Himmel, Hölle und Paradies

Himmel, Hölle und Paradies

Michaela Preiner

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9.

August 2016

Hieronymus Bosch starb vor genau 500 Jahren. Marie Chouinard begeisterte das ImpulsTanz Publikum mit der Interpretation seines "Garden of earthly delights".

Ein Charakteristikum von großen Kunstwerken ist, dass sie kreative Leute anregen, sich damit selbst auf ihrer eigenen, künstlerischen Ebene auseinanderzusetzen. Auch noch viele Jahrhunderte nach ihrer Entstehung. „Der Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch ist so ein Kunstwerk. Das Triptychon, das um 1500 gemalt wurde, gibt den Betrachtenden seit mehr als 500 Jahren Rätsel auf. Und es ist eines der ganz wenigen Bilder aus der Zeit, auf welchen nackte Menschen in eindeutigen sexuellen Posen zu sehen sind.

Das ImpulsTanz Festival lud die kanadische Choreografin Marie Chouinard und ihre Companie nach Wien ein, um hier ihre neueste Arbeit „Hieronymus Bosch: The garden of earthly delights“ zu präsentieren. Die Auftragsarbeit, die in Koproduktion mit der „Jheronimus Bosch 500 Foundation“ aus den Niederlanden zustande gekommen war, hatte nur vier Tage vor der Aufführung in Österreich in den Niederlanden Weltpremiere. In Hertogenbosch, der Geburtsstadt des Malers. In Wien wurde sie vom Publikum im Volkstheater hoch akklamiert und bildete einen der Höhepunkte des ImpulsTanz Festivals.

Differenzierte Klangwelten

Chouinard ist nicht die erste, die sich mit dem Stoff tänzerisch auseinandersetze. Bereits 2009 verfasste die in Paris lebende spanische Choreografin Blanca Li eine Choreografie mit dem Titel „Le Jardin de Délice“, die am Tanzfestival in Montpellier uraufgeführt wurde. Im Gegensatz zu Li, die mit einem Pianisten den Soundtrack gestaltete, arbeitete Chouinard mit dem Musiker Louis Dufort zusammen, der ihr ein vielfältiges Soundmaterial zur Verfügung stellte. Verfremdete, fragmentierte Choräle und Orgelstücke im ersten Teil, dunkle, bedrohliche Klangwolken im zweiten, sowie Vogelgezwitscher und Wassergeplätscher und ein im Finale warmer, wogender Klang begleiten das 10-köpfige Ensemble auf seiner Reise durch Boschs fantastische Bilderwelt.

Cie. Marie Chouinard (CA) HIERONYMUS BOSCH: THE GARDEN OF EARTHLY DELIGHTS/ Dancers : Leon Kupferschmid, Carol Prieur, Morgane Le Tiec, Valeria Galluccio, Paige Culley, Sacha Ouellette-Deguire, Megan Walbaum, Scott McCabe, Lucy M. May, Sébastien Cossette-Masse © Photo : Nicolas Ruel

Cie. Marie Chouinard (CA)
HIERONYMUS BOSCH: THE GARDEN OF EARTHLY DELIGHTS/ Dancers : Leon Kupferschmid, Carol Prieur, Morgane Le Tiec, Valeria Galluccio, Paige Culley, Sacha Ouellette-Deguire, Megan Walbaum, Scott McCabe, Lucy M. May, Sébastien Cossette-Masse © Photo : Nicolas Ruel

Ein opulentes Bühnenbild

Die Choreografin selbst schuf ein beeindruckendes Bühnenbild. Zu Beginn ist die Außenansicht des Triptychons, die Welt am dritten Tag ihrer Erschaffung, zu sehen. Es ist so hoch wie die Bühne des Volkstheaters und alleine dadurch schon beeindruckend. Langsam öffnen sich die Flügel und ein Zoom fokussiert sich auf die mittlere Tafel, auf die Bosch seine Vorstellung eines Garten der Lüste malte. An der Bühnenvorderkante sind rechts und links runde Bildschirme angebracht, die in den ersten beiden Akten Ausschnitte aus den Bosch-Abbildungen zeigen. Sie verschränken gleichzeitig das tänzerische Geschehen mit dem malerischen und geben immer wieder Hinweise auf den jeweils getanzten Bildausschnitt. Im dritten Akt ist es ein auf jeden Bildschirm projiziertes Auge, das sich langsam öffnet und am Ende der Vorstellung wieder schließt.

Der Himmel

Chouinard gliederte ihr Produktion wie das Triptychon selbst in drei Teile und ließ zwischen diesen jeweils für wenige Augenblicke das Licht ausgehen. Ihre Tänzerinnen und Tänzer schienen gleich zu Beginn wie aus den Bosch-Tafeln entsprungen. Weiße Alabasterleiber, lange, wallende Haare bei den Frauen und Posen, welche die Choreografin eins zu eins aus dem Bild übernahm, bestimmten den ersten Teil. Die Verbindung der statischen, zum Teil höchst eigenartigen Körperhaltungen zu einem flüssigen Bewegungskanon machten rasch klar, dass sich die Ästhetik des zeitgenössischen Tanzes in einer starken Nähe zu Boschs eingefrorenen Bewegungen befindet. Ein allererstes Aha-Erlebnis, dem noch weitere folgen sollten.

Die Hölle

So imitatorisch nahe sich die Tanzenden im ersten Teil  an den Bosch-Motiven befanden, so sehr ihr Tun mit Lust und Freude assoziiert werden konnte, so frei interpretierte Chouinard den Höllen-Teil. Und so furchterregend war die Botschaft, die dabei versendet wurde. Gellende Schreie, tierische Laute, die in ein Mikrofon gebrüllt wurden und ein harter Soundtrack ummantelten ein absurdes Geschehen. Die Menschen hantierten mit Objekten wie großen Mülleimern oder Alphörnern, Eisenstangen und großen Leitern wie Besessene. Jeder für sich alleine, aber auch jeder gegen jeden und das gleichzeitig, sodass das Publikum mit dem Zuschauen selbst schon Mühe hatte. Der zum Teil ins Infernalische anschwellende Lärm und die außer Rand und Band geratenen Aktionen des Ensembles vermittelten den Eindruck, sich in einem aussichtslosen und vor allem auch endlosen Zustand des Wahnsinns zu befinden. Für einen höllischen Zustand braucht es nicht mehr als eine eigene, krankhafte Obsession, auch das vermittelte diese kraftvolle, knapp an einer höllischen Explosion vorbei schrammenden Choreografie.

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Der Garten Eden

Nach einem abermaligen Break schloss Chouinard die Inszenierung mit der Darstellung des Garten Eden. Mit jener Bosch-Szene, auf der Gott in Gestalt von Jesus Adam und Eva zusammenführt. Leise und bedächtig inszenierte die Choreografin ein Bäumchen-wechsle-dich-Spiel, in dem nacheinander die Tanzenden die Posen von Gott, Adam und Eva einnahmen und lange darin verharrten. Ihre Interpretation, zu zeigen, dass dieses Paradies nicht von Dauer war, gelang mit wenigen, feinen Hinweisen. Ab und zu begannen sich die Körper in kurzen Momenten wie in einem raschen Tanzrhythmus zu bewegen, ab und zu wurden andere Haltungen eingenommen als jene, die auf dem Bild zu sehen sind. Auch Bosch selbst hat mit winzig kleinen Hinweisen auf dieser Tafel die Unvollkommenheit des Paradieses aufgezeigt.

Das Göttliche ist ewig

Aufgrund des geringen Bewegungsvokabulars wurde die Dauer dieser Szene als lang empfunden, was sicherlich bewusst intendiert war. Kann man doch diesen Schwebezustand als Hinweis eines ewig währenden, göttlichen Zustandes interpretieren, den einzig die Menschen mit ihrem Drang nach einer Entwicklung, dem Drang nach Bewegung konterkarieren. Das allsehende Auge Gottes, permanent in den runden Projektionen während der Szene geöffnet zu sehen, schloss am Ende seine Lider. Ein sich abwendender Gott oder prosaisch gesehen ein ermüdender Mensch hat genug von dem Treiben auf der Bühne. Mit dem Schließen der Flügeltüren und dem gleichzeitigen Verschwinden des Ensembles ist Chouinards und Boschs Traum vom Paradies, der Hölle und der Göttlichkeit an sein Ende gelangt.

Ein virales Bekenntnis zur europäischen Kunsttradition

„Hieronymus Bosch: The garden of earthly delights“ in der Bühnenfassung der kanadischen Choreografin ist mehr als die Summe seiner Einzelteile. Es ist ein lebendig gewordenes Tableau, über das Bosch selbst gestaunt hätte. Es ist ein Gesamtkunstwerk, das zeigt, wie nahe sich Malerei und Tanz stehen können, wenn diese beiden Künste intelligent und mit großer Kreativität zusammenfinden. Es ist eine halluzinatorische, bewegte Inszenierung von Motiven, die ein überaus kreativer Maler der Frührenaissance mit Farbe und Pinsel auf einen hölzernen Bilduntergrund aufgebracht hat. Und es ist nicht zuletzt ein virales Bekenntnis zu einer zutiefst europäischen Kunsttradition, die in dieser Inszenierung auch Menschen begeistern wird können, die einen völlig anderen kulturellen Hintergrund aufweisen.