Auf der Suche nach der tänzerischen Freiheit

Auf der Suche nach der tänzerischen Freiheit

Michaela Preiner

Foto: ( )

7.

August 2015

João dos Santos Martins „Continues projekct (2015)“ bot ihm, aber auch dem Publikum, die Chance, mit einem fokussierten Blick hinter die Kulissen das Verständnis für die Prozesse in einer Choreografie zu schärfen.

João dos Santos Martins, portugiesischer Tänzer und Nachwuchschoreograf, zeigte im Rahmen der Reihe (8:tension) von ImpulsTanz eine Arbeit, die das Publikum spaltete. In jene, die den zweieinhalb Stunden der Aufführungsdauer nicht folgen wollten und in jene, die am Schluss begeistert applaudierten.

„Continued project (2015)“ nennt er jenes Stück, das sich auf die Suche nach der Freiheit im Tanz macht. Nach jener Freiheit, die viele Choreografinnen und Choreografen immer wieder beschwören, die dann für die Tanzenden aber doch nur in ganz wenigen Augenblicken zu finden ist.

Ausgangspunkt dafür war die Begegnung mit der Arbeit von Yvonne Rainer mit dem Titel „Continuous project – altered daily“ aus dem Jahr 1970. Während seines Studiums arbeitete der Tänzer an einer Wiederaufführung und Interpretation des Stückes, das ihm den Input zu einer weiterführenden, eigenen Arbeit gab. Darin untersucht er nun, was in einer Gruppe während der Erarbeitung einer Choreografie geschieht, was der oder die einzelne in unterschiedlichen Herangehensweisen erlebt. Der Titel ist wohl gewählt, meint doch „continued“ ein Projekt, das wieder angefangen wird, im Gegensatz zu Rainer, die ihr Projekt als ein ständig fortlaufendes bezeichnete.

Die vorliegende Arbeit von dos Santos Martins ist auch interessant, weil er sich nicht scheut, das vorgefundene Material und die vermeintlich apodiktischen Aussagen dazu beständig zu hinterfragen und auch zu konterkarieren.

Er beginnt damit, dass er Clarissa Sacchelli, eine der Tänzerinnen seiner Truppe, einen Text von Isadora Duncan rezitieren lässt. Dabei sitzt sie am vorderen Bühnenrand des Odeons, einen weich fließenden Schal um den Hals geworfen, der von einem vor ihr stehenden Ventilator sanft in Bewegung gehalten wird. Eine optische Reminiszenz an jene Frau, die als Urmutter des modernen Tanzes gilt und deren Kostüme stets aus fein fließenden Stoffen bestanden. Sacchelli spricht in Duncans Worten von der Freiheit, welche ausschließlich weiblichen Tänzerinnen zuteil wird, werden diese nach ihrem Bewegungskanon ausgebildet. Während Clarissa noch spricht, wärmt sich die Truppe hinter ihr auf: Ana Rita Teodoro, Daniel Pizamiglio, Filipe Pereira, Sabine Macher und João selbst proben einzelne kleine Passagen. Am Klavier dahinter agiert Simão Costa und intoniert Brahms Walzer Nr. 1 aus seinem Op. 39. Ein Werk, das Duncan selbst tanzte. Nachdem Sacchelli den Text zu Ende gelesen hat, präsentieren alle sechs das Endergebnis der Duncan-Choreografie; mit sanftem Wippen in der Hüfte, zarten, aber theatralischen Arm- und Kopfbewegungen und stets einem Lächeln im Gesicht. Nach der 7. Wiederholung, die das Publikum teils mit Gelächter, zum Teil aber verständnislos wahrnahm, fängt dieses anfangs anmutige Lächeln an, zu einer gefrierenden Pose zu verkommen. Die Aussage dahinter ist klar: Wo ist hier nun die Freiheit, von der Duncan so überzeugt war, dass man sie mit ihrem Tanz erhalten würde? Auch eine Befragung der Teilnehmenden untereinander bringt nur eines zum Ausdruck: Frei fühlte sich dabei niemand. In Momenten davor, oder in Sekundenbruchteilen auch während der Stückes, aber Freiheit, die beglückend gefühlt werden kann, wurde bei diesem Tanz nicht erlebt.

Das hier vorgeführte Szenario bleibt den Abend über mit Abwandlungen erhalten. Immer wieder sind es choreografische Ideen aus dem Fundus der Geschichte des zeitgenössischen Tanzes, von denen gesprochen wird und die parallel oder auch im Anschluss an ein Gespräch gezeigt werden. Wie die Geschichte von Lola Bach, die in den 20er Jahren mit ihrer Tanzgruppe nackt in Deutschland auftrat und deswegen gerichtlich verfolgt wurde. Während dieser Erzählung, beginnen sich alle langsam zu entkleiden und im Anschluss nackt zu tanzen. Walzer, Flamenco, Kasatschok und mehr entpuppen sich, ohne Bekleidung getanzt, schließlich ganz und gar nicht, als ob damit ein beglückender Freiheitszustand vermittelt werden könnte. Und einer der Tänzer bringt es auf den Punkt: „Ich fühle mich nicht wohl dabei und mache nur aus Solidarität mit.“

João dos Santos Martins Projekt beinhaltet Choreografien, Übungen und Tanzpartituren von 18 unterschiedlichen Choreografinnen und Choreografen. Einige wenige werden explizit benannt, die Arbeiten anderer fließen in den Gesamtkontext ein, können aber, so das Auge geschult ist, wiedererkannt werden. Es mag wohl am Format des Abends gelegen sein, das stark an eine lecture erinnert, weshalb einige die Vorführung frühzeitig verließen. Es ist nicht die erste und wird auch nicht die letzte Vorstellung sein, die vom Publikum Geduld verlangt, die jedoch, wenn sie den Künstlerinnen und Künstlern allein schon aus Respekt entgegengebracht wird, meist belohnt wird. Die oft falsche Erwartungshaltung seitens des Publikums, die davon ausgeht, dass beim Tanz oder im Schauspiel ein Produkt präsentiert wird, das nichts als leichte Unterhaltung offeriert, steht einem offen Blick auf neue Tendenzen immer im Weg. Vielleicht bräuchte es, wie einst in der bildenden Kunst, auch hier eine „Schule des Sehens“. Mit dieser könnte  jene Barriere zwischen Produzenten und Konsumenten verringert werden, die Menschen empfinden, die sich nicht berufsmäßig mit den aktuellen Tendenzen auseinandersetzen. Publikumsgespräche sind hierfür auch ein sehr probates Mittel.

Neben der tänzerischen Vielfalt, die geboten wurde, bereitete es auch ein großes Vergnügen, Simão Costa bei seinem Klavierspiel zu beobachten. Jeder Szenenwechsel bedeutete ihm von Neuem einen großen Spaß und wahrscheinlich hätte er die Aussage seines Kollegen bezüglich der Solidarität auch unterstrichen. Denn auch er musste sich während der Lola-Bach-Szene  seiner Kleider entledigen, um dann fröhlich lachend weiterhin seine Kolleginnen und Kollegen musikalisch im Adamskostüm zu begleiten.

Was unterm Strich als Resümee bleibt, ist vielfältig: Nicht nur, dass der Abend einen Schnelldurchlauf von wichtigen tänzerischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts zeigte. Das Publikum konnte auch in Arbeitsprozesse eindringen, oder sie zumindest erahnen, die für gewöhnlich unsichtbar bleiben. Es konnte nachempfinden, dass es einer besonderen Begabung bedarf, choreografisch tätig zu sein, aber auch, dass die Tanzenden durch die Art und Weise, wie sie selbst in den Prozess eingebunden werden, entweder nur Ausführende oder auch kreativ Mitbestimmende sein können. Es wird interessant sein, wie der junge Choreograf, der sich in einem Interview selbst gegen jegliche Art von Ideologie aussprach, in seinen künftigen Arbeiten choreografisch ans Werk gehen wird. Wird auch er in die, so scheint es, unumstößliche Choreografie-Heilsfalle tappen, die größtmögliche Freiheit verspricht, oder wird er sich auf die Suche nach neuen Taktiken und Prozessen machen, durch die ein neues Verständnis einer gemeinsamen tänzerischen Bühnenarbeit entsteht?

„Continues projekct (2015)“ bot ihm, aber auch dem Publikum, die Chance, mit einem fokussierten Blick hinter die Kulissen das Verständnis für die Prozesse in einer Choreografie zu schärfen. Ein Stück für Interessierte, aber ein Stück, das dazu geeignet ist, durch seine analytische Offenlegung neue Möglichkeiten im Tanz zu suchen. Auch wenn die Suche schwer sein dürfte.

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