Lemminge, Humoriges und Muckibudentanz

Lemminge, Humoriges und Muckibudentanz

Michaela Preiner

Foto: ( )

17.

Dezember 2013

An diesem Abend zeigte der Bühnenkunstverein Fifoo erneut, wie viel Leben in ihm steckt und machte klar, dass sich in Wien langsam neben dem Tanzquartier ein zweiter Ort für zeitgenössischen Tanz entwickelt, dem man Beachtung schenken sollte.

Überraschung! Die von Kanako Sako kuratierten Tanzabende könnte man ohne Weiteres unter dieses kurze Motto stellen, denn tatsächlich war das Moment der Überraschung auch beim dritten Fifoo-Programm im Palais Kabelwerk ein gewichtiges. Die Winterausgabe der Tanzreihe bestand diesesmal aus zwei unterschiedlichen Abenden mit insgesamt gleich 5 Tanzproduktionen.

Abend Nummer eins wurde von der Gruppe Monochrome Circus aus Japan eröffnet. Der Titel „Lemming“ verweist auf eine dem Menschen wenig schmeichelhafte inhärente Eigenschaft – sich nämlich in bestimmten Situationen wie diese Tiere zu benehmen. Ihnen wird nachgesagt, dass sie in Rudeln auftreten und völlig unreflektiert das tun, was die Ersten in ihren Reihen zu einem bestimmten Zeitpunkt beginnen. Kosei Sakamoto, Gründer der in Kyoto beheimateten Truppe und Choreograf des Stückes, bringt mit seinen Tänzerinnen und Tänzern, die noch durch weitere Mitglieder aus Fukuoka und Kobe ergänzt werden, Stimmungen in den Saal, die zwischen den Gefühlen von Hilfsbedürftigkeit und Hilfestellung-leisten-wollen, hin und her pendeln. In immer kürzeren Abständen lassen sich seine Protagonisten und Protagonistinnen ohne jegliche Vorwarnung zu Boden fallen. Wie von einer sie überkommenen Ohnmacht befallen, brechen sie von einer Sekunde auf die andere zusammen, ohne jedoch dabei hart auf der Erde aufzuschlagen. Vielmehr ist immer jemand in der Nähe um das Fallen aufzuhalten, wenn manches Mal auch erst in der letzten Sekunde. Das Tempo, das sich dabei im Laufe der Vorstellung zu einem atemlosen steigert, ist anfangs noch ein ruhiges, dahinfließendes, überschaubares und die Aktionen dadurch noch kalkulierbar. Je mehr Tänzerinnen und Tänzer jedoch die Bühne betreten umso rascher wird der Wechsel zwischen sich Fallenlassen und Auffangen, bis schließlich beinahe im Sekundentakt untereinander geholfen werden muss. So, als würden sie bereits einen Schwächeanfall von vorneherein spüren, beginnen die Tänzerinnen und Tänzer im Laufe der Zeit das Niedersinken bewusst zu evozieren – die Grenze zwischen Helfen und die Katastrophe-selbst-auslösen, beginnt dabei langsam zu verschwimmen. Die große, grüne Pflanze inmitten der Bühne ist das einzige Requisit, das so etwas wie ein Stück Restnatur markiert, um das herum sich das Treiben der Menschen-Lemminge abspielt. Beeinflusst wurde Kosei Sakamoto dabei von der Pandemie im Jahr 2009, als die Vogelgrippe große Auswirkungen auf die Stadt Osaka hatte und das Leben dort beinahe paralysierte, sowie von den Erdbeben, dem großen Tsunami und nicht zuletzt dem nuklearen Supergau, die Japan heimsuchten. „Lemming“ ist zwar vom Titel her ein Stück, das den Menschen auf seine tierischen Instinkte hin reduziert. Der Inhalt aber ist durchtränkt von jenen Gefühlen und Verhalten, die nur dem Menschen zugeschrieben werden: Besorgnis, Hilfsbereitschaft, einem starken Gemeinschaftssinn und dem Wissen, in der Masse nicht alleine zu sein. Gerade diese Ambivalenz, die bis zum Schluss stehen bleibt, macht diese Produktion neben ihrem Tempo spannend. Die bunte Truppe, in der sichtbar verschiedene asiatische Ethnien vereint sind, tanzt beinahe bis zur völligen Verausgabung großartig und vermittelt das Gefühl, an einem ganz besonderen Ereignis teilgenommen zu haben. Sich ins Nichts fallenzulassen und dabei immer wieder aufgefangen zu werden stellt doch eine unglaubliche Bereicherung im körperlichen Erfahrungsschatz eines jeden Menschen dar. Sakamotos Ensemble hat bei dieser Produktion die Möglichkeit, sich dieses Gefühl durch die vielen Proben und Aufführungen ganz einzuverleiben. Beneidenswert.

Kanako Sako, gebürtige Japanerin, derzeit in Wien lebend und künstlerische Leiterin von Fifoo, erweist im zweiten Stück dem Publikum selbst die Ehre. „I.multifillis“ lautet der kryptische Titel des kurzen Werkes ihrer persönlichen Serie „color for naught“. Bedeutungsschwanger schiebt sie dafür anfangs kriechend eine Flasche über den Tanzboden und stellt sie dort in der Mitte derselben ab. Jede Geste, jede Bewegung scheint inhaltsschwer aber nicht entzifferbar, jede Bewegung – sei es das Schieben von Glas auf dem harten Boden oder das Rutschen einer Hand wird zum feinen, außergewöhnlichen akustischen Erlebnis. Ein Glas und ein Blatt Papier landen auf dieselbe Weise im Zentrum des Geschehens, bleiben dort aber ungerührt, während die Tänzerin nun zu einer romantischen Cellomelodie ganz selbstverloren beginnt, ihren Körper ihrem rechten Arm unterzuordnen. Ihr „Armtanz“ mit angehängtem Körper fesselt nun das Publikum nicht nur ob der bewundernswerten Kraft, welche Kanako Sako dafür in dieser Extremität benötigt. Es ist ein ganz besonderer lyrischer Moment, der durch eine ebensolche Musik unterstützt wird, der so verzaubernd wirkt und vergessen lässt, was zuvor an Requisiten zurechtgestellt wurde. Fließende, elegante Bewegungen mutieren zu kantigen, eckigen, der am Arm hängende Mensch wird zur Nebensache. Es ist schließlich ein kurzer Erschöpfungszustand, in dem Kanako Sako am Boden liegend neue Kraft holt, aufsteht und im zuvor platzierten Glas nun mit Wasser ein weißes Pulver auflöst. Sie taucht ihren Finger ein und beginnt Strich für Strich, langsam, dem Publikum den Rücken kehrend, am Boden zu schreiben. Aber anstelle eines philosophischen Gedankens oder eines gesellschaftlichen Imperativs entsteht die ganz banale Botschaft: „20 Minuten Pause“. Wie schön, wenn sich jemand aus dem als so unverständlich verschrienen zeitgenössischen Tanzbetrieb selbst so humorvoll sehen kann und die Erwartungshaltung des Publikums so bricht, dass dieses laut zu lachen beginnt. Der Schalk sitzt dieser liebenswerten Künstlerin ganz tief im Nacken – ein Wesenszug, der gerade bei Solistinnen und Solisten überaus selten anzutreffen ist. Die Verbeugung, mit welcher sie ihr Publikum jeweils beim Betreten des Saales begrüßt, muss an dieser Stelle an sie zurückgegeben werden.

Den Schluss des ersten Abends bildete die Crew von @tendance/C. Medina, die seit 2006 kräftige Lebenszeichen in Graz und darüber hinaus von sich gibt. „In/dependance“ – also ein Pendeln zwischen Abhängigkeit und deren Gegenteil – ist ein passender Titel für das, was mit nur einer Requisite auf der Bühne das Publikum bei Laune hält. Ein offenes Metallpodest mit einem einzigen Boden und einer ungefähren Bodenfläche von 1,5 x 1,5 Metern bestimmt das Geschehen oder vielmehr scheint als direkte Inspirationsquelle für die vier jungen Frauen zu gelten, die davor in engen schwarzen Trikots sitzend das „Turngerät“ erst einmal intensiv betrachten. Dem Publikum wurde zuvor Kopfhörer ausgeteilt, über welche man ganz individuell zwei unterschiedliche Soundkanäle zuschalten kann. Oder auch je nach Lust und Laune zwischen diesen wechseln, oder den Ton überhaupt ganz abschalten kann. Zwar machen nur wenige Menschen davon Gebrauch, aber es ist ein interessantes Experiment, ein Bühnengeschehen mit unterschiedlichen Soundlayern zu konsumieren und dabei verschiedene Empfindungen und Kopffilme zu evozieren und ablaufen lassen zu können. Nach einem kurzen „Beschnuppern“ des Metallgestänges überkommt die Tänzerinnen die Spiellust und sie bemühen das Gerät in einer Staccato-Szene abwechselnd als Hundekäfig, Gogo-Stangen, Laufsteg, Jägerstand, Aufzug, Bett, Haus, als Boxarena mit witziger Wrestlingpersiflage oder schwimmen damit wie in einem Boot über ruhiges Gewässer. Einmal an die physischen Umstände gewöhnt, beginnen sie mit einer Mischung aus Tanz und Akrobatik, die zwischen menschlichen und tierischen Impressionen beständig pendelt. Stand- und Hebefiguren wechseln mit Machtattitüden und territorialen Anspruchsgebärden. Permanent zeigen sie ein Spiel von aktiven und passiven Bewegungen, von sich bewegen und bewegen lassen. Die Lust an kraftvollem körperlichen Ausdruck und unbewusst gesteuerten Bewegungen, die aus tiefen, tierischen Überlebenstrieben kommen, oszilliert beständig. Eine schier unendliche Kaskade an Sprung- und Drehmomenten, mit welchen die akrobatischen Tänzerinnen das Podest in jeder nur erdenklichen Pose in seinem Innenraum erkunden, macht deutlich, wie groß das Kreativpotenzial hinter dieser Choreografie ist, die sich auf eine so geringe Kubatur einschränkt. Hier hat Christina Medina als Choreografin ganze Arbeit geleistet. Rachelle Bourget, Kayla Henry, Mira Kratochwil und Clarissa Omiecenski hinterlassen einen starken Eindruck ob ihrer körperlichen Präsenz. Ihre Fitness und Muskelausstattung ist sicherlich auch einem konsequenten Krafttraining im Fitnessstudio geschuldet. Ein kräftiges Lebenszeichen aus Graz, das einmal mehr deutlich macht, dass aktuelle, zeitgenössische Tanzkultur sich auch abseits der großen Ballungszentren entwickeln kann.

An diesem Abend zeigte der Bühnenkunstverein Fifoo erneut, wie viel Leben in ihm steckt und machte klar, dass sich in Wien langsam neben dem Tanzquartier ein zweiter Ort für zeitgenössischen Tanz entwickelt, dem man Beachtung schenken sollte.

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