Wo Worte auf Grenzen stoßen

Wo Worte auf Grenzen stoßen

Michaela Preiner

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26.

Juli 2016

Die Tänzerin und Choreografin Kaori Ito zeigte mit "I dance because I do not trust words" wie sich Glaubenssätze über Generationen hinweg tradieren.

Die meisten Menschen bedauern, dass sie ihre Eltern noch zu deren Lebzeiten viel zu wenig gefragt hätten. Nach dem Tod bleibt vieles ungeklärt, verklärt, bleiben viele verärgert oder ratlos, weil sie mit ihrem Vater oder ihrer Mutter nie wirklich wichtige Dinge des Lebens besprechen konnten.

Kaori Ihto ist da anders. Die junge, im Balletttanz ausgebildete Japanerin, griff zur Selbsthilfe und schuf das Tanzstück „I dance because I do not trust words“ – gemeinsam mit ihrem Vater. Ein Stück, in dem sie ihm Fragen um Fragen stellte, die er aber nur ganz sporadisch beantwortete. Und wenn, dann in Bewegung, tanzend. Beim Impulstanz Festival präsentierte sie ihre Arbeit, die durch eine kluge Kulturpolitik in Frankreich dort mit mehreren Tanzveranstaltern koproduziert wurde, im Akademietheater.

Kaori Ito I dance because I do not trust words (c) Gregory Batardon

Kaori Ito I dance because I do not trust words (c) Gregory Batardon

 

Die Bühne bestand aus einem Sessel und einer großen, dunkelgrauen Skulptur, die auf Rollen montiert war. Sie sah aus wie ein amorphes Gebilde, überzogen mit grauem Stoff, unter dem man sich allerlei vorstellen konnte. Ecken und Kanten machten klar, dass diese Skulptur nichts Anheimelndes vermitteln sollte. Mit ihr war auch ein direkter Bezug zu Kaoris Vater gegeben, der nach seiner Ausbildung am Theater Bildhauer wurde.

Kaori Ito hatte mit fünf begonnen, Ballett zu üben, ist als Erwachsene nach Paris gezogen und hatte nach ihrer 10-jährigen Absenz beim Heimkommen in ihrem Elternhaus das Gefühl, irgendwie gestorben zu sein. Als Stilmittel, dem Publikum über sich und ihre Familie zu erzählen, wählte sie die Frage. Aber nicht eine, sondern eine gefühlte Hundertschaft. „Warum hast du meinem Bruder und mir als Gute-Nacht-Geschichte Horror-Erzählungen vorgelesen?“, war eine von ihnen, wenngleich auch eine zentrale. Denn in ihr spiegelte sich die Eigenwilligkeit ihres Vaters, die Liebe zu seinen Kindern, aber auch die Unfähigkeit, kindgerecht mit ihnen zu kommunizieren. „How many of your friends are already dead? Why do you always make curry? Why are your sculptures dark“ – eine kleine Auswahl, die erahnen lässt, wie breit gefächert die Fragestellungen von Kaori an ihren Vater angelegt sind.

Mochten sie zum Teil auch noch so provokativ erscheinen „why do you live“, ihr Vater, Hiroshi, war mit keiner aus der Ruhe zu bringen. Nach einer langen Phase der völligen Immobilität – er saß dabei stocksteif auf einem Sessel am rechten Bühnenrand – folgten Szenen, in welchen er selbst oder auch gemeinsam mit seiner Tochter tanzte. Jazziges und Poppiges aus den 60er Jahren verwies dabei auf seine Jugend, jene Zeit, in der der Musikgeschmack eines Menschen geprägt wird. Dabei mangelte es nicht an humorigen Momenten wie zum Beispiel jene, in welcher Hiroshi in übertriebener, theatralischer Tanzpose auf die Fragen seiner Tochter antwortete.

Kaori selbst brillierte zu Beginn mit einem Solo, in dem sie sich von der Primaballerina in eine Tänzerin mit asiatischer Maske verwandelte. Elemente thailändischen Tanzes kamen darin ebenso vor wie jene aus Japan sowie freie Bewegungsmomente aus dem zeitgenössischen, europäischen Tanzrepertoire. Dabei agierte sie als Wesen, das sein Innerstes nach außen kehrt, seine Wut und seine Aggression zur Schau stellt, zugleich beim Tanzen aber auch abbaut. Etwas später, nachdem sie abermals in eine wie von Furien getriebene Tanz-Ekstase fällt, beginnt ihr Vater ganz ruhig und leise zu singen. Es ist ein japanisches Lied, das die junge Frau zuerst nach und nach beruhigt und in das sie dann einstimmt. Diese Szene gehört zu den poetischsten des Abends. In ihr bedarf es keiner Fragen und Antworten, um in Emotionen eintauchen zu können, in der die Gemeinsamkeiten zwischen Eltern und Kindern spürbar werden. Dieser Moment wirkte zugleich wie ein Erlösungsakt, wie ein Durchbruch, in dem es zwei Menschen gelingt, sich zueinander zu öffnen.

Den Gesellschaftstanz, den Hiroshi mit seiner Tochter gerne tanzen möchte, verweigert sie ihm bis fast zum Schluss. Selbst, als sie sich dazu in Pose stellen, sind es nur sporadische, ganz wenige Bewegungen, die sie gemeinsam dazu ausführen. So sehr der Vater bis dahin die autoritäre, wenngleich auch meist stumme Kraft darstellte, nun ist es seine Tochter, die das Verhältnis umkehrt. Sie beginnt ihn zu choreografieren, ihm Anweisungen zu geben ein Tier, Madonna oder die Beatles zu imitieren – und Hiroshi folgt ihr ohne Widerrede.

Im Laufe der Vorstellung wurde klar, dass Kaori Itos Vater, der Künstler, ein höchst kompliziertes Innenleben hat. Um dies auch visuell zu veranschaulichen, öffnete Kaori in seiner kurzen Abwesenheit eine Stoffbahn an der Skulptur. Dahinter war ein wirres, unzusammenhängendes und kompliziert aufgebautes Stangenkonstrukt aus Sesseln zu erkennen. Als er wieder auf die Bühne kommt, löst er das Rätsel um sein Misstrauen in Worte. Bevor er Bildhauer wurde, arbeitete er als Regisseur am Theater. Als es ihm bei Proben nicht gelang, einer Schauspielerin klar zu machen, was „poetisches Spielen“ bedeute, wurde ihm klar, dass er mit seiner Kommunikation an eine Grenze stieß. „I understood the limit of words“. Eine folgenschwere Aussage, die er unbewusst in die nächste Generation weitergab. „I dance because I do not trust words“ – in Kaoris Titel spiegelt sich nicht nur ihr Leben, sondern auch das ihres Vaters.

Kaori Itos Stück ist nicht nur ein persönliches Bekenntnis der Beziehung zu ihrem Vater. Es ist eine getanzte Metapher, in der klar wird, dass das gegenseitige Verstehen immer an Grenzen stößt, die nicht zu durchbrechen sind. Es ist zugleich aber auch eine Demonstration, dass gegenseitige Achtung und Liebe in einer Beziehung ein starkes Gegengewicht dazu darstellen. Ein hoch emotionaler, zutiefst poetischer Abend, der das Publikum begeisterte.