Das schöne Ungeheuer
Von Michaela Preiner
Leviathan (Foto: Int. Bühnenwerkstatt Graz)
D er Brite James Wilton, mehrfach international wegen seiner Choreografien ausgezeichnet, ist dem Grazer Tanzpublikum schon seit Längerem bekannt. 2013 choreografierte er an der Oper Graz „Le sacre du printemps“. Nun kam er mit seiner Truppe zur Internationalen Bühnenwerkstatt und begeisterte mit einem Stück, das mehrere Interpretationsebenen zulässt.
James Wilton, der in diesem Stück auch die Hauptrolle tanzt, geriert sich als machtbesessener Berserker, der es durch Körperkraft und eisernen Willen schafft, sich über alle anderen Kreaturen zu stellen und diese zu beherrschen. Dabei gestaltet er auch jenes berühmte, allen bekannte Bild, in welchem die Menschwerdung vom Primaten durch den aufrechten Gang visualisiert wird, als Tableau vivant. „The march of progress“, so der Titel, stammt übrigens von Rudolf Zallinger, einem amerikanischen Maler mit österreichisch-polnischen Wurzeln.
Leviathan (Foto: Int. Bühnenwerkstatt Graz)
Leviathan (Foto: Int. Bühnenwerkstatt Graz)
Wilton beherrscht im wahrsten Sinne des Wortes die Bühne von Beginn bis knapp vor Schluss der Aufführung. Michael Kelland, Norikazu Aoki, Ihsaan De Banya und Jacob Lang agieren als tierische Wesen genauso wie als von ihrem Führer eingeschworene Bande auf Leben und Tod. Die Choreografie, die sie dabei verwenden, weist eine ganze Fülle von unterschiedlichen Stilmitteln auf. Von Bodengymnastik über Hip-Hop-Bewegungen, von zeitgenössischem Ausdruckstanz bis hin zu Movements aus unterschiedlichen Kampfsportarten reicht die Palette. Kraftvoll und zupackend, zugleich aber auch in höchstem Maße die Kräfte von Zug, Gegenzug, Druck und Gegendruck nutzend, wirbeln die Männer durch den dunklen Raum, der ohne Bühnenbild auskommt. Sie springen und werden geschleudert, gehoben, gezogen und auf den Boden gedrückt, oder wirbeln um ihre eigene Achse und vollführen sogar mehrfache, horizontale Salti. Einzig schwere Taue und ein effektvolles Lightning beleben die Szenerie. Kurze, aber intensive Publikumsblendungen, nur Bruchteile von Sekunden lang, machen die Zusehenden für je einen Augenblick blind und markieren damit einen neuen Handlungsabschnitt.
Die eindrucksvolle Musik von „Lunetic Soul“ mit einer Mischung von Sing-a-song-writer Nummern, kräftigem Indie-Rock und einer kräftigen Prise Weltmusik umspülte das Geschehen wie eine zweite Haut. Die fließenden Bewegungen des Legendenwesens Leviathan passen auch zum blütenweißen Hosenanzug, in dem Sarah Jane Taylor tanzt. Die Verwandlung von Ahabs Matrosen in ebensolche schönen, rätselhaften Wasserungeheuer erzeugt einen reizvollen Bilderfluss, dem man nicht widerstehen kann. Das Ende des Mannes, der glaubte, nichts und niemand würde ihn besiegen, wird elegant mit einem Bild verknüpft, das auch ganz zu Beginn der Produktion stand. Nur dieses Mal ist es nicht der am Boden liegende, friedliche Leviathan, der eine riesige Fontäne Wasser aus seinem Mund spuckt, sondern der bezwungene Ahab.
Leviathan (Fotos: Int. Bühnenwerkstatt Graz)
Das Publikum beim Premierenabend war zu Recht begeistert und forderte das sympathische Ensemble mehrfach auf die Bühne. Ein höchst gelungener Auftakt des diesjährigen Sommer-Programmes der Internationalen Bühnenwerkstatt.
Leviathan wird ein zweites Mal, am 18.7. gezeigt. Infos unter: https://www.buehnenwerkstatt.at/class/leviathan-based-on-moby-dick/?wcs_timestamp=1531774800
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