Beckett reloaded

Beckett reloaded

Michaela Preiner

Foto: ( )

8.

August 2015

„Sorrow Swag“ von Ligia Lewis, eine Produktion, die in der Reihe (8:tension) beim ImpulsTanz Festival zu sehen ist, stellt eine kunstvolle Verschränkung mit Samuel Becketts „Not I“ dar.

„Sorrow Swag“ von Ligia Lewis, eine Produktion, die in der Reihe (8:tension) beim ImpulsTanz Festival zu sehen ist, stellt eine kunstvolle Verschränkung mit Samuel Becketts „Not I“ dar.

„Sorrow Swag ist eine Arbeit, die aus der Sprache der Trauer entstand“, ist von der aus der Dominikanischen Republik stammenden und in Berlin und New York arbeitenden Choreografin im Programmheft über ihr Werk zu lesen. Das Ein-Mann-Stück, das von Brian Getnick performt wird, fokussiert in 40 Minuten den Blick auf ein intrinsisches Geschehen, das erst in der letzten Szene tatsächlich auch nach außen dargestellt wird. Dann nämlich, wenn Getnick mit gold eingefärbten Zähnen einen minutenlangen Schrei von sich gibt, der zwischen innerem Schmerz und von außen zugefügter Pein kündet.


Zuvor ist er in vielen Sequenzen ein junger, sportlicher Mann, der seinen Körper stählt und nur ganz zu Beginn, in blaues Licht und Nebel getaucht, sich suchend über die Bühne bewegt. Einen großen Anteil am emotionalen Aufbau der Vorführung hat George Lewis Jr., der unter seinem Künstlernamen Twin Shadow besser bekannt ist und dessen letztes Album „Eclipse“ erst in diesem Jahr bei Warner Music erschienen ist. Der tiefe elektronische Sound zu Beginn, die bald darauffolgende, nur aus 6 Tönen bestehende Melodie, die durch Terzakkorde breiten Wohlklang verströmt, aber dennoch den Touch des Unergründlichen vermittelt, tragen Brian Getnick förmlich durch den Raum. Sein Bewegungsvokabular changiert zwischen dem Tänzeln eines Boxers, dem Laufen und Stoppen eines Basketballers, dem eines Reiters oder eines Hundes. Kurz zuvor beschimpft er das Publikum mit :“ I spit on your happyness“ und „you are all dogs!“ Das innere, seelische Zerwürfnis bricht sich zum ersten Mal seine Bahn aus dem hyperaktiven Körper.Die wabernde Musik, ein Auftritt mit einem von oben herabgelassenen Mikrofon, eine Entschuldigung an namentlich genannte Freunde oder Verwandte, all das sendet diffuse Botschaften, die ganz individuell gelesen werden können. Und sie vermitteln den Eindruck, dass dieser Mann auf der Bühne eine Art Zeitbombe in sich trägt. Etwas, das noch kein Ventil gefunden hat, aber das in seiner Kraft so stark ist, dass es irgendwann zum Ausbruch kommen muss. Dieser ereignet sich tatsächlich in der allerletzten Szene, in welcher sich Getnick auf einen kleinen Stuhl setzt. Das Licht geht aus, bleibt nur punktuell auf seinen Mund gerichtet. „You said one word to me – miraculous“ ist noch von ihm zu vernehmen, dann beginnt ein zuerst leises Lamento, das sich permanent steigert. Samtweich, aber zugleich unverständlich, bildet ein Song von George Lewis Jr. unter dem immer stärker werdenden Geschrei eine zweite, fast körperlich spürbare Ebene, gegen die Getnick immer lauter und eindringlicher schreiend phonetisch angeht.

Ligia Lewis bezieht sich in ihrer Arbeit ganz subtil auf Samuel Beckets „Not I“, ein Werk, das die Schauspielerin Billie Whitelaw zur Aufführung brachte; in einem gänzlich abgedunkelten Raum, in dem auf der Bühne einzig ihr Mund beleuchtet war. Ein Interview mit der Schauspielerin über dieses Werk stellt die Basis zu „Sorrow Swag“ dar. Lewis kreative Leistung ist die Umsetzung  des rhythmisch furios angelegten Textes von Becket in eine männlich bewegte Körpersprache. Dabei benutzt  sie zusätzlich Zitate von Whitelaw, wie die Schilderung der Atmosphäre im Theater bei der Uraufführung im Jahr 1973, bei der alle Lichter, auch die der Notausgänge abgedunkelt wurden.  In Getnicks Formulierung auf der Bühne meint man, als würde er von Lewis Intentionen für die aktuelle Aufführung sprechen. So verzahnt die junge Choreografin kunstvoll Geschichte und Gegenwart, Fremdes und Eigenes zu einem neuen Ganzen. Im Gegensatz zu Beckets „Not I“ ist es dem Protagonisten auf der Bühne unter Lewis erlaubt, die unterdrückten Emotionen, das Pulverfass in seinem Inneren, zum Explodieren zu bringen und in einem zur Unendlichkeit gefroren scheinenden Schrei zu entladen. Wie viele andere Aufführungen von ImpulsTanz in dieser Saison, weist auch diese Arbeit eine explizite historische Referenz auf, die umso besser rezensiert werden kann, je stärker der Hintergrund hierfür bekannt ist. Das Publikum ist gefordert, nachzulesen, sich über die Vorstellung hinaus zu informieren. Erst im selbst erarbeiteten Wissenszusammenhang erschließt sich diese kunstvolle, neu interpretierte Werkmontage ganz. Eine spannende Arbeit, die wesentlich mehr ist, als sie auf den ersten Blick erscheinen mag. „When we had finishet it … there came just one word from him – miraculous“ – sind die letzten erklärenden Worte von Whitelaw über die Reaktion von Beckett auf die Aufführung.