Lange Nächte gibt es mittlerweile mehrere. In langen Nächten tummelt man sich gerne in Kirchen, im Bereich der Wissenschaft und sehr gerne in Museen. Die Warteschlangen vor den Highlights eines gelungenen Ausstellungsparcours sind beachtlich und man wundert sich oft, warum es einer Nacht bedarf, um sich in einer Menschenmasse durch ein Museum schieben zu lassen.
Nun gibt es eine weitere noch junge Nacht – nämlich die des europäischen Theaters. Und da man ins Theater ohnehin in den allermeisten Fällen erst nächtens geht, passt diese Verbindung – Nacht und Theater – ganz ohne weitere künstlich aufgesetzte Bemühungen.
Die Initiative geht ausgerechnet von einem Land aus, das sich bis jetzt noch nicht in der EU befindet – nämlich Kroatien. Neben diesem nahmen weiters Bosnien & Herzegovina, Montenegro, Slovenien, Serbien und heuer zum ersten Mal auch Österreich teil. Die Veranstalter planen eine Erweiterung in den nächsten Jahren in Richtung Westen, wofür Österreich sich – wie in vielen anderen Fällen – als Vermittlerland bestens eignet. Die „Europäische Theaternacht“ geht in ihrem Ursprung auf die Initiative von Eléonora Rossi zurück, die 2008 in gemeinsam mit Léo Vukelic in Zagreb die erste Theaternacht ins Leben rief. Was als regionales Ereignis begann, hat sich im Laufe der letzten 3 Jahre zu einem – im wahrsten Sinne des Wortes – sehenswerten Projekt entwickelt.
Am Samstag, dem 19.11., startete in Österreich das Experiment mit insgesamt 35 teilnehmenden Theatern. Gegenüber 40.000 Besuchern in Kroatien hört sich die Zahl 2.500 in unserem Land eher bescheiden an. Dem steht jedoch gegenüber, dass einige Theater aufgrund des großen Andrangs Publikum sogar abweisen mussten. Ein Schritt, der sehr schmerzt, ist doch der freie, kostenlose Zugang in die Theater in dieser speziellen Nacht vor allem für jene gedacht, die sich den Besuch sonst eher nicht leisten können. Neben dem Gratiseintritt ist es vor allem auch der länderübergreifende Gedanke, der diese Idee speist. Der Austausch zwischen den einzelnen Spielstätten soll verstärkt werden, das kreative europäische Potential sichtbar gemacht und die der künstlerischen Umsetzung, der multikulturellen Identität Europas, bestärkt werden.
In Wien waren es nicht nur bekannte Spielstätten wie das Odeon, das Schauspielhaus oder das Vienna English Theatre, die schon beim ersten Anlauf mit dabei waren, sondern auch weniger bekannte wie das Lalish Theaterlabor in der Gentzgasse.
Dort präsentierten Nigar Hasib und Shamal Amin ihre bereits seit 2006 laufende Produktion „no shadow“. Allerdings kam das Publikum nicht in den vollständigen Genuss dieser „Theaterperformance“. Vielmehr extrahierte die charismatische Exilkurdin Nigar Hasib die eindrucksvollsten Passagen daraus und hinterließ damit dennoch einen lebhaften Eindruck, wie sehr die gesamte Performance wohl unter die Haut gehen mag. Ihre unglaublich starke Bühnenpräsenz und ihre kraftvolle Stimme, mit welcher sie durch den Einsatz der Kehlkopftechnik das Spektrum ihrer Klangfarben enorm erweitern kann, zogen die Menschen schon nach wenigen Augenblicken in den Bann. Im Kreis angeordnet, lauschte man ihrer fremden, musikalisch geformten Kunstsprache, die zugleich dennoch so vertraut erschien. Wie sie höhere Mächte anflehte, von tragischen Ereignissen emotional überschwemmt wurde, wie sie in immer wiederkehrenden Beschwörungsformeln alle Energien auf das Hier und Jetzt konzentrierte, weckte Erinnerungen an etwas, was lange vor unserer Zeit stattfand. Er-innern, damit ist gemeint, Bilder aus dem Innersten hervor holen, die dort, ganz im C.G. Jung´schen Sinne als Archetypen abgespeichert sind, dieses Er-innern wurde an diesem Abend im Theaterlabor möglich. Zwar kann sich dieses Er-innern ganz individuell gestalten, dennoch öffnet das Leitmotiv des intensiv erlebbaren Gesanges, kombiniert mit einer expressiven Körpersprache den Weg ins Archaische. Von den einen vielleicht als griechische Tragödien nachempfunden, kann die Aufführung von anderen als Initiationsritus indigener Völker interpretiert werden. Wieder andere erkennen darin unter Umständen südosteuropäische Erzähltraditionen, die dennoch längst in dieser Präsenz und Innigkeit verloren gegangen sind. Wie auch immer die unterschiedlichen Zugänge sein mögen: Sie sind erwünscht und tragen durch die dadurch entstehende Energie im Raum wesentlich zum Gelingen des Geschehens selbst bei.
Das über dieses Theaterereignis hinaus Interessante ist vor allem, dass „no shadow“ inzwischen zu einer Art „Selbstläufer“ geworden ist. „Wir verschicken keine CDs an uns nicht bekannte Intendanten, sondern wir bekommen wie ganz von selbst Anfragen aus aller Welt, um „no shadow“ außerhalb Österreichs zu präsentieren“ erklärte Nigar Hasib die lange Laufzeit dieses Stückes. In Marokko, Bulgarien, Jordanien, Kurdistan, Griechenland, Polen, Bosnien & Herzegovina, im Iran, Ägypten und Japan – die Aufzählung hier bürgt nicht für Vollständigkeit – sind Nigar und Shamal schon gewesen und haben die Zuseherinnen und Zuseher damit ganz in ihren Bann gezogen. Das Funktionieren der Performance in den unterschiedlichsten Kulturen machte sie gerade für die europäische Theaternacht besonders wertvoll – verbindet doch „no shadow“ und die junge europäische Kulturinitiative der Gedanke, mit Theater die Menschen über alle Grenzen hinweg zu verbinden und interkulturellen Austausch – zum besseren Verständnis der Menschen füreinander – konfliktfrei und emotional erlebbar zu fördern.