Lyrische Wiegenmusik zu feinen Gitarrenklängen, stampfende, eindringliche Rhythmen, zu denen man sich eine schwer ziehende Karawane vorstellen kann, melodische, arabische Arabesken zu einer europäischen E-Gitarre – all das ist bei einem Konzert von Khalid Izri zu hören.
Der sympathische, schwarz gelockte Mann, der mit einer weißen Strickmütze auftritt, die sein Markenzeichen geworden ist , stammt aus Marokko und zählt zu jenen 70% Marokkanern, die den Berbern zuzurechnen sind. Seine Band, bestehend aus ihm, einem Violinisten, einer Flötistin, einem Akkordeonisten, einem Bassisten, einem Schlagzeuger und einem Percussionisten begleiten ihn vollmundig oder einfühlsam, je nachdem, was Izri mit seinen Liedern ausdrücken will. Der Berber, der in Europa ansässig geworden ist, verkörpert einen Typ Musiker, der über seine eigenen musikalischen Wurzeln längst hinausgewachsen ist. Er verbindet Einflüsse seiner marokkanischen Heimat mühelos mit einem europäischen Klangbild, das sich am soft-rock orientiert und öffnet so Türen, die das Kennenlernen der jeweils anderen Kultur erleichtert. Izri ist mit seinen Liedern bei Marokkanern in der europäischen Diaspora wohl bekannt. Sie singen seine Refrains mit, klatschen lebensfroh die vorgegebenen Rhythmen und kommen schon auch einmal auf die Bühne, um dem Sänger ad hoc die Berberflagge aus Seide umzuhängen.
Khalid Izri ist an dem Abend im Rahmen des Festivals Strasbourg Méditerranée im ehemaligen Börsensaal in Straßburg eine Identifikationsfigur. Im Saal sitzen Menschen, die sonst selten bei Konzertveranstaltungen zu sehen sind. Eine marokkanische Community – hauptsächlich Männer – hat sich unter das weltoffene Straßburger Publikum gemischt und ist sichtlich bewegt vom Auftritt Izris. Seine Musikalität und die seiner Musiker zeigen sich wohl am schönsten in jenem Stück, das die Tradition einer Berberhochzeit wiedergibt. Es beginnt ganz ruhig, fast traurig mit einer langen Flöteneinleitung, geht über in einen schönen, lyrischen Gesang um dann in ein rasantes musikalisches Feuerwerk zu kippen, das rein instrumental gespielt wird. Wenn man meint, das Stück sei zu Ende, gleitet es wieder in einen Gesangsteil, um dann furios in einem instrumentalen Tanzrhythmus zu enden, bei welchem man förmlich die Hochzeitsgesellschaft im Kreis wirbeln sieht. „Die Hochzeit ist bei uns etwas, das sowohl mit Traurigkeit als auch mit Freude verbunden ist“ erklärt Izri dem vorwiegend französischen Publikum. „Man ist traurig, weil man die Geborgenheit und Liebe der eigenen Familie verlässt und freut sich auf der anderen Seite auf eine neue Zukunft“ – eine schöne Erklärung zu einer wahrlichen Ode an das Leben.
Ähnlich aufgebaut ist auch „Ma terre“, ein Stück über die Schönheit seines Landes, das Izri schon als 14jähriger schrieb; melancholische Teile wechseln mit furios rhythmischen – ein Markenzeichen seiner Musik, das in vielen Stücken immer wieder fasziniert. Er singt aber auch von der Ungerechtigkeit, welche die Berber erfahren mussten –stellvertretend für jede Ungerechtigkeit, die Menschen auf der Welt zugefügt wird; er singt über das Exil oder er lässt Erinnerungen an seine Mutter aufkommen. Izri lässt das gesamte Kaleidoskop seiner marokkanischen Gesellschaft, aus der er stammt, an diesem Abend aufblitzen und gießt diese Musik in ein westliches Musikraster, was zu reizvollen Kontrasten führt. Er beschert dem Publikum mit seinen hervorragenden Musikern einen berauschenden, aber auch einen berührenden Abend und lässt zumindest eine Ahnung in den Herzen davon zurück, was es heißt, ein freier Berber zu sein.
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