Und so konnte Anfang Oktober eine Woche lang das 25-jährige Jubiläum des Radiokulturhauses gefeiert und am 15. des Monats das abschließende Festkonzert veranstaltet werden.
Extra dafür wurden zwei Auftragswerke erteilt. Eines ging an den Komponisten und Musiker Wolfgang Mitterer. An der Schuke-Orgel des großen Sendesaales spielte er selbst sein Werk „11 songs for two machines“. Schon im Titel wird klar, dass er neben der Orgel zwei elektronische „Maschinen“ – Computer wäre wohl der deutsche Ausdruck – hängen hatte und bediente. Aufgrund seiner Bewegungen konnte man erkennen, dass diese direkt links und rechts neben ihm angeordnet waren und er so leichten Zugriff auf die „Maschinen“ mit den darauf abgespeicherten Samples hatte.
Gleich zu Anfang wurde eine der Charakteristiken der Komposition erkennbar. Nach einem rhythmisch nervösen Beginn in allen Registern schoben sich immer wieder kurze Klangcluster, die den Eindruck von wild gewordenen, kleinen Kobolden erweckten, dazwischen. Immer wieder wurden diese, verstreut über das ganze Werk, hörbar. Abgelöst wurde der erste musikalische Eindruck – und auch das wiederholte sich in Abwandlungen – von lang gezogenen Akkordfolgen, die mit menschlichen Stimmen eine ungewöhnliche Färbung erhielten.
Mitterer nutzte aber auch die klanglichen Möglichkeiten der Orgel selbst aus und wechselte nach einem breiten und tief gebautem Klangraum in den Diskant, in welchem er Erinnerungsmomente Bach’scher Orgelthemen einstreute. Wie so oft in seinen Kompositionen wurde auch in dieser ein Flattergeräusch und ein Plätschern hörbar, an den sich abermals ein wildes Clustergeschehen anschloss, das ganz unerwartet von einem Dur-Akkord eingefangen wurde.
Es sind diese plötzlich auftauchenden klanglichen Wendungen, die der Komposition ihren eigenen Charakter verleihen. Immer wieder aber auch der Wechsel zwischen einem musikalischen Geschehen, das außer Rand und Band geraten zu sein scheint und beruhigenden Momenten, die dem Ohr und dem Kopf wie Beruhigungspillen erscheinen, die einem keine Orientierung bieten, aber zumindest eine vorgaukeln. Gut erkennbare melodische Linien wurden immer wieder von wilderen Klangfetzen abgelöst, zarte Klanggebilde ergänzten ansteigende Tonreihen und gegen Ende der Komposition setzte Mitterer mehrfach kleine Kaskaden in der rechten Hand gegen ein breites, fast überbordendes Soundgeschehen.
Eine effektvolle Beleuchtung ließ ihn und sein Instrument während seines Spiels theatralisch erscheinen, was einen zusätzlichen, sinnlichen Effekt beisteuerte. „Zeitgenössische Musik muss man sehen“ postulierte einst der ehemalige Leiter des Festivals „musica“, Jean-Dominique Marco in Straßburg. Und tatsächlich galt dies in besonderem Maße auch für „11 songs for two machines“.
Aber nicht nur für dieses. Auch die Komposition „ZIEFF – Notes on a Genius“ von Franz Koglmann, die im Anschluss zur Uraufführung kam, erhielt an diesem Abend durch ein besonderes, visuelles Moment ihre zusätzliche Adelung. Der Komponist und Jazzer bezieht sich in dieser „Suite“ mit neun Sätzen und einer abschließenden Gedicht-Vertonung auf den amerikanischen Jazz-Komponisten Bob Zieff. Wie in der Konzertankündigung zu lesen war, „zog Zieffs Musik, die bei aller kompositionstechnischen Komplexität vor allem durch ihre Eleganz besticht, und die herkunftsmäßig nicht nur in Jazztraditionen der Nachkriegszeit, wie Miles Davis „Birth of the Cool“-Nonett, sondern auch in der Wiener Schule eines Schönberg und Alban Berg verankert ist, Franz Koglmann in ihren Bann.“
Und tatsächlich weist seine Komposition eine außerordentlich große Fülle an Einfällen auf: Man vernimmt Atonales und eine kurz aufblitzende Mikrotonalität genauso wie herkömmliche Dur-Moll-Sequenzen, man erkennt lateinamerikanische Rhythmen, genauso wie Free-Jazz-Anklänge. Die neun Sätze der Suite tragen die Titel: “Chet’s Cat’s Heels”, “Waltz for Bob”, “April in Vienna”, “Der Jüngling”, “Miles at Minton’s”, “Nachts”, “Franz Schuh”, “I Am a German Girl”, “Near Blue”, “Sad Walk” – Gedicht von Robert Creeley, Rezitation: Colin Mason.
Eingeleitet und verbunden wurden sie alle durch Gerhard Laber an den Percussions, der vieles improvisieren durfte und sichtlich sehr großen Spaß dabeihatte. Seine Spielfreude war es auch, die emotional stark ins Publikum überschwappte und dem Live-Auftritt eine ganz besondere Note verlieh. Immer wieder jedoch formierten sich die Musiker zu Terzetten, Duetten oder auch Quartetten und folgten genau notierten Anweisungen. Es gab Wechsel zwischen kammermusikalischen Partien mit zart ausformulierten Themen, die wenig später von einem anderen Instrument paraphrasiert wurden oder ein Pizzicato, das vom Cello über die Oboe in die Percussion-Instrumente sprang.
Vorsichtig Tastendes, dunkel Eingefärbtes machte einem jazzigen, vital pulsierenden Part mit Unisono-Momenten Platz und verschwand danach hinter einem abermaligen Percussionvorhang. Ein rhythmisch stark akzentuiertes Cellothema, das von den anderen Instrumenten aufgenommen wurde, setzte gegen Ende des Werkes ein starkes Wiedererkennungszeichen und ein kurzer, von allen Instrumenten getragener Einschub vor dem Gedichtvortrag, erinnerte stark an jene Momente vor einem Konzert oder einer Opernaufführung, in welcher die Musizierenden ihre Instrumente stimmen. Der zutiefst lyrische Moment des Poems, das über das Altwerden und Verschwinden eines Menschen erzählt, der sich darüber auf einer Parkbank Gedanken macht, blieb nach dessen Ende beeindruckend lange im Raum hängen, bevor der verdient heftige Applaus einsetzte.
Mario Arcari am Englischhorn, Sandro Miori ausgestattet mit einem Sopran- und Tenorsaxofon sowie auch einer Altquerflöte, Attila Pasztor am Cello und Gerhard Laber an den Percussion-Instrumenten hatten an diesem Abend das große Privileg, dieses komplexe und farbenreiche Stück von Franz Koglmann zu spielen, der selbst den Flügelhorn-Part übernommen hatte. „ZIEFF – Notes on a Genius“ darf man als gelungene Jubiläumsgabe bezeichnen. Als solche ist zu hoffen, dass sie rasch Einzug in das herkömmliche Orchesterrepertoire finden wird.