Durch dunkle Gänge in die seelische Enge
26. September 2024
Das Kafka-Jubiläums-Jahr ließ und lässt im deutschsprachigen Raum viele Inszenierungen aufpoppen. Anlässlich der Wiederkehr seines 100. Todestages wurde auch ein länderübergreifendes Kafka-Festival organisiert, das sich in vielen Aspekten mit dem Leben und Werk des großen Autors beschäftigt.
Aurelia Gruber
Kafka|Heimkehr (Foto: Lex Karelly)
Foto: (Lex Karelly)

Nach Graz hat die hiesige Schauspielhaus-Direktorin Andrea Vilter eine Inszenierung mitgebracht, die 2015 in Wiesbaden uraufgeführt wurde. Am Schauspielhaus zeichnet sie gemeinsam mit Jan Philip Gloger für die Regie verantwortlich.

Kafka|Heimkehr (Foto: Lex Karelly)

Kafka|Heimkehr (Foto: Lex Karelly)

Die Texte stammen alle von Franz Kafka und sind puzzleartig und auszughaft aneinandergereiht. Alle haben sie eins gemeinsam: Sie beschäftigen sich mit dem schwierigen Verhältnis, das Kafka zu seinem Vater hatte und sie bieten genügend Raum, in Kafkas Seelenleben ein wenig hineinzuhorchen.

Gleich zu Beginn überrascht das Regieduo das Publikum, geht das Spiel doch schon im Foyer des Haupthauses los. Tim Breyvogel, Željko Marović und Anna Rausch spielen eine Szene aus Kafkas „Urteil“, einer Geschichte, die sich wie eine Rahmenhandlung rund um den Abend spannt. Denn auch die Schluss-Szene kehrt zu dieser Erzählung zurück.

Nach dem unerwarteten Auftakt wird das Publikum gebeten, sich hinter dem Ensemble in jenen engen Gang des Schauspielhauses zu begeben, der unterirdisch das Haupt- mit dem Nebenhaus verbindet. Einige Requisiten wie ausgestopfte Vögel und Schreibzeug säumen dabei den Weg; Texteinspielungen erfolgen aus dem Lautsprecher. Bis man im Saal des letzten Stockes des Nebenhauses Platz genommen hat, hat man schon einen Vorgeschmack von dem erhalten, was noch kommen wird.

Im sehr stimmigen Bühnenbild von Franziska Bornkamm befindet sich Kafka mit zwei Alter-Egos in beengten Wohnverhältnissen. Eine Stuhl-Kaskade führt von der Decke herab in eine Wohnung, die mit einem Schreibtisch, Büchern, einem Bett und einer kleinen Küche ausgestattet ist. In ihr klagt Kafka seinen Vater an. Passagen aus dem „Brief an den Vater“, aus „Der Bau“, „Das Unglück des Junggesellen“, „Die Verwandlung“ und anderen ergeben die Charakterbeschreibung eines Mannes, der zeitlebens unter seiner Erziehung litt. Gegen großen Widerstand blieb er jedoch seiner Mission schreiben zu müssen treu, wahrscheinlich auch deshalb, weil gerade dieses Schreiben ihm eine Freiheit bot, die er abseits davon nicht erhielt.

Die dunkel ausgeleuchtete Bühne, die Kostüme, welche sich an die Lebenszeit des Schriftstellers anschmiegen und die klug ausgewählten Texte ergänzen sich äußerst stimmig. Für Kafka-Kenner ist der Abend sicher eine Überraschung, für Kafka-Neulinge aber ein Einstieg in eine Welt voller Widersprüche, Mysterien und Bewältigungsversuchen. Zugleich macht er große Lust, Kafka wieder oder auch zum ersten Mal zu lesen.

Die lebhafte Interpretation des Ensembles, zu dem sich im zweiten Teil der Inszenierung mit Franz Solar ein ausdrucksstarker „Vater“ gesellt, lässt nichts vom Gehörten und Gesehenen altbacken erscheinen. Beeindruckend ist die Tatsache, wie analytisch der Autor die familiären Einflüsse seiner Kinder- und Jugendzeit zu bewerten wusste. Dass er Freuds psychoanalytische Schriften zum Teil kannte, vor allem aber Kontakt zu seinen Schülern Wilhelm Stekel und Theodor Reik hatte, bzw. ihre Aufsätze in verschiedenen Zeitschriften verfolgte, ist bekannt. Dennoch verblüfft er im „Urteil“ mit glasklaren Aussagen über das Verhältnis des alten Geschäftsmannes Bendemann zu seinem Sohn Georg. Die Rückschlüsse auf Kafkas Beziehung zum eigenen Vater liegen auf der Hand.

„Kafka Heimkehr – Theaterprojekt mit Texten von Franz Kafka“ ist ein Kammerspiel, sowohl sprachlich als auch interpretatorisch fein ausnuanciert, das eine Menge an Atmosphäre transportiert. Das Eintauchen in diese Atmosphäre kann einen neuen Zugang zu Franz Kafka bereithalten, wenn man sich in der dunklen Höhle des höchstgelegenen Spielortes des Schauspielhauses dieser besonderen Stimmung hingibt.

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