Kino im Kopf mit Musik vom OPS

Hans Werner Henze, Felix Mendelssohn-Bartholdy und Richard Strauss, diesen Komponisten war am 3. und 4. Dezember ein Konzert des OPS in Straßburg gewidmet.

Honorè Daumier - Don Quichotte und Sancho Pansa  (1886 Öl auf Leinwand, 51 x 32 cm) Quelle: Wikipedia.org

Honorè Daumier - Don Quichotte und Sancho Pansa (1886 Öl auf Leinwand, 51 x 32 cm) Quelle: Wikipedia.org

Zu hören war Musik, aber zu sehen waren Bilder. Bilder, die durch die Musik zu Assoziationen führten, die ein Kino im Kopf auslösten. Sowohl die traumatischen Erlebnisse des jungen Zöglings Törless wurden imaginär lebendig als auch – völlig kontrastierend dazu – einige frische, zauberhafte Szenen des Sommernachttraumes von William Shakespeare. Im letzten Programmpunkt des Abends – dem Don Quichotte von Richard Strauss, wurden die Abenteuer des spanischen Edelmannes mit Sancho Pansa, wie zum Beispiel der eingebildete Flug Don Quichottes durch die Lüfte, der doch nur auf seinem Holzpferd saß,  förmlich sichtbar.

Mit dem ersten Stück, der Fantasie für Streicher von Hans Werner Henze wurde deutlich, dass der Orchesterchef Marc Albrecht nicht daran dachte, die in der Musik von Henze ohnehin stellenweise angelegte Dramatik zu übersteigern. Vielmehr setzte er Dynamik und Lautstärke, wie auch bei den darauf folgenden Werken, wohl dosiert ein. Diese für Marc Albrecht so charakteristische Interpretationsweise, unterstreicht jeweils den intendierten Charakter der Werke ohne jegliche Übertreibung. Dadurch gelingt ihm die subtile Herausarbeitung auch feinster Nuancen, die bei anderem Tempo- oder Lautstärkeneinsatz nicht wahrnehmbar wären. Henzes Stück geriet so zu einem klar wahrnehmbaren Kaleidoskop menschlicher Grausamkeit und Not, das sich mit ahnungsvollen, ruhigen Sequenzen und Gefühlen der Resignation abwechselte. Man braucht weder Robert Musils Roman noch dessen Verfilmung aus dem Jahr 1965 gelesen oder gesehen zu haben, um die musikalische Aussage zu verstehen. Volker Schlöndorffs erster Film zeigte die Mechanismen von Macht und Unterdrückung anhand der Geschichte des Zöglings Törless und verwendete dazu die Musik von Henze. Ein Werk, das dem Umstand, wenig gespielt zu werden, seine Aufführung in Straßburg verdankte. Es steht in einer Reihe mit vielen anderen selten aufgeführten Konzerten, die Marc Albrecht in dieser Saison mit dem OPS erklingen lässt und bildet somit einen Baustein zu einem Saisonprogramm mit vielen Alterweckungen aber auch Neuentdeckungen. Die Fantasie von Henze stellt stilistisch ein wohl kalkuliertes Konglomerat dar, das sich aus mehreren Quellen speist. Sie ist streckenweise mit Verweisen in die Spätromantik versehen, lässt aber auch klangliche Erinnerungen an Strawinsky zu und agiert, wenn die Bässe der Streicher ihre Instrumente rhythmisch verwenden, auch sehr zeitgeistig. Das Werk bot mit seiner illustrativen und ausdrucksstarken Bandbreite dem Publikum eine wunderbare Gelegenheit, die Streicher des OPS völlig frei von anderen Klangqualitäten zu hören. Ein schönes Erlebnis!

Im emotionalen Gegensatz dazu stand das zweite Werk, der Sommernachtstraum von Felix-Mendelssohn-Bartholdy mit der Ouvertüre, dem Scherzo, dem Nocturne und dem Hochzeitsmarsch. Mendelssohn entdeckte Shakespears Stück 1826 und schuf zuerst eine Ouvertüre, welche für sich alleine schon das Bühnenstück repräsentieren kann und die zauberhaften Impressionen des Stückes anschaulich wiedergibt. 17 Jahre später wurde er eingeladen, für eine Inszenierung in Berlin, die Ludwig Thieck umsetzte, eine szenische Musik zu schreiben. In voller Länge selten gespielt, findet die Arbeit meist nur in gekürzter und ausgewählter Form in die Konzertsäle, so wie auch in Straßburg. Der bekannteste Satz daraus, der Hochzeitsmarsch, verkam in einer für Orgel gesetzten Fassung bereits im 19. Jahrhundert zum feierlichen Gassenhauer, dessen Hauptmotiv auf Hunderttausenden von Hochzeiten erklang und nach wie vor erklingt. 1858 wurde er bei der Heirat von Prinzessin Victoria von Großbritannien und Irland mit dem preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm gespielt und erfreut sich nach wie vor ungebrochener Beliebtheit. Vor allem das Bläserensemble des Orchesters konnte in diesem Werk die Aufmerksamkeit zu Recht auf sich ziehen. Seine klaren Einsätze und wohl dosierten Ausformungen begleiteten vom ersten bis zum letzten Satz die Feen- und Zaubergestalten im sommerlichen Tann, denen Albrecht keine Verschnaufpausen gönnte. Nicht im mäßigen, einschläfernden Schritttempo begleitete er die verliebten Paare des Shakespearestückes zum Traualtar, vielmehr liefen sie diesem beinahe schon freudig entgegen und bewiesen so, dass Mendelssohns Hochzeitsmarsch ganz ohne übertriebenes Pathos auskommen kann.

Alexander Somov (Foto: OPS)

Alexander Somov (Foto: OPS)

Dem Höhepunkt des Abends fieberten besonders zwei Musiker entgegen – Alexander Somov und Harold Hirtz. Somov ist erster Cellist und Hirtz der erste Bratschist des Orchesters.  Sie verkörperten das literarische Paar des Romans von Miguel de Cervantes – Don Quichotte und Sancho Pansa. Wohl begleitet agierten sie nicht alleine, sondern reagierten auch auf andere kurze, aber brillante Einsätze wie der Violine oder den Fagotten. Auch hier war Marc Albrecht darum bemüht, Romantizismen nicht in pathetischen Kitsch gleiten zu lassen, sondern eher mit raschen Tempi und zügigen Übergängen der einzelnen Variationen dagegen zu halten. Den Rollen gemäß raste und wütete Somov schon bald auf seinem Cello, ganz im Gegensatz zu Hirtz, der mit schönem, feinem Vibrato in den lyrischen Passagen offenbar bestrebt war, das Gemüt seines Herrn zu beruhigen. Aber auch die schöne Geige von Vladen Chernomor kam voll zum Einsatz und ergänzte mit seiner Brillanz die klanglichen Dimensionen des Cellos und der Bratsche. Somov beeindruckte nicht nur in den technisch schwierigen Passagen, sondern es gelang ihm in den letzten Takten, in welchen Don Quichotte wieder zur Besinnung kommt und in wehmütige Stimmung verfällt, diese Gefühle so zu transportieren, dass sekundenlang nach dem Erklingen des letzten Tones noch Stille im Saal herrschte, welche die Berührtheit des Publikums aufzeigte. Hirtz, der in diesem Stück eines der schönsten Soli das für Bratsche je geschrieben wurde vortrug, war tatsächlich auch musikalisch ganz jener Rolle verpflichtet, die ihn als Diener und treuer Weggefährte seines Herrn auszeichnet.

An diesem Abend, der unter der Leitung von Marc Albrecht stand, wurde deutlich, warum das OPS zurzeit eine Qualität besitzt, die jedes Mal aufs Neue besticht. Es ist offenkundig, dass jede einzelne Instrumentalstimme optimal besetzt ist – wie Somov und Hirtz an diesem Abend eindrücklich bewiesen. Ein „Vor den Vorhang“ all jenen, die in den Auswahlverfahren dafür verantwortlich zeichnen!

Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Französisch

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