„Sonatas and Interludes“ – der Titel der Performance stammt von jenen John-Cage-Kompositionen, für die er rasch berühmt wurde. Er verwendete dafür ein ausgefeiltes und genau angegebenes Präparations-Schema, um mithilfe von Schrauben, Bolzen, Gummi-, Filz- oder Plastikelementen, neue und zugleich reproduzierbare Klänge am Klavier zu erzeugen. Diese Kompositionen, entstanden zwischen 1946 und 1948, sind bislang nur mit dem Namen Cage verbunden. Dass er zugleich mit verschiedenen Tänzerinnen und Choreografinnen gearbeitet hat, die zu dieser Entwicklung wesentlich beigetragen haben, weiß fast niemand.
Lenio Kaklea erklärte zu Beginn ihrer Performance, dass sie anfänglich keine Freude hatte, ein Cage-Werk zu interpretieren. Denn sein Name sei so bekannt, dass es keiner besonderen Bühnenpräsenz mehr benötige, um auf dieses Werk aufmerksam zu machen. Erst als sie bei ihren Recherchen entdeckte, dass es vier Frauen waren, die einen direkten Einfluss auf die Arbeit von Cage zu dieser speziellen Schaffensperiode hatten, eröffnete sich für sie eine lustvolle Möglichkeit, sich diesem Thema zu widmen.
Cage experimentierte schon seit 1938 damit, ein Klavier zu präparieren. Aber erst zwischen 1946 und 48 entstand sein Werk „Sonatas and Interludes“, das zu einem Meilenstein der Musikgeschichte zählt. 1942 bat ihn die Tänzerin Syvilla Fort um eine Komposition für einen Auftritt. Da die Bühne sehr klein war, konnte Cage nur für ein Klavier und nicht, wie ursprünglich gedacht, ein Stück für erweitertes Ensemble mit Schlagwerk komponieren. Um der Musik „Bacchanal“ einen afrikanischen Touch zu geben und vor allem den Rhythmus in den Vordergrund zu stellen, begann er es zu präparieren. Auch für Pearl Primus und Valerie Bettie schuf er 1942 eigene Kompositionen – „Our spring will come“ für Primus und „And the earth shall bear again“ für Bettie. 1944 schuf er für Hanya Holm die „Suite of four dances“.
Auf diese vier Tänzerinnen fokussierte Lenio Kaklea ihre Arbeit und zeigte nach und nach – durch Ablegen von unterschiedlichen Kleidungsstücken eines Motorrad-Outits – auch unterschiedliche, choreografische Ansätze. Dabei verwies sie in ihrem Bewegungsrepertoire auf solches, das man in kurzen, historischen Filmaufnahmen der Tänzerinnen sehen kann.
Wie einer speziellen Bewegung von Syvilla Fort, bei welcher sie ein Bein während dem Gehen hochhebt und damit eine kreisförmige Bewegung macht, bevor sie es wieder auf den Boden setzt. Pearl Primus entwickelte einen Bewegungsablauf, bei dem sie sich in rascher Abfolge hintereinander auf den Boden fallen ließ, um danach sofort wieder geschmeidig hochzuschnellen. Das Gehen, ja fast schon Watscheln mit gestreckten Beinen, ohne dabei die Knie zu beugen, findet sich in Filmaufnahmen von Valerie Bettis. Ohne die Choreografien direkt zu übernehmen, erhalten die einzelnen Teile durch eine Verarbeitung des geschichtlichen Materials doch eine ganz spezielle, prägnante Visualisierung.
Dass der weibliche Anteil an der Arbeit von Cage völlig vergessen ist, die Tänzerinnen von Beginn an in seinem Schatten standen, zeigt Kaklea auch mit einem sehr reduzierten und dennoch stark aussagekräftigen Auftritt mit Orlando Bass. Dabei gehen die beiden als Paar über die Bühne, immer aber so, dass der Mann so vor der Frau zu stehen kommt, dass man sie kaum bis gar nicht sehen kann. Egal, wie sie auch Halt machen, Bass deckt Kaklea mit seiner Figur weitestgehend ab. Mehrfach versucht sie, von ihrer Position hinter ihm dennoch einen Blick ins Publikum zu erhaschen. Dieses Abdeckspiel dauert so lange an, bis sie sich schließlich, als Bass wieder am Instrument sitzt, unter dem Klavier klein macht, um letztlich ganz von der Bühne abzugehen.
Kaklea gelingt es einerseits, die unterschiedlichen Persönlichkeiten der vier Frauen, aber auch ihren eigenen, tänzerischen Anteil spürbar zu machen. Sie zeigt aber auch deutlich ihr Verschwinden und die alleinige Stellung von Cage als wichtigen Komponisten auf. Sie macht klar, dass bis heute die Bewertung seiner Innovationen ausschließlich auf seine Person zentriert sind. Mit ihrer intelligenten, feinen und zugleich hochästhetischen Choreografie gelingt ihr aber ein Sichtwechsel, der anregt, sich viel stärker mit den unsichtbaren Frauen rund um Cage auseinanderzusetzen. Diese Seite bietet einen kleinen Einblick. https://sites.northwestern.edu/cageanddance/jcchoreo/
Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Französisch Englisch Italienisch