Liebe und Macht in neuem Gewande – Ariadne auf Naxos an der Rheinoper in Straßburg

b ARIADNE AUF NAXOS Prologue Noldus Van Mechelen Orthman Novikova photo Alain Kaiser 6

Ariadne auf Naxos in der Opéra du Rhin in Straßburg (photo: Alain Kaiser)

Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauß hatten es sich anders ausgedacht. Aber der Regisseur André Engel nahm sich knapp 100 Jahre nach der Entstehung der Oper Ariadne auf Naxos die Freiheit einer modifizierten Deutungsversion.

Engel ist vertraut mit Werken der Österreicher Hofmannsthal, Ödön von Horvath, Franz Kafka oder Thomas Bernhard. Dass er, wie in diesem Fall, die Handlung nicht in Österreich belässt, sondern in den mediterranen Süden versetzt, erlaubt eine zeitgemäße Annäherung an das Thema. Was dabei herauskam, ist derzeit noch bis 20. Februar  an der Opéra du Rhin in Straßburg zu sehen.

Angesetzt in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt sich bei der Straßburger Aufführung das Spiel um einen reichen Geschäftsmann, der eine Oper und ein Tanzstück in Auftrag gegeben hat bis hin zum Auftritt Bacchus als locker, leichte Opera buffa. Im Gegensatz zu Hofmannsthal jedoch lässt Engel nicht wirklich mit einem versöhnlichen Schluss aufwarten. Seine Ariadne wird sich der neuen Liebe nicht bewusst und Bacchus schleicht sich wie ein Schelm, der etwas Unstatthaftes zu erreichen versuchte, von der Bühne. Gerade diese Schwere, der auch Zerbinetta mit ihrem letzen Auftritt, in dem sie noch einmal auf das Wechselspiel der Liebe hinweist, im Grunde nichts entgegensetzen kann, lässt Engel unaufgelöst stehen.   Das grundsätzlich angelegte Thema des Theaters im Theater – oder hier der Oper in der Oper – erweitert der Regisseur noch durch zwei ergänzende Ebenen. Er lässt die Ariadneoper des zweiten Aufzuges nicht auf einer imaginären Opernbühne, sondern am Strand von Naxos spielen. Wenngleich, da wir uns ja in der Oper befinden, auch das imaginiert. Damit erreicht er, dass sich das Publikum wesentlich stärker mit Ariadnes Liebesleid identifizieren kann, als würde sie ihre Lamenti in einem Guckkasten vor einem Mäzen präsentieren.  Die zweite Verschränkung, wie ein kleiner Fingerzeig angelegt, findet sich in der Kostümierung der italienischen Sänger und Tänzer. Klarerweise treten auch sie nicht in den ihnen angestammten Kostümen der Commedia dell`Arte auf, sondern agieren als Marx-Brothers-Verschnitt. Diese schufen im Jahr 1935 den Film „Eine Nacht in der Oper“ in der es ebenfalls – ähnlich wie in Hofmannstahls Libretto – um die Beeinflussung künstlerischer Ideen durch das Geld einer steinreichen Mäzenin geht.

a ARIADNE AUF NAXOS Opéra Libor Novikova photo Alain Kaiser 30

Ariadne auf Naxos mit Libor und Novikova in Straßburg (photo) Alain Kaiser

Als Haushofmeister tritt Ruth Orthmann mit lauter Stimme die Macht vertretend auf. Ihre Überzeichnung der Person findet sich wieder in jener von Bacchus, der als gestrandeter Seefahrer tätowiert und mit kurzem Shirt schwitzend um Ariadne wirbt. Das Bühnenbild von Nicky Rieti  nimmt sich im Gegensatz dazu zurück. Der schon leicht in die Jahre gekommene, putzbröckelnde Sommerpalast im ersten Bild hat noch starke, romantische Anklänge und schmiegt sich an die Strauß´sche Musik ohne große Reibung. Er vermittelt die Vorstellung von Improvisation, künstlerischem Chaos und dem Gefühl des Dolce Vita, dem die Haute-Volée sich dort hingibt. Die tektonischen Felsplatten des zweiten Aufzuges, scharf abgegrenzt zum blauen Meer, das sich wie eine Bucht einschiebt, lassen direkte Bezüge zu den Kanten und Ecken, zu den Tiefen und Höhen der menschlichen Seele zu. Die Mäzenatenfamilie und auch alle anderen Zuseher wie der Komponist oder der Musiklehrer, sind aber im Laufe des Geschehens mit Ariadnes Dramatik sichtlich überfordert und verlassen nacheinander das Geschehen. Bis zum Schluss nur mehr Ariadne allein, betört vom Traubensaft, den ihr Bacchus zuvor gepresst hat, liegen bleibt.

Die metaphorische Tiefe der Oper, die durch die Vermengung des antiken Ariadnemythos mit einer eher platten Handlung in der Jetzt-Zeit entstand, kann in Engels Inszenierung sicherlich nur von jenen verstanden werden, die sich näher mit dem Thema beschäftigt haben. Er schreibt mit seiner Interpretation ein weiteres Kapitel zur Aufführungspraxis der Ariadne und, gerade aufgrund seiner zusätzlichen Mehrdimensionalität, wohl nicht das Unbedeutendste. Stimmlich herausragend singt Christiane Libor die Partie der Ariadne. Ihr voller, aber immer weich sich verströmender Sopran bietet Freude und erweckt Mitleid in jeder gesungenen Note. Der ihr zur Seite gestellte Michael Putsch als Bacchus strahlt zwar metallen, aber seine Atemtechnik unterscheidet sich hörbar von jener Libors. Julia Novikova als Zerbinetta entspricht nicht nur stimmlich der Rolle ganz. Ohne Übertreibung meistert sie ihre schwierigen Arien und gibt dabei noch das figürliche Idealbild einer femme-fatale der 30er Jahre wieder. Besonders hervorzuheben ist noch die Besetzung der drei Nymphen. Anaïs Mahikian, Ève-Maud Hubeaux und Anneke Luyten bestechen in den Strauss´schen Terzetten derart, dass man sie gerne wie in einer Endlosschleife wieder und wieder gehört hätte. Auch in allen andern Partien wurden geglückte Besetzungen ausgewählt. Das Symphonieorchester Mulhouse, dirigiert unter Daniel Klajner, lieferte eine solide Leistung und ließ vor allem im Vorspiel aufhorchen, dem Strauss auch musikalisch besonders effektvoll die Welten der seriösen und leichten Unterhaltung entgegensetzte.

Ein Opernabend, der sich wie eine Tröpfcheninfusion erst nach der Einnahme der gesamten Dosis so richtig entfaltet. Programmheft daher unbedingt Pflicht!

Weitere Vorstellungen: hier

Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Französisch

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