesicht zu lachen. Sein Spiel ist so provokant, dass man ihn am liebsten in jeder einzelnen Szene barsch zur Rede stellen möchte, ob er sich seines unmöglichen Benehmens nicht in Grund und Boden schämen möge.
Nur seine Tochter Kreusa – die von Saskia Klar höchst facettenreich dargestellt wird – kann ihm mit Rippenstößen Einhalt gebieten, wenn er rotzfrech beleidigend über die Stränge schlägt. Klars Kreusa lässt subtil erkennen, dass hinter ihrem naiven, kindlichen Gutmenschengehabe doch eine große Portion Eigennutz steckt – jedoch psychologisch klug verbrämt.
Die Inszenierung wartet, als USP von Krassnigg, wie immer mit einer Verschränkung des Bühnengeschehens mit Videoeinspielungen auf. In dieser Produktion gelingt ihr dadurch zugleich auch so mancher Rückblick in Medeas und Jasons Vergangenheit. Was Grillparzer in seinem ersten Teil der Trilogie „Das goldene Vlies“, dem „Gastfreund“, sowie dem zweiten Teil „Die Argonauten“, erzählte und für das Verständnis von Medeas Charakter wichtig ist, wird in kurzen filmischen Szenen sichtbar. Ebenso dachte die Regisseurin aber auch an die beiden Söhne von Medea, die ihre Mutter letztlich auch im Stich lassen. Auch hier sind es Filmszenen, die zeigen, dass ein lustiges, unbeschwertes Leben in Saus und Braus für sie wesentlich attraktiver ist als eines an Entbehrungen an der Seite von Medea. Sichtlichen Spaß bei den Filmaufnahmen hatten Flavio Schily und Nico Dorigatti als jugendliche Söhne. Die Verzahnung mit dem Geschehen auf der Bühne ist spannend und überraschend und erweitert die Produktion mehr als positiv. Christian Mair steuerte sowohl das Film- als auch das Musikmaterial bei. Letzteres mit einem emotional-sphärischen Touch, der die Gefühle beim Zusehen zusätzlich unterstützt.
Auch die Bühne – ein roher Altarstein inmitten von sandigem Boden, vor einem mehrere Meter hohen Vlies und einem dahinterliegenden, sichtbaren antiken Portikus, als auch umgestürzten, schwarzen Säulenstümpfen, oszilliert zwischen einem Gestern und Heute, zwischen Macht und Vergänglichkeit. Die österreichisch-griechische Künstlerin Evelyne Papadopoulos, steuerte mit ihrem beeindruckenden Kunstwerk aus Schafsfell ein Vlies bei, das verdeutlicht, dass es seine Macht ist, nach der im Grunde jeder der Männer in diesem Drama strebt. Gerade die Größe des Vlieses und die natürlich scheinende Behandlung – die Locken der Schafsfelle werden fast haptisch erfahrbar – ergeben eine wunderbare Analogie zu dessen wahrer Bedeutung. Antoaneta Stereva, langjährige Kostümausstatterin der wortwiege, schuf Outfits, die archaisch wie modisch zugleich erscheinen. An einzelnen Stellen genügt das Umlegen eines Tuches oder eines Schales, um eine bestimmte Bedeutungsebene zu unterstützen. Dass Medea einen langen fingerlosen Handschuh in Dunkelrot trägt und ihr Mann Jason gegengleich einen schwarzen, sagt ebenfalls viel über ihre Gefühle zueinander aus.
„Medea – Alles Gegenwart“ wird Anna Maria Krassniggs Ruf gerecht, eine Regisseurin zu sein, die aus den Tiefen der Charaktere all das ans Tageslicht bringen kann, was ihr Tun, und sei es noch so monströs, erklärbar macht.