Marie-Louise von Motesiczky – Max Beckmanns unbekannte Schülerin

Wenn auch nur ein Bild von mir in ferner Zukunft mit „Werk eines unbekannten Meisters“ betitelt wird, hat sich das Leben gelohnt.“ Retrospektive im Museum Moderner Kunst, Stiftung Wörlen, Passau

Marie-Louise von Motesiczky - Mutter

Marie-Louise von Motesiczky – Mutter


Als Marie-Louise von Motesiczky ihre hoch betagte Mutter darauf ansprach, dass sie eigentlich ein schönes Leben gehabt hätten, antwortete die noch immer resolute Dame ihrer auch schon in den 70ern stehenden Tochter: „Nicht ein schönes Leben, sondern ein wunderbares!“ Die alte Dame fasste kurz zusammen, was für ihre und die Generation Marie-Louises überhaupt nicht selbstverständlich gewesen war. Zwei Weltkriege und eine für viele Menschen in Europa entbehrungsreiche Zwischenkriegszeit waren keine optimalen Zeitkoordinaten für ein „wunderbares“ Leben. Und dennoch gab es Menschen, die aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten und ihrer eigenen, persönlichen Überlebensstrategie dieses Geschenk tatsächlich erleben durften. Die Künstlerin Marie-Louise von Motesiczky wurde als zweites Kind von Henriette und Edmund von Motesiczky 1906 in Wien geboren. Ihre Mutter stammte aus einer jüdischen Bankiersfamilie. Trotz einer Fehlspekulation des Familienanwaltes in den 30er Jahren, ermöglichte das noch verbliebene Vermögen Marie-Louise, der letzten ihrer Familie, lebenslang ein sorgenfreies Dasein. Diese finanzielle Unabhängigkeit hatte der Malerin auch gestattet, ihre Bilder nicht zu verkaufen. Sie hätte wohl auch darunter gelitten, was man daran erkennen kann, dass in ihrem letzten Haus in Cambridge, direkt neben ihrem Bett die Regale aufgestellt waren, in denen sich ihre Kunstwerke befanden. Dies zeigt darüber hinaus sehr deutlich, wie wichtig Marie-Louise von Motesiczky ihre Arbeit genommen hatte. Ja, sie bezeichnete in einem Interview das Malen als „Mittel zum Überleben“.
Selbstportrait Marie-Louise von Motesiczky I

Selbstportrait Marie-Louise von Motesiczky


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Marie-Louise von Motesiczky


Marie Louise von Motesiczky - Zwerg

Marie-Louise von Motesiczky


Die Tatsache ihres Reichtums, sowie ihres zurückhaltenden, aristokratischen Lebensstils, bewirkte aber auch, dass sie von der Kunstwelt und vom kunstinteressierten Publikum so gut wie überhaupt nicht wahrgenommen worden war und ihre Bilder erst in hohem Alter der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Ihre Unbekanntheit steht in krassem Gegensatz zur Qualität ihrer Arbeiten, die sich schon im ersten Selbstportrait als 20jährige manifestiert. Das Bild zeigt eine sitzende, selbstbewusste, junge Frau, die dem Blick des Betrachters stand hält. Die gelängte Form ist nicht nur eine manieristisch-expressive Attitüde, sondern weist auf die tatsächlich große Gestalt des jungen Mädchens hin. Unverkennbar ist in den frühen Bildern der Einfluss von Max Beckmann, den sie als 14jährige als Gast im Haus ihrer Mutter kennengelernt hatte. Motesiczky reduziert, wie ihr Vorbild, von dem sie später auch als Schülerin in Frankfurt unterrichtet worden war, die Darstellung auf jenes Maß, welches zwar noch eine gute Leserlichkeit zulässt, aber mit der Ablehnung von unnötigen Details einhergeht. Die Farbe ist mit groben Pinselstrichen aufgetragen, der Farbauftrag der einzelnen Partien gut spür- und nachvollziehbar. Zu einem großen Teil verzichtet die Künstlerin auf perspektivische Wiedergabe, indem sie in den meisten ihrer Bilder nicht das Kompositionsschema von Vorder- Mittel- und Hintergrund aufgreift. Die Treffsicherheit der Farbauswahl, von Beginn ihrer Arbeit an, dürfte sie dem Einfluss ihrer Mutter, die ebenfalls gemalt hatte, verdanken. Das Gefühl für Farbe und Form, in frühem Kindesalter schon trainiert, vollendet sich naturgemäß rascher bei jenen, die der Thematik der Malerei – ob bewusst oder unbewusst – in jungen Jahren schon ausgesetzt sind. Die Beschäftigung mit dem eigenen Ich in Selbstportraits begleitete Motesiczky ihr Leben lang. In der Ausstellung ist neben ihrem ersten Selbstportrait und einer Anzahl weiterer, auch ihr letztes, aus dem Jahre 1993 zu sehen. Ob sitzend oder stehend, geht aus der Darstellung nicht hervor. Wie im ersten Bild, spielt aber auch in diesem Bild die Kleidung eine große Rolle. Körperbetont und modisch im Jahre 1926, den Körper umspielend und elegant 1993. Ein gekrempter Hut lässt das Gesicht ab der Stirnmitte frei, die großen, dunklen Augen bestimmen einen abgeklärten Blick, der jenem neugierigen, aufgeschlossenen des jungen Mädchens  auf dem ersten Selbstportrait kaum mehr ähnelt. Ganz im expressionistischen Stil der frühen Ausformulierung gestaltete sie ihr Portrait 1926, wohingegen 1993 ein wesentlich lyrischer und leichterer Duktus mit zarteren Pinselstrichen die Darstellung beherrscht. Zwischen den Bildern liegt eine Zeitspanne von 67 Jahren. Ein Leben, das mit den Liebschaften von bekannten Männern wie Elias Canetti oder Oskar Kokoschka und der jahrelangen Betreuung ihrer alternden Mutter ihre Gegenpole fand. Ganz im Gegensatz zu einer anderen, bekannten und hoch begabten Frau ihrer Generation, Alma Mahler-Werfel, blieb sie ihrer Berufung trotz der männlichen, künstlerischen Einflüsse jedoch treu und schuf ein durchgehend stringentes, die Weiterentwicklung der Malerei des 20. Jahrhunderts aufgenommen habendes Oeuvre. Ihre besten Arbeiten leistete sie, wie die Ausstellung in Passau sehr anschaulich zeigt, auf dem Gebiet der Portraitmalerei. Portraitiert wurden nicht nur Männer und Frauen aus der gehobenen Gesellschaft, sondern auch Unbekannte, die Motesiczky wahrscheinlich aufgrund ihres ungewöhnlichen Erscheinungsbildes faszinierten. Wie z.B. ein kleinwüchsiger Mann im eleganten Anzug, der sich den Betrachtern in selbstbewusster, sitzender Pose präsentiert und lapidar als „Zwerg“ in der Betitelung erscheint. Ihr am häufigsten gemaltes Modell war jedoch ihre Mutter. Auch in diesem Fall zeigt die Ausstellung sowohl das früheste Bild von 1929 als auch das letzte, kurz vor dem Tod der Mutter entstandene, aus den Jahren 1977/78. Motesiczky bildet die alte Frau darin glatzköpfig ab, beinahe schonungslos, jedoch immer mit einer unglaublichen Alterswürde behaftet. „Von der Nacht in den Tag“ ist eines der stärksten Bilder aus dieser Serie. Henriette von Motesiczky wird liegend dargestellt, über ihre linke Hüfte blickt ihr kleiner Windhund, offenbar ist auch er gerade erwacht und hatte an der Seite der Greisin übernachtet. Ihre Gesichtsfarbe ist hell, leicht grau und überstrahlt alles andere. Die Komposition erinnert stark an „Die Windsbraut“ von Oskar Kokoschka, dem zweiten, wichtigen künstlerischen Beeinflusser, dessen Stilmittel von Motesiczky in den letzten Jahren immer stärker in ihre eigenen Werke eingeflossen sind. Man hat die Serie mit der Dokumentation des körperlichen Verfalles von Henriette Motesiczky kommentiert. Die Künstlerin selbst trat dagegen jedoch in einem Interview vehement auf und erklärte, dass sie nicht den Verfall, sondern vielmehr die Schönheit dieser Frau festhalten wollte. „Malerei war hier ein Mittel um am Leben zu bleiben“, äußerte sie sich. Das Porträtieren nahm viel Zeit in Anspruch und ihre Mutter war jedes Mal erfreut, wenn die Tochter mit Farben an ihr Bett kam, denn dann bedeutete dies auch ihre ungeteilte Zuwendung für viele Stunden. Ein ebenfalls beeindruckendes Werk, „Die Reisenden“ von 1940, vereinigt eine expressive Formensprache und den Rückgriff auf das jahrtausende alte Motiv eines mit Menschen beladenen Bootes, gepaart mit einer offenkundig dichten Ikonologie. Das Bild war anlässlich der Emigration nach England entstanden und zeigt die Auswanderer, die einzelne Lieblingsgegenstände in Händen halten. „Es wirkt beinahe wie in einem Narrenschiff“ fügte Motesicky einmal erklärend hinzu und brachte dadurch auch ihre damaligen Empfindungen zum Ausdruck. Eine der zentralen Gestalten, eine üppige, nackte Frau, hält einen großen Phallus zwischen ihren Händen. Motesiczky war durch ihren Bruder Karl, der eine enge Beziehung zu Wilhelm Reich unterhielt, auch damit konfrontiert, dass der junge Mann jahrelang unter sexuellen Störungen gelitten hatte und Hilfe in der damals noch jungen Therapieform von Reich zu finden hoffte. Dieses aufwühlende, starke und beeindruckende Bild wäre sicherlich dem Säuberungswahn der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen, wäre sie in dieser Zeit auch öffentlich mit ihrem Werk vertreten gewesen. Zwar hatte sie eine Karriere als Malerin angestrebt, aber der Einmarsch Hitlers in Österreich hatte sie und ihre Mutter veranlasst, nach England zu emigrieren. Trotz des in der Replik „wunderbaren“ Lebens, traf die beiden Frauen im Jahre 1942 ein Schicksalsschlag. Motesickys Bruder, Baron Karl von Motesicky, war im Widerstand aktiv gewesen und verraten worden. Einige Monate nach seiner Einlieferung in das KZ von Auschwitz verstarb er. Die Gräuel dieser Zeit finden sich in der Arbeit der Künstlerin überhaupt nicht wieder, auch sozialkritische Anklänge sind dem Werk fremd. Trotz ihrer tief empfundenen Trauer um den Verlust des Bruders und Sohnes, Henriette wollte ihm sogar ein Denkmal errichten, waren beide Frauen bemüht, das Unaussprechliche und Unbeschreibliche, so gut es ging, im englischen Exil von sich fernzuhalten. So bestimmen Portraits, Stillleben, Ausflugsskizzen, einige Landschaften und vereinzelte, bedeutungsaufgeladene Bilder wie z.B. „Die Reisenden“ das Oeuvre. Diese beschr

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