Horvath ganz nah
Von Michaela Preiner
„Jugend ohne Gott“ Theater Spielraum (Foto: BARBARA PÁLFFY)
Das Theater Spielraum ist dafür bekannt, Dramen, aber auch dramatisierte Romane, die zum Teil nur mehr selten, bis gar nicht mehr gespielt werden, wieder auf die Bühne zu bringen.
Ö dön von Horvaths „Jugend ohne Gott“ ist nicht in Vergessenheit geraten, immerhin gibt es fünf Verfilmungen des Stoffes, die letzte aus dem Jahr 2017. Umso mutiger ist eine zeitnahe Bühnenaufnahme, die jedoch perfekt in den Spielplan des Theater Spielraum passt. In diesem ist ein Geist abzulesen, der sich mit Nachdruck gegen Rassismus und einen Rechtsruck in unserer Gesellschaft ausspricht und der zugleich immer wieder die Folgen einer solchen Entwicklung aufzeigt. Mit Vehemenz gehen die Theater-Verantwortlichen dabei gegen das historische Vergessen vor, was heute leider mehr als notwendig ist.
Letzterer versieht seinen Schuldienst nur mehr angewidert und ist sich bewusst, dass er nur durch Opportunismus seinen Beruf behalten kann. Bei der Zurechtweisung eines Schülers, in der es um das N-Wort geht, stößt er sofort auf Gegenwehr und hat es letztlich dem Direktor zu verdanken, dass er im Schuldienst bleiben kann. Bei der Aufführung im Theater Spielraum gab es in Zusammenhang mit dem Besuch von Schulklassen heftige Kontroversen, ob denn dieses Wort auf der Bühne überhaupt noch verwendet werden darf.
Nicole Metzger, die für die Regie verantwortlich zeichnet, rechtfertigte dies mit der Freiheit der Kunst, aber vor allem auch damit, dass es auf der Bühne erlaubt sein muss, ja sogar notwendig ist, Unrecht und Grausamkeiten aussprechen zu dürfen. „Theater darf nicht politisch korrekt sein“, so ihr O-Ton im Rahmen eines Gespräches mit einer Schulklasse und dem weiteren Hinweis, dass gerade die Verunglimpfung, die damit ausgedrückt wird, in diesem Stück eine zentrale Rolle spielt.
„Jugend ohne Gott“ Theater Spielraum (Foto: BARBARA PÁLFFY)
Zwar tragen die Schüler in der Aufführung weiße Hemden und kurze Hosen mit Hosenträgern, womit sie sich ganz und gar nicht zeitgeistig präsentieren. (Kostüme Anna Pollack) Die Bühne (Andreas Stockinger) jedoch ist weitgehend abstrahiert und weist außer den für dieses Theater markanten, unterschiedlich hohen Rampen ein mit Decken improvisiertes Versteck in luftiger Höhe auf.
Die militärische Disziplin, die den Schülern auch bei einem Oster-Ferienlager beigebracht werden soll, wird durch gleichmäßiges Stampfen bei den Auf- und Abgängen der Jugendlichen deutlich, die nur durch das Auftreten von Eva konterkariert werden. Julia Sailer spielt jenes junge Mädchen, das aus tristen Verhältnissen ausgerissen, im nahen Wald lebt und eine Beziehung zu einem der Schüler beginnt. Sie schlüpft auch in die Rolle des Schülers B – der am Ende des Geschehens als einziger dem Lehrer vermittelt, dass er sich mit einigen anderen zu einer Gruppe zusammengeschlossen hat, die verbotene Literatur lesen.
Auch Gunter Matzka, Sebastian von Malfèr sowie Max Kolodej sind in mehreren Rollen präsent. Ersterer als mehrfacher Obrigkeitsvertreter wie der Pfarrer oder der Richter, zweiter neben dem Schüler T auch als alle Mütter, wobei er bei einem Auftritt die Lacher auf seiner Seite hat. Kolodej verkörpert neben dem Schüler N auch mehrere Väter und den Kriminalreporter. Dieser trägt schwarze, kleine Flügel auf seinem Trenchcoat. Ein kleiner Hinweis, dass die Regisseurin ihn auch als Geist von N selbst sieht, der in diesem Stück ermordet wird und sich so auf die Suche nach seinem Mörder macht. Dieser Turnaround von Horvaths Figur ist der einzige Rebus der Produktion. Sonst bleiben die Figuren und Charaktere, trotz Kürzungen, bestens verständlich und ihre Aktionen nachvollziehbar.
Der Lehrer (Martin Purth), der sich letztlich am Kulminationspunkt des Geschehens durch eigene Feigheit in eine Situation manövriert, in der er vor der Entscheidung steht, eigenes Fehlverhalten zu vertuschen oder dazu zu stehen, wählt bei der Gerichtsverhandlung letztere Option. Die pädagogische Vorbildwirkung, die er dadurch auslöst, wird von Horvath im Handlungsstrang in seiner ganzen tragischen Reichweite verfolgt. Daraus ergibt sich nicht nur eine weitere Zeugenaussage von Eva, sondern schließlich auch deren zu Unrecht stattfindende Verurteilung.
„Jugend ohne Gott“ Theater Spielraum (Fotos: BARBARA PÁLFFY)
Ödön von Horvaths literarische Leistung liegt generell nicht nur im Aufzeigen von Ungerechtigkeiten und Mitläufertum. Sie besteht auch darin, die Menschen mit all ihren Verirrungen und Charakterschwächen aufzuzeigen, ohne dass diese schließlich mit irgendeiner Art von Erlösung zu rechnen haben. Nicole Metzger stellt in ihrer Interpretation auch nicht die generelle Frage nach der Religion in den Vordergrund. Vielmehr zeigt sie eine Entwicklung auf, die der Autor im Roman „das Zeitalter der Fische“ betitelte. In ihm werden die Seelen der Menschen so unbeweglich, wie die Antlitze von Fischen, die in einer Szene auch die Bühne bevölkern. Verfolgt man die aktuelle Berichterstattung über die Erstarkung der Rechten in Europa und über den vehementen Widerstand gegen die Aufnahme von Flüchtlingen, braucht man nicht lange darüber nachdenken, dass diese Metapher der gesellschaftlichen Befindlichkeit der 30er-Jahre des vorigen Jahrhunderts leider brandaktuell ist.
Eine Inszenierung zum Nachdenken und Vorausdenken, aber auch mit hohem Diskussionspotential, ob Politische Korrektheit auch auf Theaterbühnen anzuwenden ist.
Weitere Termine auf der Homepage des Theater Spielraum.
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