Im Tanzschritt durch Raum und Zeit

Im Tanzschritt durch Raum und Zeit

Michaela Preiner

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15.

Juli 2016

BiT von Maguy Marin ist der Versuch, eine Konstante im Verlauf des Menschseins zu finden.

Die Eröffnung des Impulstanz-Festivals 2016 nahm die Cie. Maguy Marin mit der Produktion BiT vor. Bei ausverkauftem Haus zeigte die Grande Dame des zeitgenössischen französischen Tanzes im Volkstheater einen Reigen quer durch Zeit und Raum, der tänzerisch mit Schritten südländischer Reihentänze ausgestattet war. Die Farandole, der Sirtaki oder die Sardana, die als offene Reigen getanzt und deren Schrittkombinationen ständig tradiert werden, sind Tänze, die schon auf grafischen Höhlendarstellungen, die 10.000 Jahre alt sind, auftauchen. Diese Information ist nicht unwichtig, um das Stück von Marin zu verstehen.

Die Choreografin Maguy Marin tanzte in den 70er-Jahren im Ensemble von Maurice Béjart und schaffte ihren Durchbruch mit der eigenen Choreografie „May B“ 1981. Sie gilt als eine der wichtigsten französischen Choreografinnen des 20. Jahrhunderts und schuf bis zu ihrer letzten Arbeit „BiT“ insgesamt rund 40 Stücke. In dieser 2014 entstandenen Choreografie hielt sie sich aber nicht sklavisch an die tradierten Schrittkombinationen, sondern vermischte diese auch mit anderen Elementen wie Bewegungen aus dem Alltag. Das Erklimmen von Schrägen und das Rutschen von ebensolchen, die mit der Kunstform Tanz überhaupt nicht in Verbindung stehen, kommen darin genauso vor.

Durch die verschiedenen Kostüme, die erkennbar unterschiedliche historische Epochen anklingen lassen, tanzt die Gruppe, begonnen in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, zurück bis in die Antike, um dann wiederum vorwärts, wie an einem imaginären Geschichtsstrahl entlang, in das dunkel konnotierte Mittelalter einzutauchen. Ein Streifzug ins 19. Jahrhundert, in dem sie drei Nornen mit Spindeln und Fäden auftreten lässt, leitet über ins Hier und Jetzt, in dem der einsame Kampf um das eigene Weiterkommen, die persönliche Karriere, bestimmend ist. Dabei treten die Reihentänze als ein immer wieder kehrendes choreografisches Motiv auf.

Sechs schräge, ungefähr drei Meter hohe Rampen verstellen den Bühnenraum und lassen den Tanzenden auf dem Boden wenig Platz. Logischerweise weichen diese auch schon bald auf diese Rampen aus, nutzen ihre Zwischenräume oder verschwinden dahinter ganz. Maguy Marin schuf mit „BiT“ jedoch kein rein ästhetisches Stück, vielmehr versuchte sie, unterschiedliche Aussagen zu Lebensthemen wie Sexualität und Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen, aber auch solchen der Kirche zum Volk und den Frauen im Speziellen, anzudenken. Dabei sparte sie auch nicht mit derben Hinweisen auf die sexuelle Anziehungskraft der Geschlechter. Dies bis hin zu Szenen, in welchen die Vergewaltigung einer Frau durch fünf Männer dargestellt wurde. In braune Kapuzen gehüllt, mit weißen Masken auf dem Gesicht, evozieren die Tanzenden ein Bild, wie es stereotyper für die Idee einer Vergewaltigungsszene in einem katholischen Kloster nicht sein könnte. Auch die antike Orgie, in der sich alle beteiligten Frauen und Männer einem Bäumchen-wechsle-dich-Spiel hingeben, das ausschließlich rollend am Boden vonstattengeht, ist so angelegt, dass sie nur knapp am Kitsch vorbei schrammt.

Und dennoch sind es diese Szenen, die verdeutlichen, wie sehr das Auf und Ab im Leben eines Menschen sich über die Jahrhunderte, ja Jahrtausende, mit Millionen anderer vergleichen lässt. Die Leichtigkeit und Fröhlichkeit, die dem Stück zu Beginn innewohnte, kommt ihm, je länger es dauert, abhanden. Und in der letzten Szene, die choreografisch an den Beginn anknüpft, ist es dann soweit: Dem Idyll der Tanzenden kann man nicht mehr trauen. In all dem Hin und Her zwischen Anziehung und sexuellen Übergriffen, zwischen Ausgelassenheit in der Gruppe und einer Einsamkeit, bei der jeder und jede für sich versucht, den Scheitelpunkt einer Schrägen zu erklimmen, wird deutlich, dass es letztlich wenige Motivationen sind, die das Leben würzen oder zur Hölle werden lassen.

Immer wieder lässt sie Paare auftreten, die sich zuerst vorsichtig annähern, bei denen schließlich jedoch die Frau als sexuelles Opfer zurück bleibt. BiT, das im Französischen auch in der Vulgärsprache als Penis verwendet wird, macht deutlich, wie sehr das dionysische Element des Tanzes Teil unserer Gesellschaft ist. Eine Gesellschaft, die sich über die Jahrtausende in der zwischenmenschlichen Aktion jedoch nicht verändert hat. Die Produktion zeigt gleichzeitig auch, dass dazu auch der Kampf um das weibliche Geschlecht gehört. In einer Nachstellung eines männlichen Käferkampfes, den zwei Tänzer am Boden miteinander austragen, wird dies klar visualisiert. Der Reihentanz, der wie eine Klammer das disparate Geschehen zusammenhält, wird zu einer Camouflage, die zudeckt, was unter der öffentlichen gesellschaftlichen Akzeptanz in den Körpern der Menschen brodelt. Er kann zugleich aber auch als Ausdruck unbändiger Freude und gesellschaftlichen Zusammenhalts verstanden werden. Auch diese Botschaft wird transportiert.

Die Bipolarität, mit der das Leben ausgestattet ist, kommt auch in der Musik zum Ausdruck. Der junge Komponist und Interpret Charlie Aubry schuf eine Sound-Untermalung in welcher der Beat, der sich durch das ganze Stück zieht, DAS fundamentale Element schlechthin darstellt. Einspielungen von Stimmen, die rebellische Situationen wie bei Aufständen auditiv wiedergeben, lösen sich mit Litaneien ab. In diesen wird eine göttliche Macht beschworen, ohne dass der Sinn der Gebete jedoch konkret verstanden und wiedergegeben werden kann. Die Emotionen, die diese Klang- und Sound-Begleitung auslösen, treffen auf das Bühnengeschehen und vermischen sich zu assoziativen Ideen. Das Publikum darf dabei sein Kopfkino kräftig bemühen. Ein dunkler, wabernder Sound, in der Lautstärke zurückgenommen und peitschender Techno-Beat lösen einander ab. Stimmen wie aus der Vergangenheit treffen auf ein jetzt stattfindendes Geschehen. Sie erwecken den Eindruck, dass die Vergangenheit ein Teil unserer Existenz ist und sich die Evolution innerhalb eines Kreislaufes abspielt, dem nicht zu entkommen ist.

BiT von Maguy Marin ist der Versuch, eine Konstante im Verlauf des Menschseins zu finden. Mithilfe von subjektiv ausgewählten, geschichtlichen Streiflichtern kristallisiert die Choreografin ein Medium heraus, das auch heute noch Gültigkeit hat. Dass dies bei ihr der Tanz ist, liegt auf der Hand.

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