Konzentrierte Ballung und ephemerer Hauch

Das Konzert des RSO unter der Dirigentin Susanna Mälkki, das Abonnementpublikum zu zeitgenössischer Musik von Wien Modern in den großen Saal des Konzerthauses lockte, war von einem Gegensatzpaar gekennzeichnet: Konzentrierte Ballung von Klangvolumen stand einem ephemeren Hauch gegenüber, der höchste Konzentration von den InterpretInnen genauso wie vom Publikum verlangte.

MÄLKKI BILLARD diri c Aymeric Warmé Janville

Susanna Mälkki, & Alain Billard beim Festival Musica 2009 in Strasbourg- Foto: © Aymeric Warmé-Janville

Gleich zu Beginn zeigte einer der Großmeister der zeitgenössischen Musik – György Ligeti – wie sehr gehauchtes Nichts und ein flimmriges, unfassbares Etwas das Publikum fesseln kann. In seinem Lontano für großes Orchester aus dem Jahr 1967 – in welchem der Titel Programm ist – entführt er in große, auf- und abschwellende, sich durchdringende und abwechselnde Klangbögen, die fast durchgehend im Pianissimo gespielt werden. Auf diese Art und Weise entsteht eine an den Spätimpressionismus erinnernde Werkfärbung, deren Reiz man sich nicht entziehen kann.

Diesem einprägsam schönen Werk folgte Olga Neuwirths„Remnants of songs … An Ampigory für Viola solo und Orchester“ aus dem Jahre 2009. Auch wenn die Komponistin selbst in einem am selben Tag ausgestrahlten Interview meinte, sie sei gegen Ligeti noch in der Anfängerphase und hätte Angst ob eines Bestehens ihres Werkes neben dem ihres Vorbildes, kann ohne Übertreibung festgestellt werden, dass sie diese nachbarschaftliche Gegenüberstellung mit Bravour bestanden hat. Das 5-sätzige Werk strotzt nur so von kompositorischen Einfällen der unterschiedlichsten Art und Weise und verleiht jedem einzelnen Satz seine bestimmte Charakteristik. Es überrascht vor allem durch seine ausgeklügelte Behandlung des großen Orchesterapparates, die Neuwirth entgegen vieler ihrer anderen Kompositionen ohne elektronische Hilfsmittel pur wahrnimmt. Was das Werk als eines von Neuwirth sofort charakterisiert, ist die Verschachtelung unterschiedlicher Ebenen, die das Hören nicht nur zu einem akustischen Ereignis macht, sondern vielmehr Erinnerungsräume öffnet, ob man will oder nicht. Melodiefetzen – herübergeweht vom Broadway – wie im ersten Satz, oder einige zarte Walzerklänge – wie im letzten Satz, öffnen Türen zu Assoziationen, welche Musik mit Erlebtem gleichsetzen, wie es für die Komponistin so typisch ist. Ständig wechselnde Klangfarben und -orte ziehen rasch vorbei, bleiben flüchtig und doch im akustischen Gedächtnis verankert. Antoine Tamestit war ein idealer Solist, der die Struktur der Komposition so verinnerlicht hatte, dass selbst die schwierigsten Passagen mühelos erschienen. Das RSO wiederum brillierte sowohl in den flirrenden Partien – die mit Ligeti große Ähnlichkeit aufwiesen – als auch in den stampfenden Passagen, in welchen ein einfacher Rhythmus das Geschehen vehement vorantrieb.

Bis in den letzten Satz hinein wechselt Neuwirth verschiedene musikalische Stilrichtungen, ohne jedoch dabei geschmäcklerisch vorzugehen. Vielmehr machen ihre Aneinanderreihungen, die immer ineinander fließen und oft völlig übergangslos erscheinen, großen Eindruck.
Welch persönliche Lebensgeschichte hinter der Komposition steht, ist, bei Stefan Drees nachzulesen, der einige sehr erhellende Texte zu Werken von Olga Neuwirth verfasst hat.

Zwischen den beiden genannten Werken und dem letzten des Abends, Ligetis Atmospères für Orchester, in dem er ohne Schlagwerk auskommt und dabei hauchzarte Windimitationen und Klangwolken bildet, die leise den Raum erobern, konnte kein krasserer Gegensatz eingebaut werden als Bernhard Ganders „Dirty Angel für Flügelhorn, Akkordeon und Orchester“ aus dem Jahr 2010. Ein gefallener und zorniger Engel muss es sein, den Gander in diesem furiosen Stück beschreibt. Der Fortissimo-Einstieg des Orchesters ganz zu Beginn, dem der junge Komponist ein Akkordeon und eine Solotrompete zur Seite stellt, folgen viele weitere unbändige Klangballungen. Immer wieder taucht ein Brausen und Wettern, ein Toben und Klopfen aus dem Klangkörper auf, dem die Stimmen des Akkordeons und der Trompete nur zeitweise Einhalt gebieten können. Wie frei gelassene Kräfte, die aus dem Ruder zu laufen scheinen, hören sich seine Klangsensationen an. Trotz der Vielstimmigkeit ist dennoch das Bestreben zu erkennen, diese großen und heftigen Klangblöcke zumindest durch scharfe rhythmische Einschnitte zu bändigen. Die getriebene Unruhe, die sich permanent eruptiv entlädt, scheint auch nach dem Verklingen der letzten Töne nur scheinbar besänftigt. Wenngleich es zumindest in wenigen Takten dem Akkordeon und der Trompete kurz vor Schluss gelingt, parallel zu agieren und damit das hinter sich stampfende Ungeheuer zu bändigen.

Ein Konzertabend, der von seinem Charakter her dicht und sphärisch zugleich zu fesseln wusste und Neuwirth sowie Gander einen verdienten Platz in der zeitgenössischen Musikproduktion zuwies.

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