Eine hohe, die ganze Bühnenbreite ausfüllende, schräge Bretterwand, an die sich links und rechts zum Zuschauerraum hin verlotterte Bretterverschläge anschmiegen. Unrat, dem die Verrottung von Menschenkörpern anzusehen ist. Eine beeindruckende Lichtperformance von Bruno Poet, die Emotionen verstärkt oder abkühlt, je nachdem wie es das Libretto fordert. Mehr braucht es nicht, um eine stimmige Kulisse für Giuseppe Verdis Macbeth abzuliefern. Doch. Nicht zu vergessen: Drei drahtige Akrobatinnen, die an Seilen hängend die Bretterwand beleben. Wie Batwoman, nur mit dem Attribut von weißen, über das Gesäß reichenden Zöpfen, versinnbildlichen sie jene drei Hexen, die William Shakespeare in seiner Vorlage Macbeth seine Zukunft weissagen. Verdi, der diese drei Hexen durch einen dreißigstimmigen Chor ersetzte, nahm somit dem Publikum vordergründig die Chance, sich an den drei Geisterwesen zu delektieren.
Francisco Negrin, der an der Opera national du Rhin in Straßburg Regie führte, hatte jedoch die Königsidee, durch die drei Athletinnen die drei unheimlichen Gestalten wieder sichtbar werden zu lassen. Und das ist nicht die einzige kluge Regieentscheidung gewesen. Auch die Beschränkung auf ein einziges Bühnenbild, das alle im Buch vorgegebenen Orte optisch negiert, erweist sich als absoluter Glückgriff. Damit gelingt es Negrin, das Geschehen vom Äußeren ins Innere zu transportieren. Es gelingt ihm aufzuzeigen, dass es reine menschliche Niedertracht, gespeist aus Hilflosigkeit, Machtbesessenheit und Angst ist, welche Macbeth und seine Frau dazu veranlassen, jene zu morden, welche sie an der Ergreifung und Erhaltung der Macht hindern könnten.
Die ansonsten eher abstrakte Vorstellung von den niederträchtigen Motiven wird in Negrins Inszenierung sonnenklar. Der Wunsch nach einem Kind, nach dem Erhalt und der Weiterführung einer Dynastie ist jene Triebfeder, die im Hause Macbeth Schlechtes gebiert. Kinder, von kleinen Puppen, die sich der Hexenchor nacheinander reicht, über eine sich bewegende Säuglingsimitation, von der Lady Macbeth in einem Albtraum entbunden wird bis hin zu jener Schar, die lebendig die Nachkommen mimen, die von Macbeth so grausam auf der Bühne erstochen wurden – sie sind das Sinnbild für den übermächtigen Wunsch vor allem Lady Macbeths, sich ganz oben anzusiedeln. Dort, wo die Zukunft hell und klar und vor allem für die nächste Generation gesichert scheint.
Bei Verdi wird nur hinter der Bühne gemordet, in der Straßburger Inszenierung ist das Publikum bei jeder einzelnen Bluttat live dabei. Die Hoffnungslosigkeit, die den Kindern angesichts ihrer ermordeten Väter in ihre Gesichter geschrieben ist, verweist unglückselig in die Zukunft. Sie macht deutlich, dass die Folgen der Gewalt vor allem die späteren Generationen tragen werden – ein weltweit nach wie vor brennendes Problem. Ob nun die Fallstricke des Schicksals, die von den Hexen immer wieder um die Protagonisten gewunden werden, Schuld an dem Gemetzel sind oder Macbeth und seine Frau diese ganz alleine tragen müssen, bleibt unbeantwortet. Die Leidensposen, bis hin zum Bild einer auf den Kopf gestellten Kreuzigungsszene, in welcher die drei Akrobatinnen minutenlang mit ausgestreckten Armen kopfüber an der Wand hängen, lassen zumindest den Schluss zu, dass es keine metaphysische Erlösung gibt.
Mit dem Spanier Enrique Mazzola wurde ein Dirigent verpflichtet, der das Orchestre symphonique de Mulhouse derart subtil zu führen weiß, dass es eine wahre Freude ist. Die Stärke Mazzolas Dirigat liegt nicht nur in der Gesamtperformance, die sich sehr nahe am musikalischen Originaltext orientiert, sondern vor allem in der brillant und differenziert eingesetzten Dynamik. Forte bis zum x-fachen Fortissimo und Piano bis zum x-fachen Piano – pppp – hin zum beinahe nicht mehr Hörbaren – das ist vor allem eine Herausforderung für die Bläser, die aber wunderbar agierten. Verdis musikalischer Stilmix, der besonders in dieser Inszenierung augenfällig befremdlich wirkt, da er vor allem in den Chören oftmals eine fröhliche Musik erklingen lässt, die sich mit dem gesungenen Text überhaupt nicht kompatibel verhält, wird von allen Beteiligten jedoch wunderbar getragen. Elisabete Matos als Lady Macbeth überzeugt in der Rolle, der in dieser Aufführung ganz und gar nicht im Hintergrund agierenden „Einflüsterin“, bis hin zu jenem Bild, in dem sie selbst Hand anlegt und einen Sohn von Macduff ermordet. Mit kraftvoller Stimme hält sie dem Orchesterklang stand und ist sogar noch dann deutlich zu vernehmen, wenn der Chor vielstimmig ertönt. Macbeth selbst wird von Bruno Caproni gesungen. Sein warmer Bariton festigte sich im Laufe des Abends und glitt in einen Ausdruck, der ihn auch stimmlich nicht nur als Täter, sondern auch als Opfer erkennen ließ. Eine wunderbare, allmähliche Wandlung. Besonders akklamiert wurde Sebastien Na in der Rolle des Macduff, und das völlig zu Recht. Klar und brillant ist seine Stimme, ohne aufgesetzten Druck füllt sie den Raum – einfach schön. Auch Wojtek Smilek als Banco und Enrico Casari als Malcolm überzeugten und rundeten die Besetzung stimmlich harmonisch ab. Mit dem Engagement von Negrin führt Marc Clémeur jene Erfolgsgeschichte weiter, die in dieser Saison schon mit Richard III. begann. Nämlich Regisseure bzw. Regisseurinnen zu engagieren, die fähig sind, die Stücke zeitgemäß zu interpretieren und eine Modernität auf die Opernbühne zu zaubern, die sich dennoch immer in einem Rahmen bewegt, der für das Publikum nachvollziehbar bleibt.
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